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Neue Fusionsgerüchte in der internationalen Musikindustrie

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Wie kommt die Musik ins Netz? Diese Frage stellen sich derzeit alle großen Musikkonzerne, wenn es darum geht herauszufinden, wie es geschehen kann, dass Neuerscheinungen schon vor ihrem offiziellen Start im Internet kursieren. So geschehen bei den neuen Alben von Oasis, Coldplay, den Gorillaz und den White Stripes. Alle Alben wurden von den Plattenfirmen mindestens so gut bewacht wie die Kronjuwelen der Queen im Tower. Dennoch gab es offenbar eine Reihe undichter Stellen, die dafür sorgten, dass die Musik vorzeitig im Netz Probe zu hören war. Coldplays Plattenfirma EMI jammert laut. Im Hintergrund bastelt der Musikkonzern derweil an neuen Fusionierungsplänen. Warner Music heißt das neue alte Objekt der Begierde.

Die EMI hat es schwer. Wie die anderen drei großen internationalen Musikkonzerne klagt sie seit Jahren über krisenhafte Umsatzzahlen. Schuld sei das Tauschbörsenunwesen, heißt es unisono. Der illegale Tausch im Netz sorge für stetig fallende Profite. Dies gelte insbesondere dann, wenn noch nicht erschienene Alben vorab im Netz auftauchen. Potenzielle Kunden würden sich die Neuerscheinung dann kostenlos im Netz besorgen und nicht im regulären Handel kaufen. Deshalb werden die Sicherheitsmaßnahmen gerade bei den kommerziellen Top Acts schon seit längerem generalstabsmäßig geplant.

Keine Vorab-Kopie darf in die falschen Hände und dann in die einschlägigen Veröffentlichungsorte im Netz gelangen. Die Maßnahmen, die EMI ergriff, um das neue, noch unveröffentlichte Album der englischen Band Coldplay vor Diebstahl zu schützen, sind dafür ein gutes Beispiel.

Coldplays Schicksalsalbum

Coldplay sind für EMI neben den Gorillaz derzeit Umsatzbringer Nummer Eins. Die Band, die als eine der wenigen britischen Gruppen auch den US-amerikanischen Markt für sich erobern konnte, hat mit ihren beiden bisherigen Alben "Parachutes" und "A Rush of Blood To The Head" weltweit rund 17 Millionen Einheiten abgesetzt. 10,5 Millionen entfielen dabei allein auf "A Rush of Blood" - übrigens trotz illegaler Verbreitung im Netz.

Die kommerziellen Erwartungen an das dritte Album sind dementsprechend groß. Erfahrungsgemäß sind die dritten Alben einer Gruppe oder eines Künstlers oftmals diejenigen, die künstlerisch und kommerziell darüber entscheiden, ob die Interpreten in der rock- und popmusikalischen Geschichtsschreibung lediglich als Fußnote oder aber als ernst zu nehmende Künstler in Erscheinung treten. Das erste Album kann ein Zufallstreffer sein, das zweite Album vom Erfolg des Ersten profitieren - das dritte Album aber entscheidet über Wohl und Wehe. Bei Coldplay heißt das Schicksalsalbum "X & Y".

Coldplay trödelt - EMI warnt

"X & Y" sollte bereits im Dezember letzten Jahres fertig werden und noch zum Weihnachtsgeschäft in den Läden stehen. Daraus wurde nichts. Coldplay-Sänger Chris Martin und seine Mitstreiter plagte ein musikalischer Blackout. Es wollten ihnen partout keine neuen Melodien à la "Clocks" mehr einfallen - und was sie trotzdem aufnahmen, wurde anschließend als zu banal verworfen.

EMI sah's mit Grausen und veröffentlichte Anfang Februar dieses Jahres, als sowohl Coldplay wie auch die Gorillaz immer noch mit leeren Aufnahmebändern in den Studios festsaßen, prompt eine offizielle Gewinnwarnung. Coldplay und die Gorillaz würden als Umsatzbringer erst einmal ausfallen. Andere EMI-Künstler, die wie Robbie Williams nichts Neues anzubieten hatten, konnten die klaffende Umsatzlücke offenbar nicht schließen. Statt der erwarteten vier Prozent Umsatzminus werde es einen Geschäftsrückgang um acht bis neun Prozent geben. Die Börse reagierte prompt. Der EMI-Aktienkurs sank um satte zwanzig Prozent.

Die Geschäftszahlen, die EMI Ende Mai für das gesamte Geschäftsjahr 2004 vorlegte, bestätigten zwar die Umsatzprognose vom Februar dieses Jahres. Am Hungertuch nagen die Konzernherren jedoch keineswegs. Die EMI-Manager konnten mit einem satten Nettogewinn von 56,3 Millionen Pfund aufwarten, im Vorjahr hatten sie noch einen Verlust von 71,6 Millionen Pfund eingefahren. Der Umsatz sank jedoch tatsächlich um die hochgerechneten acht Prozent, belief sich aber immerhin auf 1,94 Milliarden Pfund. Experten führen den Umsatzrückgang weniger auf eine "angespannte Marktsituation", sondern vielmehr darauf zurück, dass EMI unter seinen Vertragskünstlern aufgeräumt und kommerziell angeschlagene Künstler schlichtweg vor die Tür gesetzt hatte. Unverzeihlich, dass sich Künstler wie Coldplay oder die Gorillaz mit ihren Alben dann auch noch verspäteten.

