Terror gegen mutmaßlichen Terrorismus

In Somalia nutzt die Bush-Regierung die Situation, mit Luftangriffen mutmaßliche al-Qaida-Terroristen zu liquidieren, tötet aber dabei wieder Zivilisten und riskiert, Somalia zu einem neuen Afghanistan und Irak zu machen

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Die Bush-Regierung zieht es vor, weiterhin mit den alten, also militärischen Strategien vorzugehen. Im Irak erwägt Bush, die Truppenstärke zu erhöhen – und wahrscheinlich dafür auch Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, das nicht so im Zentrum wie der Irak steht und wo man die Verantwortung auch besser anderen Staaten zuschieben kann. Mit einer gegenüber dem Truppenaufgebot lächerlichen Summe von einer Milliarde Dollar soll der Wiederaufbau verstärkt werden. Hätte man anstatt der Hunderte von Milliarden Dollar für die Kriegsführung konsequent und frühzeitig mehr in den Wiederaufbau und in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Afghanistan und im Irak investiert, würde die Region und die Welt vielleicht heute anders aussehen.

Angriffe wurden mit einem AC-130 Gunship geflogen. Bild: USAF

Gelernt hat man in der Supermacht und beim Militär offenbar wenig in den letzten Jahren. Sonst würde man nicht nur, nachdem die äthiopische Armee stellvertretend in Somalia eingerückt ist und die Islamisten vertrieben hat, die somalische Regierung mitsamt den Warlords wie schon zuvor in Afghanistan stützen, weil der Feind des eigenen Feindes ein Freund sein muss. Schnell wurde auch die neue Machtsituation ausgenutzt, um mit den gewohnten Schlägen aus der Luft aufgrund "glaubwürdiger Informationen" angebliche "hohe" al-Qaida-Mitglieder zu töten.

As we pursue the war on terror we will seek out, attempt to identify, locate, capture and, if necessary, kill terrorists … to thwart their activities. We are also going after those who harbor and provide safe haven for terrorists and their activities.

Pentagon-Sprecher Bryan Whitman über den Somalia-Einsatz

Das Problem ist nicht nur, dass damit die USA wieder in einem Land militärisch eingreift, in dem sie schon einmal eine Niederlage erlitten hat, weil man – keineswegs nur die Amerikaner - die Situation falsch eingeschätzt hatte. Die USA gehen vor allem militärisch vor, um Menschen zu töten, die verdächtigt werden, der al-Qaida anzugehören und für die Terroranschläge auf die afrikanischen Botschaften 1998 verantwortlich gewesen zu sein. Das aber wäre eher eine strafrechtliche Aufgabe, bei der die Verdächtigen verfolgt, vor ein Gericht gestellt und nach Beweislage verurteilt oder freigesprochen werden sollten. Die US-Regierung nimmt sich aber heraus, in Ländern, die keine gesicherte Zentralregierung besitzen oder ein Schurkenstaat ohne Unterstützung von anderen Mächten sind, eine Art Lynchjustiz zu verfolgen. Das kann man um so besser machen, je weniger gesicherte Informationen aus dem Land dringen.

A U.S. Air Force AC-130 gunship attack in Somalia on Jan. 7 targeted senior terrorist leaders, a senior Pentagon official confirmed today. Pentagon spokesman Bryan Whitman told reporters the attack targeted "what we believe to be principal al Qaeda leadership" operating in the southern part of Somalia. Whitman declined to discuss damage assessments or the effectiveness of the strike, or future operations in the area.

Pentagon-Mitteilung

Man bringt auf Verdacht nicht nur womöglich Unschuldige um, sondern riskiert auch ganz bewusst, wenn man Ziele bombardiert, dass Unbeteiligte getötet und verletzt werden. Man stelle sich einmal vor, dass das Militär in den USA oder in Deutschland mit der Luftwaffe aufgrund von Informantenberichten mutmaßliche Terroristen in einer Stadt bombardiert und dann bestenfalls Entschuldigung sagt, wenn Dutzende Menschen als "Kollateralschäden" ihr Leben lassen mussten, weil irgendjemand glaubt, aber nicht weiß, er könne deren Leben mit der Beseitigung von vermeintlichen Übeltätern aufrechnen. Das könnte, dass müsste man auch Terrorismus nennen.

In Somalia ist nicht klar, ob die al-Qaida-Terroristen sich überhaupt unter den Opfern befanden, die durch den Angriff mit der AC-130 auf einen Konvoi gestorben sind. Es könne Wochen oder Monate brauchen, um das herauszufinden, sagt man im Pentagon. Anstatt Verdächtige zu fangen, zieht man es vor, um das Leben der eigenen Soldaten zu schonen, aus der Luft und ungefährdet auf Verdacht hin für "Gerechtigkeit" zu sorgen. Wer zufällig anwesend ist, hat selbst Schuld, schließlich geht es ja um die Verteidigung der Zivilisation und den Krieg gegen das Böse. Niemand im Westen wird allerdings groß um die Menschen klagen, die weit entfernt in einem wilden, weitgehend gesetzlosen Land gestorben sind, in dem ein Menschenleben sowieso nicht viel zählt. 50 oder mehr sollen sein, vielleicht auch nur 20. Bei einem weiteren Luftangriff am Dienstag auf ein Dorf, in dem sich angeblich al-Qaida-Führer aufgehalten haben, sind wiederum Zivilisten getötet worden. Mindestens fünf Dörfer sollen angegriffen worden sein. Die somalische Übergangsregierung, die nur eingesetzt ist und von den USA unterstützt wird, verteidigt den Angriff. Die USA hätten das Recht, Terroristen zu bombardieren.

Wie nicht anders zu erwarten, löst das ungezielte und auf bloßen Verdacht hin ausgeführte Töten von Menschen Widerstand in der lokalen Bevölkerung aus, weil es dem moralischen Empfinden zuwiderläuft, dass der Mächtigere nach Belieben Menschen umbringen darf. Das war auch schon so in Afghanistan und im Irak, wo mit Luftangriffen mit Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen viele "Kollateralschäden" begangen wurden. Manche wurden "untersucht", Konsequenzen gab es aber keine. So bringt man die Bevölkerung gegen sich und fördert in der Folge den Islamismus, den man eigentlich bekämpfen will. Möglicherweise kann man also bald Somalia neben dem Irak und Afghanistan als neue Kriegszone einordnen.

Würde man den Menschen in der Region und in der Welt zeigen, dass man gegen Terroristen nicht terroristisch, sondern mit dem Recht vorgeht, was durchaus auch Gewaltanwendung bei Ergreifung einschließen kann, und Verdächtige nach einem fairen Prozess verurteilt, dann würde man dem ideologischen Gegner das Wasser abgraben, der auf die Scheinheiligkeit und doppelte Moral hinweist und damit Anhänger rekrutieren kann. Immerhin hat die EU die Luftangriffe kritisiert. Von der deutschen Regierung hört man nichts, weder von Bundeskanzlerin Merkel, noch vom SPD-Außenminister Steinmeier.