"Theoretisch könnte sie noch Kinder kriegen"

Berlusconi und der Vatikan kämpfen darum, dass eine seit 17 Jahre im Koma liegende Frau nicht sterben darf

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Das Schicksal von Eluana Englaro führt in Italien zu heftigen Auseinandersetzungen. Selbst Ministerpräsident Berlusconi und – wieder einmal – der Papst haben sich eingeschaltet. Seit 17 Jahren liegt die jetzt 38-jährige Frau nach einem Unfall im Koma, ihr Vater sagt, sie habe niemals gewollt, so am Leben erhalten zu werden. Seit langen kämpft er dafür, dass seine Tochter sterben darf.

Englaro hatte im September 2008 schließlich Erfolg. Das Verfassungsgericht gab der Familie die Möglichkeit, dass Eluana nicht mehr zwangsweise künstlich ernährt werden muss. Die Ärzte im Krankenhaus drosselten bereits nach dem Urteil die künstliche Ernährung, in wenigen Tagen wäre der endgültige Wendepunkt erreicht, auch wenn bis zum Tod noch zwei Wochen vergehen könnten. Wohl auf Druck des Vatikans versuchte schließlich Berlusconi, der kein "Pontius Pilatus" sein will, aber es sonst mit der Moral und auch den kirchlichen Geboten nicht so ernst nimmt, mit einer Eilverfügung, die Versorgung der Koma-Patientin aufrechtzuerhalten. Begründung: Man dürfe sie nicht sterben lassen, sie könne ja auch noch "theoretisch" Kinder kriegen. Immerhin zeigte Präsident Napolitano Souveränität und unterzeichnete die Notverordnung nicht, weswegen sie nicht in Kraft treten konnte. Napolitano wird zwar vom Vatikan unter Druck gesetzt, jetzt aber muss diese Woche das Parlament entscheiden.

Ein absurdes Theater, bei dem es weniger um moralische Prinzipien, als um die kirchliche Macht und politisches Kalkül geht – und darum, ob Kirche und Staat weiterhin Kontrolle über die Körper und damit über die Menschen ausüben können. Die Chance, dass ein Mensch nach 17 Jahren Koma aufwacht, ist äußerst gering, nach den Ärzten im Fall von Eluna mit schweren Hirnschäden eigentlich unmöglich. Human ist wenig daran, einen Körper, der nicht mehr beseelt und von keiner Person mehr bewohnt ist, gegen dessen Willen, wie er vor dem Fall ins Koma geäußert wurde, und trotz der fürsorglichen Position der Eltern am Leben zu erhalten – als ob das Leben und der Körper der Kirche oder dem Staat gehören würde, als ob der Einzelne kein Anrecht darauf hat, darüber zu bestimmen, wie er mit seinem Leben verfahren will.

Das ist dann schnell – und völlig abwegig - von "Mord" und "Euthanasie" die Rede, wie dies der Präsident der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, gesagt hat. Vom Amtsmissbrauch spricht ein anderer Kardinal und sollte sich selber an die Nase fassen. Auch Papst Benedikt XVI. sah sich am Sonntag genötigt, nach der Aufhebung der Exkommunikation von Holocaust-Leugnern und der Link auf /tp/blogs/8/126688 eines rechten Priesters zum Weihbischof, auch hier Stellung zu beziehen. Heilung könne geschehen, so Gott will, versicherte Benedikt, und Krankheit sowie Leiden gehöre zum Leben. Daher müsse die Gesellschaft die "Würde eines jeden Menschen" verteidigen. Eigentlich gäbe es dafür über die Verhinderung des Sterbenlassens einer Koma-Patientin hinaus viele konkrete Anlässe. Aber so ruft Benedikt auf, für die zu beten, die völlig abhängig von der Fürsorge anderer sind.

Berlusconi wehrt sich inzwischen gegen den Vorwurf, mit seinem Eilgesetz die Verfassung zu zerstören, also das Urteil des Verfassungsgerichts aufzuheben. Ohne sein Gesetz gäbe ein "Todesurteil", sagte er.

Einen ähnlichen Showdown hatte es auch 2005 in den USA gegeben (Showdown vor dem Krankenhaus?), als es um das Recht auf auf das Sterben der Koma-Patientin Terry Schiavo ging, die damals seit 15 Jahren im Koma lag (Sterben lernen). In diesem Fall hat sich das Gericht gegenüber der Politik durchsetzen können, Schiavo durfte sterben.