Militärische Sicherheitsvorkehrungen

Und nun auch noch das: Die neuen potenziellen Umsatzbringer von den Gorillaz ("Demon Days") und von Coldplay ("X & Y") sind schon Wochen vor der Veröffentlichung illegal und kostenlos im Netz zu haben. Dabei hatte man gerade bei Coldplay alles versucht, um die illegale Verbreitung zu verhindern. Rezensionsexemplare wurden unter dem Codenamen "Fir Trees" lediglich an ausgewählte Journalisten und nicht wie üblich auf dem Postweg, sondern nur persönlich herausgegeben, erklärte eine Sprecherin von EMI. Die Journalisten hätten sich schriftlich verpflichten müssen, das Album nicht weiterzugeben. Zudem seien die einzelnen Exemplare mit digitalen Wasserzeichen versehen gewesen, damit man bei einem eventuellen Auftauchen im Netz herausbekommen könne, wer der Böse war.

Die militärisch anmutenden, generalstabsmäßig geplanten Sicherheitsvorkehrungen waren trotzdem vergeblich. Es gab eine oder mehrere undichte Stellen. Das Coldplay-Album, von den Fans der Gruppe als längst überfällig erwartet, gibt es schon seit ein paar Tagen im Netz. Jetzt schlägt EMI medienwirksam Alarm wegen dieser kriminellen Vorveröffentlichung. On- und Offline-Medien berichten unisono über das Geschehen und machen auf diese Weise kostenlose Werbung für das neue Produkt, mit dem sich EMI ab dem 6. Juni kommerziell wieder glücklich machen will.

"Speed of Sound" vorab als Klingelton

Dabei kann die britische EMI in Sachen Coldplay-Marketing noch auf einen weiteren Glücksfall zurückgreifen. Es geht um einen Klingelton, es geht um "Crazy Frog". Der nämlich hatte in den britischen Charts kürzlich für Aufsehen gesorgt. Der von einem deutschen Produzententeam zum Klingelton herunter gemixte Harold-Faltermeyer-Song "Axel F" wurde zum britischen Überraschungshit und verdrängte die Singles so renommierter Bands wie Oasis ("Lyla"), Gorillaz ("Feel Good Inc") und eben auch Coldplay ("Speed of Sound") von der Spitze der britischen Charts.

Die Presse griff dieses verfrühte Sommerlochthema begierig auf und servierte es der britischen Öffentlichkeit - gewürzt mit antideutschen Spitzen. Und die Manager von EMI rieben sich vermutlich die Hände. Gibt es eine bessere Werbung für das neue Album einer britischen Band als ein unterschwelliges "Buy British"?

"Sklaven des Shareholder Value"

Coldplay-Chef Chris Martin - auch ansonsten immer um ein politisch korrektes Image bemüht - sind die taktischen Überlegungen seiner Plattenfirma offenbar völlig fremd. Am Rande eines Promotion-Auftritts in New York erklärte er, die Band fühle sich wie "Sklaven des Shareholder Value". Ihm komme es sehr befremdlich vor, achtzehn Monate lang im Studio nach einem glaubwürdigen Gefühl gesucht zu haben, nur um dann Teil einer gigantischen Verwertungsmaschinerie zu werden. Die Macht der Aktionäre sei das größte Übel der modernen Welt, brachte Martin seine Kapitalismuskritik für Anfänger auf den naiven Punkt.

Tatsächlich scheint sich der Einfluss, den der Coldplay-Sänger und seine Mitstreiter auf die Marketingentscheidungen seiner Plattenfirma haben, in ziemlich engen Grenzen zu halten. Denn EMI sorgte dafür, dass die neue Coldplay-Single "Speed of Sound" in den USA vorab als Klingelton zu haben war. Und auch sonst werden die Konzernmanager Herrn Martins Statements geflissentlich ignorieren. Sie haben anderes zu tun. In ihren Köpfen spuken derzeit wieder Fusionierungspläne.

Neue Fusionsgerüchte

Die aus EMI-Sicht durchwachsenen Konzernbilanzen nähren erneut Spekulationen über eine weitere Fusion im internationalen Musikgeschäft. Sony und die Bertelsmann Music Group (BMG) machen bereits gemeinsame Sache und erhielten dafür im Juni letzten Jahres den offiziellen Segen der EU-Kommission. Schon damals wurde über weitere Fusionen spekuliert. Im Mittelpunkt standen EMI und Warner Music.

Bereits vor fünf Jahren hatten beide Konzerne miteinander geliebäugelt. Die EU-Kommission wollte damals dieser Elefantenhochzeit allerdings nicht zustimmen. Ein EMI/Warner-Music-Konzern brächte den Wettbewerb auf dem Musikmarkt in Gefahr - ein Argument, das den EU-Wettbewerbshütern bei der Verbindung Sony-BMG nicht mehr eingefallen war, das aber nach der Sony-BMG-Fusion noch schwerer wiegt als vorher. Würden EMI und Warner Music tatsächlich fusionieren, würden sich die drei Konzernriesen Universal Music, Sony BMG und EMI/Warner rund drei Viertel des weltweiten Musikmarktes teilen.

Wettbewerb sieht anders aus, meinen die unabhängigen Musikunternehmen, die zusammen einen Marktanteil von rund 25 Prozent unter sich aufteilen müssen und ebenso wie die Musikfans zu den Opfern der Fusionierungspläne zählen. Sie sind beim Vertrieb ihrer Tonträger in der Regel vom Vertriebsnetz der Großkonzerne abhängig. "Wenn die Zahl der großen Musikunternehmen sich weiter reduzieren würde, könnten sie uns härtere Vertriebsbedingungen abringen", befürchtet Eva Kiltz vom Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten (VUT).