"This is not working"

Über das Huffpo-Prinzip, Ismaning, das Sturmtief Xaver und Luzi-M

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"This is not working" – das funktioniert nicht, hatte Arianna Huffington um 10.25 Uhr im Münchner Literaturhaus gesagt, als dort am 10. Oktober die deutsche Ausgabe der Huffington Post (Huffpo) aus der Taufe gehoben wurde. Deren Prinzip besteht bekanntlich darin, "Content" unbezahlt ins Internet zu stellen.

Das löste viel Wirbel aus, weil die Content-Produzenten nicht verstehen, dass der "Content" nur mehr eine Marketingschiene ist. Denn Journalisten sollen ja mittlerweile zu einer "Marke" mutieren, über deren Bekanntheitsgrad dann das eigentliche Geld verdient wird – mit Werbung für Fußbalsam etwa. Das ist so, als würde der Arzt nicht mehr für die Diagnose und Therapie bezahlt, sondern für die Hämorrhoidensalbe-Reklame, die im Wartezimmer hängt.

"This is not working" – Arianne Huffington hat dabei übrigens nicht dieses Prinzip gemeint, sondern das Mikrofon, das sie in der Hand hielt. Dieses Huffpo-Prinzip ist der eine groß ventilierte Trend im Internet, der andere lautet: Hyperlokaler Journalismus. Das ist so, als würde jeder Straßenzug einer Stadt sein eigenes Bier brauen – bildlich gesprochen.

Dass man mit beiden im Internet aber ziemlich absaufen kann, zeigen gerade zwei lokale Beispiele aus München. "Ismaninger Online ist gescheitert", lautet dort die eine Schlagzeile, "Luzi-M – die unabhängige linke Zeitung in München – hat den Betrieb eingestellt", die andere.

Mark Lubkowitz hat es zuerst mit dem Hyperlokalen probiert, jetzt will er auf Huffpo machen. Seit zwei Jahren betreibt der Journalist und gebürtige Berliner die hyperlokale Lokalplattform "Ismaninger Online" mit Nachrichten aus Ismaning. Das ist eine Gemeinde im Norden des Landkreises München mit rund 15.700 Einwohnern. Auf dem Portal finden sich Sportnachrichten ("TSV Ismaning verliert daheim deutlich"), Vereinsnachrichten ("570 Jahre Treue zum Trachtenverein Stamm") und Lokalpolitik ("Seniorenzentrum wird zum Streitpunkt"). Doch Lubkowitz machte die Erfahrung, dass der "Content", auch wenn er hypolokal ist, nicht von selbst angeflogen kommt.

"Was nicht relevant ist, ist irrelevant"

"Etwa 30 Stunden pro Woche muss ich in Ismaninger Online investieren, um die Website zu betreiben, Artikel zu schreiben, Termine wahrzunehmen oder Hintergründe zu recherchieren", schildert er seinen Aufwand. Alles nebenbei. Und "der Plan war ursprünglich mal recht einfach: Artikel schreiben, Webseite bekannt machen, Anzeigenplätze verkaufen, Einnahmen erzielen, weitere Journalisten beschäftigen, weiter wachsen. Simpel und logisch."

Aber nur auf dem Papier, denn: "Mit dem Versuch, Werbekunden für Ismaninger Online zu finden, blieb ich erfolglos." Weil, so die geniale Erkenntnis, es eben an Relevanz fehle: "Ein Medium, das nicht als relevant erachtet wird, findet auch keine Anzeigenkunden. So einfach ist das. Und was nicht relevant ist, ist irrelevant." Relevanz meint dabei, dass halt was drin steht, was auch die Leser interessiert. Weil das aber wiederum nicht von selbst entsteht, sondern Arbeit erfordert – man nannte das bislang "Journalismus" –, will der Portal-Betreiber nach dem Scheitern des ersten Konzeptes jetzt in Ismaning auf Huffpo machen: der "Ismaninger Online" will sich "als Plattform für alle Ismaningerinnen und Ismaninger öffnen. Wer einen Artikel schreiben und veröffentlichen möchte, der erhält damit nun die Möglichkeit. Das bedeutet auch, dass wir etwa explizit Lokalpolitiker dazu einladen, in Artikeln Ihre Sichtweise zu präsentieren, wenn es etwa um eine Dreifachsporthalle, das Mietniveau oder die Ortsbildentwicklung geht."

