Todesdrohungen gegen streikende Studenten in Sri Lanka

Nach der Entführung von vier Schülern in Jaffna bedroht die Armee über 300 Universitätsangehörige

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Neben der Krisenregion um Batticaloa im Osten Sri Lankas ist die nördliche Halbinsel Jaffna ein weiterer Brennpunkt des Konfliktes in dem südasiatischen Land. So sind die 600.000 tamilischen Bürger Jaffnas immer wieder mit massiven Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, die vor allem von den 60.000 dort stationierten Regierungssoldaten ausgehen. Die Lage hat sich nun extrem verschärft, da das Militär durch Notstandsgesetze Polizeibefugnisse erhalten hat. Nach der Entführung von vier Schülern am 4. Mai organisierten Studenten der Universität von Jaffna im Norden Sri Lankas einen Soldaritätsstreik. Nun werden sie selbst mit dem Tode bedroht. Seit Januar sind insgesamt bereits sieben Schüler verschwunden, nach dem sie vom Militär verhaftet wurden. Während Sri Lanka mit einer Anzahl von mehr als 300 Entführungen in den ersten drei Monaten diesen Jahres inzwischen an zweiter Stelle nach dem Irak steht, wurde bekannt, dass 2007 die US-Rüstungsexporte in das Land um das 40-Fache gegenüber letztem Jahr angestiegen sind.

Laut TamilNet verteilten Armeesoldaten am Freitag, dem 11. Mai, in der Nähe des Campus der Universität von Jaffna Todeslisten, auf denen insgesamt 323 Universitätsangehörige vermerkt waren, die als Mitglieder der Rebellengruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) bezeichnet wurden. Sie würden getötet, wenn sie ihre Aktivitäten nicht sofort aufgäben.

In dieser „schwarzen Liste“ werden neben zahlreichen Studenten auch viele Professoren sowie der Schulleiter des Jaffna Hindu College genannt. Sollten die Angesprochenen „weiter an Anschlägen mit Handgranaten, Minenanschlägen und anderen derartigen Aktivitäten teilnehmen“, heißt es in dem Papier, „werden die Todesdrohungen, die gegen Euch ausgesprochen wurden, unverzüglich vollstreckt“. Nach der Drohung verbreitete sich Panik unter den Studenten.

Die unabhängige srilankische Zeitung Daily Mirror berichtete, dass zwei Tage später bewaffnete Männer erneut Flugblätter mit Todesdrohungen auf dem Campus hinterlassen haben, die hier eingesehen werden können (in tamil). Das neue Pamphlet spricht in der Überschrift von einer „letzten Warnung“ an die Studenten und Angestellten der Universität Jaffna. Man habe „klare Beweise“, dass sie in „terroristische Aktivitäten“ verwickelt seien und den Tamil Tigers helfen würden. Es folgt erneut eine Auflistung der 323 beschuldigten Personen, gegliedert nach Fachbereichen – unter anderem 85 Angehörige der Geisteswissenschaften, 69 der Ökonomie, 57 der Naturwissenschaften, 42 der Medizin, 39 der Landwirtschaft -, so wie der Hinweis, normalerweise würde sie die Todesstrafe erwarten. Unterzeichnet wurde das Papier mit "Tamil Alliance to Save Sri Lanka". Das ist eine typische Tarn-Formulierung der Armee, die sich häufig als „Schutztruppe“ bezeichnet, berichten ehemalige Bewohner Jaffnas gegenüber Telepolis. Laut Angaben des Sicherheitspersonals der Universität waren es Mitglieder des Militärgeheimdienstes der srilankischen Armee, die den Campus nachts betraten und sie während der Arbeitszeit angriffen.

Hintergrund der Drohungen gegen die Universität ist die Entführung von vier Schülern am 4. Mai

Insgesamt wurden seit Anfang des Jahres allein in Jaffna bereits sieben Schüler entführt bzw. gelten als vermisst: Laut Angaben von TamilNet verschwand am 12. Januar 2007 Thananjayan, ein Schüler der Jungenschule Velayutham in Point Pedro und fünf Tage später Paramananthan, ein Schüler des Hartley College in dem selben Ort. Eltern und Mitschüler machen die Armee für das Verschwinden der beiden Schüler verantwortlich. Das Hartley College veröffentlicht auf seiner Website als einzige der Schulen eine Chronologie der Ereignisse. So befanden sich bereits vom 22. Januar bis 14. Februar 15.000 Schüler des Vadamaradchy-Distriktes in einem erfolglosen Streik wegen weiterer Entführungen.

