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Das unermüdliche Ticken einer Uhr oder eines Metronoms erscheint oft als Symbol für den Wettlauf mit der Zeit. Ein Wettlauf mit der Zeit? Ist das überhaupt möglich?

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Was ist Zeit eigentlich? Spätestens seit dem 1997 erschienenen Band Eine Landkarte der Zeit von Robert Levine wurde auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass die Vorstellung von Zeit vom Lebensumfeld (und damit auch von der Kultur des Einzelnen) abhängig ist. In den industrialisierten Ländern wird die Zeit zumeist als Zeitstrahl verstanden, während in Asien ein zirkulares Zeitverständnis vorherrscht. Aber selbst in Europa hat eine Zeitangabe nicht in allen Regionen das gleiche Gewicht. Ein berühmtes Beispiel, das so manchen Kontinentaleuropäer zur Verzweiflung treiben kann, ist die sogenannte irish time. Eine Verabredung für Sonntag um 15:00 heißt: Man trifft sich entweder irgendwann am Sonntag oder irgendwann um 15:00.

Zeitvorstellungen

Will man die verschiedenen Zeitvorstellungen grob differenzieren, so kann man zwischen der Natur-, der Ereignis- und der Uhr-Zeit unterscheiden. Die Naturzeit orientiert sich üblicherweise an den jährlichen Regen- und Trockenperioden und knüpft damit an Aussaat und Ernte an. Beide Termine sind jedoch nicht im Kalender fixiert, sondern werden flexibel nach der jeweiligen Witterung gesetzt. Reis, der nicht reif und trocken geerntet wird, ist taub und kann zwar gegessen, aber nicht als Saatgut für die nächste Saison genutzt werden. Als technisches Hilfsmittel zur Anzeige der Zeit im Tagesgang wurde bis ins 19. Jahrhundert die Sonnenuhr benutzt.

Die Ereignis-Zeit orientiert sich, wie der Name vermuten lässt, an bestimmten Ereignissen. Solch ein Ereignis ist beispielsweise der Zeitpunkt, wenn die Tiere auf die Weide getrieben oder wieder in den Stall geführt werden. Im Umfeld der regelmäßigen Ereignisse, die als solche normalerweise gar nicht wahrgenommen werden, kann jedoch auch der Ausfall in einem regelmäßigen Ablauf ein Ereignis darstellen. Diese Denkweise herrscht zum Beispiel in Fernost auch außerhalb der Landwirtschaft vor und jemand, der aus den westlichen Industriestaaten kommt und nicht weiß, was hätte geschehen sollen, aber aktuell nicht geschieht, ist mit seiner Einschätzung der jeweiligen Situation schnell auf dem Holzweg. Ein Aspekt, der den Nutzen des Abhörens der Telekommunikation durchaus ad absurdum führen kann.

Im sogenannten Westen herrscht heute üblicherweise die Uhr-Zeit vor, die mit dem technischen Hilfsmittel der Uhr in möglichst gleiche Zeit-Abschnitte zerlegt wird. Als Maß der Dinge gilt dabei die Atomzeit. Die digitale Uhrzeit läuft unerbittlich weiter und treibt in den Industriestaaten ziemlich alles vor sich her. Die technikgetriebene Zeitvorstellung ist noch vergleichsweise jung und hat sich über die industrielle Revolution von England ausgehend mit der Industrialisierung verbreitet. Als Konsequenz der technischen Präzision der Uhren entwickelten sich in der industriellen Produktion die genaue Taktung der Fertigungsvorgänge am Fließband und die permanente Optimierung dieser Abläufe mit dem Ziel, die Produktivität der Fertigung zu erhöhen. Unter dem Einfluss der Religion wurde Nichtstun als Zeitverschwendung stigmatisiert und später in den Urlaub verbannt. Als Bildungsurlaub getarnt, kehrte der getaktete Leistungsdruck jedoch bald auch wieder in die Freizeit zurück.

Zeitmessung

Neben der alltäglichen Strukturierung des Tagesablaufs mit Hilfe der Uhrzeiten hat die technische Zeitmessung mit ihrer immer größeren Präzision die Geschichte des Sports beeinflusst. Und somit ist es wenig verwunderlich, dass sich das Olympische Museum im schweizerischen Lausanne dem Thema „Wettlauf mit der Zeit“ vom 5. Juni 2014 bis zum 18. Januar 2015 in einer Sonderausstellung widmet.

Die von Lorenzo Greppi gestaltete und von der Open-University-Kuratorin Kath Woodward betreute Ausstellung widmet sich, dem Veranstaltungsort geschuldet, schwerpunktmäßig der Zeit im Zusammenhang mit dem sportlichen Wettkampf - und hier vor allem der Olympiade unter Einschluss des klassischen Vorbilds in Griechenland. Damals wurde - das mag manchen jetzt überraschen - der Sieger nicht durch die Stoppuhr bestimmt, sondern von Zeus ausgewählt. Einen deutlichen Hinweis darauf, dass das Zeitverständnis im Sport zu jener Zeit ein zirkulares war, geben die bekannten Abbildungen der sportlichen Abläufe auf den aus Griechenland stammenden antiken Vasen.

Die Nutzung des Zeitstrahls im Sport begann erst in der Neuzeit und wurde nach und nach immer präziser. Und mit der von Olympiade zu Olympiade zunehmenden Präzision bei der Zeitmessung nahm auch die Zahl der Rekorde zu. Die immer genauere Messtechnik, die übrigens in großen Teilen im Berner Jura entwickelt wurde, sorgte für eine immer stärkere Unterteilung der Zeiteinheiten, die schon 1976 bei 1/1.000.000 Sekunde angelangt waren. Und nicht nur bei den Wettläufen entscheidet heute die Zeit, sondern auch bei den Mannschaftsspielen, wo der Anpfiff und der korrekte Abpfiff nicht selten das Ergebnis mitbestimmt. Die jüngste Entwicklung in diesem Bereich, eine über einen Pfiff des Schiedsrichters gesteuerte Uhr, kam Anfang des Jahres zum ersten Mal bei der Winterolympiade in Sotschi zum Einsatz.

Über den Sommer ist die Ausstellung im Olympischen Museum am Genfer See jeden Tag geöffnet und im Winterhalbjahr museumstypisch von Dienstag bis Sonntag. Im Zusammenhang mit der Sonderausstellung finden mehrere Sonderveranstaltungen statt. So gibt es am Sonntag dem 29. Juni 2014 ab 11:15 mehrere musikalische Vorträge. Im Rahmen der Vernissage am 4. Juni 2014 gab es die Gelegenheit, zwei Stücke zu hören, die auch am 29. Juni aufgeführt werden: das Konzert Poème Symphonique pour 100 Metronome von György Ligeti aus dem Jahre 1962 führt mit seinen 100 unsynchronisierten Taktgebern sehr deutlich vor Augen, wie subjektiv die Zeit und ihr Takt letztlich sind. Und bei der Aufführung des 15 Minuten dauernden Stückes Marimba Phase von Steve Reich aus dem Jahre 1967 verliert man als Zuhörer schon nach wenigen Minuten jedes Gefühl für die Zeit. So manchem Besucher erschienen diese 15 Minuten deutlich länger als die übliche Viertelstunde.

Da man bei der Fülle der in der Ausstellung präsentierten Informationen und den zahlreichen Denkanstößen, die sich aus den Exponaten und ihren Beschreibungen ergeben können, mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Zeit benötigt, als vorab erwartet, sollte man zumindest für die Ausstellung keinen Wettlauf mit der Zeit planen: Es wäre schade für die Ausstellung - und letztlich auch schade für die Zeit.

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