Crowd-Journalismus: "Irgendwann macht das keinen Sinn mehr"

Das hat die gerade gescheiterte "Luzi-M" schon hinter sich, wenn auch in völlig anders gearteten Zusammenhängen. Am Montag wurde der kritische Kabarettist Dieter Hildebrandt unter großer Anteilnahme auf einem Münchner Friedhof beerdigt. Bereits einen Tag zuvor war Luzi-M still und unbemerkt dahingegangen. "Am 01.12.2013 hat die 'linke unabhängige Zeitung - luzi-m.org' ihren regulären Betrieb eingestellt", ist inzwischen auf der Luzi-Homepage zu lesen. Erneut ist in der bayerischen Landeshauptstadt ein linkes Medienprojekt gescheitert. "Es gab zu wenig Leute, die daran mitwirken wollten", sagt Martin Müller von der Kernredaktion. "Irgendwann macht das keinen Sinn mehr."

2001 gründete sich aus der Szene um das autonome Münchner Kulturzentrum "Kafe Marat" eine Website unter dem Namen indynews.net. Diese existierte bis 2007, als im Zuge der Mobilisierung für die Großdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm die Polizei Razzien gegen links-autonome Projekte durchführte und es zu Gerichtsverfahren kam. Als Reaktion wurde 2008 mit "Luzi-M" eine Website für München aus der Taufe gehoben, die vor allem auf die Anonymität der Macher setzte. "Wir als Redaktion wollten nicht öffentlich auftreten", sagt Luzi-M-Macher Martin Müller.

Die Netz-Zeitung bot einen Veranstaltungskalender an, der zunächst gut angenommen und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurde. Hinzu kamen Artikel und Berichte von Außen und von der Redaktion geschrieben, etwa über die Aufsplitterung der Teilnehmer an der "Nato-Sicherheitskonferenz" in München. Es ging um die Themen Antifaschismus, Freiräume und Feminismus, aber auch um Kultur und Kunst. Zielpublikum war, so der 35-jährige Martin Müller, die junge autonome Szene von 18 bis 30 Jahren.

Die aber zeigte immer weniger Interesse. Vielleicht lag es daran, das die Redaktion nicht gewillt war, jeden Beitrag unkritisch zu übernehmen und lediglich als Sprachrohr von Gruppen aufzutreten. Das Redakteursteam aber konnte nicht jede Woche neue Artikel liefern – die Besucherzahlen nahmen stetig ab. Und auch der Terminkalender wurde nicht mehr von Außen aufgefüllt – was an der verstärkten Nutzung von Blogs, Facebook und Mailinglisten liegen könne, so die Vermutung der Redaktion.

In Folge schrumpfte die Redaktion von ursprünglich zehn Leuten auf zwei bis drei Macher, die Anonymität erschwerte das Bekanntwerden der Netz-Zeitung, die Nutzerzahlen fielen. Seit dem 1. Dezember besteht Luzi-M nur noch als Archiv und damit ist die linke Netzzeitung den gleichen Weg wie viele ihrer Vorgänger gegangen: Sie ist Geschichte. Und damit das Konzept des "Crowd-Journalismus", jedenfalls bei diesem Projekt.

Und was macht eigentlich die deutsche Huffpo so? Die schreibt in eckigen Lettern: "Er ist da." Ihr Untergang? Nein, gemeint ist "Xaver", das Sturmtief über der deutschen Küste.