Am 28. April meldete TamilNet dann weitere Fälle vermisster Personen in Jaffna, darunter ein verschwundener Schüler: Der aus Poovalkarai, Point Pedro in Vadamaradchi stammende Kanthasamy Purushothaman (22), ein Student des Technischen College Jaffnas, werde seit dem 23. April vermisst, als er sich auf den Weg zum College machte.

Diesen drei für Sri Lanka typischen Fällen von „Verschwindenlassen“ folgten dann vier offensichtliche Entführungen, um die es in den aktuellen Auseinandersetzungen vor allem geht: Gleich vier Schüler wurden parallel am 4. Mai von bewaffneten Tätern aus ihren Häusern entführt. Die Täter seien in für Paramilitärs üblichen weißen Transportern gekommen, teilten die Eltern der Opfer in ihren Anzeigen bei der Menschenrechtskommission (HRC) in Jaffna mit. Bei den entführten Schülern handelt es sich um Suntharalingam Yasotharan (17) aus Kokuvil Ost, dessen Vater als Lehrer am American Mission College in Thammatti auf den Inseln vor Jaffna arbeitet, außerdem um Nagarajah Venukanthan (18) aus der Brown Road in Jaffna, dessen Vater ein hochrangiger Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) in Jaffna ist und um den Wirtschaftsschüler R. Ramanendran (18). Alle drei sind Schüler des Jaffna Hindu College. Der vierte ist Kugarajan Kannan (17) vom St. John's College in Jaffna, dessen Vater Direktor des srilankischen Roten Kreuzes ist. Die Entführer drangen gewaltsam in die Häuser der Familien ein, indem sie die Eingangstüren aufbrachen, teilten die Eltern mit.

Die Entführungwelle geht weiter. Allein in den sechs Tagen von Freitag, dem 11., bis Mittwoch, den 16. Mai, wurden fünf Männer im Alter zwischen 22 und 28 Jahren entführt oder als vermisst gemeldet.

Streikende Studenten rufen zu internationaler Solidarität auf

Bereits am 5. Mai waren bewaffnete Männer auf den Campus der Universität von Jaffna eingedrungen und hatten Gedenkfotografien zerstört, die an während des Bürgerkrieges getötete Studenten erinnern sollten. Zudem stahlen sie gesammelte Gelder, die zur Unterstützung der Flüchtlinge im Osten verwendet werden sollten, erklärten Studentenvertreter.

Diesen Vorfall nahmen die Studenten der Universität Jaffna dann am 7. Mai zum Anlass, die Vorlesungen zu boykottieren. Unmittelbar danach brachte die srilankische Armee in Erwartung von Studentenunruhen eine große Anzahl von Soldaten vor den Schulen Jaffnas in Stellung. Sie führen Kontrollen durch und hindern Außenstehende am Betreten der Schulen. Nur ein Zehntel der 3000 Studenten des Jaffna Hindu College erschien zum Unterricht.

Die Jaffna University Students Union (JUSU) und Studenten des Jaffna Technical College (JTC) hatten zu dem Streik aufgerufen, der eigentlich nur eine Woche dauern sollte. Neben der Sicherheit auf dem Campus wurde aber auch die Entführung der vier Oberschüler thematisiert und deren Freilassung gefordert. So appellierte die JUSU in einem Brief vom 10. Mai an die internationale Gemeinschaft, besonders die Studentenverbände weltweit, sie zu unterstützen. Es seien bereits drei Studenten getötet worden, vier gekidnappt und drei gefoltert und dann wieder freigelassen worden.

Da sie aufgrund der prekären Sicherheitslage keine Aufmerksamkeit herstellen könnten, seien sie auf internationale Hilfe und Solidarität angewiesen. Auch S. Gajenthiran, ein Abgeordneter der Tamil National Alliance (TNA) in Jaffna berichtete von Drohungen des srilankischen Armeepersonals gegen die Medien Jaffnas, keine Nachrichten über die studentischen Aktionen zu veröffentlichen. „Es ist zutiefst bedauerlich, dass die srilankische Armee (SLA) nach dem jüngsten Mord am Journalisten Selvarajah Rajitharan wieder Medienpersonal einschüchtert“, sagte der Abgeordnete. Mehr als sieben Medienvertreter wurden in Jaffna getötet, seitdem die Kampfhandlungen dort im Dezember 2005 wieder begonnen haben.

Die Armee weist jede Verantwortung für die Entführungen zurück

Der Schulboykott hat sich inzwischen auf die um Jaffna gelegenen Inseln Thenmaradchy, Vadamaradchy and Valigamam ausgeweitet. Auch die Lehrer der Halbinsel wollten sich den Protesten anschliessen. Wegen des Streiks erhielten die Bildungsdirektoren der genannten Regionen eine Vorladung der Regierung in die Hauptstadt Colombo.

Ein Zusammenschluss privater Bildungseinrichtungen - darunter die Tamil Students' Union, die Private Education Institutions Union, die Vadama'raadchchi Public Organizations Union und die Jaffna University Student Union (JUSU) - beschuldigt die srilankische Armee, an den Entführungen beteiligt zu sein. Das Komitee rief alle zivilgesellschaftlichen Kräfte dazu auf, sich gemeinsam für die Freilassung der Studenten einzusetzen. Es liegt nahe anzunehmen, dass es die Armee ist, die mit den Todesdrohungen die Studenten- und Schüleraktivitäten zur Freilassung der vier Oberschüler bekämpfen will. Militärische Todesdrohungen sind zu einem beliebten Mittel geworden, um Protest einzudämmen. Immer wieder kommt es zu Verhaftungen und erst nach monatelanger Folter werden die Studenten wieder freigelassen, andere werden tot aufgefunden. Erst vor wenigen Tagen bedrohten Soldaten einige Schüler, welche die monatliche Schülerzeitung “Chalaram” (Fenster) verteilten.

Am Dienstag, dem 15. Mai wies der srilankische Armeechef für Jaffna, Major Chandrasiri in einem Gespräch mit dem Rechtsberater der Human Rights Commission (HRC) in Jaffna, Mudiyapu Remediayas eine Verwicklung der Armee in die Todesdrohungen zurück. Die Streitkräfte drehen den Spieß um: „Terroristische Elemente versuchen das öffentliche Leben in Jaffna zu unterbrechen“, schreibt das Hauptquartier der srilankischen Streitkräfte in einer Erklärung, die von der staatseigenen Zeitung Daily News am 16. Mai fast identisch wiedergegeben wurde. „Diese Elemente nutzen das Gelände der Universität von Jaffna als eines ihrer Hauptzentren für verschiedene kriminelle Aktivitäten“. Dies habe die Regierung immer wieder gezwungen, die Universität zu schließen – so von August 2006 bis Februar 2007.

Auch die Regierung in Colombo leugnet jede Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen: „Einige der als entführt gemeldeten Personen sind in Wirklichkeit einfach aus dem Haus gegangen. Wir können das beweisen“, behauptete Präsident Mahinda Rajapakse laut Hindustan Times am Mittwoch.

Die Anzahl der Entführungen ist in Sri Lanka fast so hoch wie im Irak

Die aktuellen Entführungsfälle und das „Verschwinden“ von Personen sind nichts Neues für Jaffna: Nachdem die Halbinsel 1996 von der Armee erobert wurde, verschwanden mehr als 500 tamilische Jugendliche. Einige Opfer wurden später im sogenannten Chemmany Massengrab wiedergefunden.

Oft kann die direkte Verantwortung der Regierung für die Entführungen aber nur schwer nachgewiesen werden. Dennoch sprechen viele Indizien dafür. So kommen laut Recherchen des tamilisch-kanadischen Journalisten David Jeyaraj Entführte häufig dann frei, wenn deren Angehörige Kontakte zu Präsident Rajapakse haben und dort nachfragen. In anderen Fällen geht es um simple Gelderpressungen. Wird die geforderte Summe gezahlt, werden die Entführten freigelassen.

Es habe sich in Sri Lanka ein eigener Industriezweig für Entführungen gebildet, ähnlich wie im arabischen Raum. Sri Lanka stehe mit einer Anzahl von 1000 als vermisst gemeldeten Personen in 2006 und mehr als 300 Entführungen in den ersten drei Monaten diesen Jahres mittlerweile an zweiter Stelle nach dem Irak, schreibt Jeyaraj in einem weiteren Artikel. Mit überwältigender Mehrheit handelt es sich dabei um Tamilen.

Behinderung von Menschenrechtsorganisationen

Für die Menschenrechtsorganisationen ist es häufig schwierig, eine genaue Statistik über das Schicksal Verschwundener zu führen: Sie müssen ihre Zahlen meist auf Pressemeldungen stützen, da viele Zeugen aus Angst vor Repressionen keine Aussagen machen. Dies erklärt vielleicht die widersprüchlichen Angaben der Human Rights Commission (HRC) von Jaffna über die Anzahl getöteter und entführter Personen in der Stadt.

Anfang April hieß es, im Januar seien 20 Personen, 8 im Februar und 39 im März getötet worden. 29 seien entführt und 68 als vermisst gemeldet worden. Knapp einen Monat später fasst dieselbe Organisation die Zahl der entführten oder verschwundenen Personen zusammen und gibt sie für Januar mit 20, Februar mit 8, für März mit 33 und für April mit 19 Personen an. Es fällt dabei auf, dass die Zahlen der zunächst als getötet gemeldeten Personen den Zahlen der anschließend als entführt/verschwunden gemeldeten Personen erstaunlich ähneln. Von getöteten Personen ist in der zweiten Meldung des HRC Jaffna keine Rede mehr. Vielleicht stellte sich heraus, dass die für ermordet gehaltenen noch am Leben sind, was sehr erstaunlich wäre, da es laut dieser Statistik auf alle Personen zutreffen müsste. Denn von zunächst 164 als getötet, vermisst und entführt gemeldeten Personen tauchen in der Mai-Meldung „nur“ noch 80 entführte Personen auf. Das HRC scheint die Statistik also korrigiert zu haben und spricht nun von insgesamt weniger und keinen tödlichen Fällen.

Für solche Ungereimtheiten können aber auch staatliche Repressionen verantwortlich sein. So ist die 1997 gegründete staatliche Human Rights Commission (SLHRC) of Sri Lanka heute eine Farce: Sie musste im März 2006 ihre Arbeit einstellen, da ihr Mandat abgelaufen war. Im Mai umging der Präsident dann „den von der Verfassung vorgeschriebenen Vorgang bei der Neubesetzung der Human Rights Commission und ernannte die Mitglieder der Kommission eigenmächtig“, schreibt die schweizerische Flüchtlingshilfe. Die fünf neuen Mitglieder der Kommission sind enge Vertraute von Rajapakse und stehen unter der direkten Kontrolle der Regierung. Die am 27. Februar 2006 ins Netz gestellte Website der Kommission ist nur noch über den Google-Cache zu erreichen, über den man dann erfährt, dass am 12. März die erste - und letzte Meldung - eingestellt wurde.

Civil Monitoring Commission organisiert Proteste gegen die Entführungen

Eine der wenigen Organisationen, die den Mut haben, öffentlich ihre Stimme gegen die Entführungen zu erheben, ist die vor kurzem gegründete Civil Monitoring Commission (CMC) - nicht zu verwechseln mit der für die Überwachung des nun hinfälligen Waffenstillstands 2002 gebildete Sri Lanka Monitoring Mission. Die CMM wird von Mano Ganeshan, Parlamentarier und Chef der Western Peoples Front sowie dem früheren linken Präsidentschaftskandidaten und Chef der United Socialist Party, Siritunga Jayasuriya, angeführt. Am 9. April veranstaltete die CMM in Colombo eine Anhörung zu den Entführungen, die hier dokumentiert ist.

Am 11. April wandte sich die Civil Monitoring Commission gemeinsam mit sechs weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen - darunter das Centre for Policy Alternatives, das Free Media Movement, das feministische INFORM Human Rights Documentation Centre, das International Movement Against All Forms of Racial Discrimination, der Law and Society Trust und der Organisation Rights Now - in einer längeren Erklärung gegen die Vorwürfe der Regierung, sie seien „Verräter“.

Am 16. Mai fand schließlich in Colombo eine wenig beachtete Demonstration gegen die Tötungen und Entführungen in Sri Lanka statt, berichtete BBC. Civil Monitoring Commission-Vorsitzender Siritunge Jaysuriya kritisierte, dass die Regierung das Militär mit Polizeibefugnissen ausgestattet habe. Vickramabahu Karunaratne vom Committee for Investigation of Disappearances und Chef der Left Front, klagte Oppositionsführer Ranil Wickremasinghe an, den Notstandsverordnungen nicht widersprochen zu haben.

Letztlich bleiben solche Proteste aber marginal, wenn nicht auch Druck aus dem Ausland kommt. Zwar entschied Großbritannien Anfang Mai, 3 Millionen Dollar an Hilfsgeldern wegen der Menschenrechtssituation zurückzuhalten und auch die Millennium Challenge Corporation der Bush-Administration hält Entwicklungshilfe zurück. Zugleich gab das Washingtoner Center for Defense Information (CDI) - ein unabhängiger Think Tank für Sicherheitspolitik - aber bekannt, dass die Militärverkäufe (FMS) aus den USA nach Sri Lanka um das Vierzigfache von 1,4 Millionen US-Dollar in 2006 auf 60,8 Millionen US-Dollar in 2007 gestiegen sind.