Tönerne Scherben des digitalen Zeitalters

Das T-Shirt und der Geek

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Es ist eine der großen Liebesgeschichten unserer Zeit, die Romanze zwischen dem T-Shirt und dem Geek.

Das T-Shirt ist geschlechtsneutral und paßt gut zu schwarzer, weißer, gelber und roter Haut. Das Bekleidungsstück der Informationsgesellschaft bietet auf Brust und Rücken Werbeflächen für ethnische, erotische und politische Appelle der Trägerin/des Trägers" (Beat Wyss, Die Welt als T-Shirt, Köln 1997, S. 127).

In den Listen der beliebtesten Computer Geek T-Shirt Slogans finden sich nicht etwa Sätze wie "I fuck at the first date" oder "Kiss me! I'm Spanish!" sondern, wer hätte es auch anders erwartet, "Press any key- no, no, no, NOT THAT ONE!", "Disinformation is not as good as datinformation." "Cannot find REALITY.SYS. Universe halted." oder "File not found. Should I fake it? (Y/N)".

Klar, dass bei Kongressen sämtliche T-Shirts schon am ersten Tag ausverkauft sind, von den kostenlosen gar nicht zu reden. Nun, dann läuft man eben in den Klassikern herum, "Scan my network and die", "Ich bin schizophren - ich auch" o.ä. Das T-Shirt ist mehr als nur ein Anti-Status-Symbol, mehr als ein Zeichen, dass man nicht mit Äußerlichkeiten protzen muss, weil man was auf der Pfanne hat, das gar nicht alle kapieren sollen. Das T-Shirt ist magisch. Die Tatsache, dass - wie Günther Hack (Vgl.Comics neu erfinden!) ganz richtig bemerkt hat -, "ein einzelner Dilbert-Strip intelligenter sein kann als ganze Gigabytes von Netzkunst und auch unendlich mehr Reichweite und Wirksamkeit besitzt als diese", lässt sich problemlos auf das T-Shirt übertragen. Das T-Shirt trägt über Marshall McLuhan's "the medium is the massage" hinaus noch das nötige Fitzelchen stoffliche Verwirrung in die Welt hinaus, nicht selten unterstützt von olfaktorischer Untermalung,

Übrigens gibt es ja T-Shirts mit Dilberts Hemd nebst fahriger Krawatte drauf, mit denen ein Dress-Code-Verweigerer sowohl im Anzugalltag als auch am verordneten Casual Friday Verwirrung ernten könnte. Der Casual Friday, auch genannt Dress Down Day, Casual Dress Day oder Business Casual Day ist der Tag, an dem die dressierten US-Amerikaner im T-Shirt zur Arbeit kommen dürfen. Doch die Angst sich falsch anzuziehen, ist gerade an diesem Tage groß, Magazine überbieten sich in Tipps, welche T-Shirts gehen und welche gar nicht usw. Genau diesen merkwürdig geregelten Büroalltag lebt Dilbert, ein Held unserer Zeit im besten Lermontowschen Sinne, ja aufs eindrücklichste vor.

Wenn man etwas auf ein T-Shirt drucken kann, dann ist es eine Äußerung

so hatte Informatikprofessor David Touretzky bei seiner Aussage im DeCSS-Prozess illustrieren wollen, dass Code eine Meinungsäußerung sein kann. Die Firma Copyleft, die ein "OpenDVD"-T-Shirt angeboten hatte, das auf der Vorderseite ein wie ein Parkverbotschild gestaltetes Zeichen mit einem durchgestrichenen "DVD CCA"-Schriftzug, auf der Rückseite den DeCSS-Quellcode enthält, wurde dann auch prompt in den Prozess der Motion Picture Association of America gegen den Webseitenbetreiber Eric Corley involviert und gerichtlich vorgeladen. (Vgl. Geek Chic)

"Ein T-Shirt ist ein T-Shirt ist ein T-Shirt? Von wegen - entscheidend ist allein, wie die Billigbaumwolllappen "gebrandet" sind", schrieb Goedart Palm in Am Anfang war das Logo:

Dass zuviel Eindeutigkeit bei den politischen oder privaten "Confessiones" zum Sofortverzehr schadet, musste weiland auch ein Stuttgarter DJ erfahren. Wegen seines T-Shirts bekam er Ärger mit der Polizei und handelte sich eine Strafanzeige ein. Der junge Mann trug ein dunkelgrünes T-Shirt mit der Aufschrift "Pozilei". Die reale "Pozilei" fand das krass bis uncool, so sei doch das T-Shirt der offiziellen Polizeikluft zu ähnlich. Obwohl die grünen Freunde und Helfer selbst bunte Kinder-T-Shirts mit Polizeinsignien verkaufen und Herbert Achternbusch ungestraft die Polizei cineastisch mit dem Logo "Polyzeit" als Müßiggänger outen durfte, musste der Plattenaufleger der "Pozilei" sein Baumwollleibchen wegen Missbrauchs von Titeln, Ehrenabzeichen und Berufsbezeichnungen gemäß § 132 a StGB abgeben.

Einstweilen feiert Wired Raines Cohen als "Imelda Marcos der Macintosh T-Shirts." Mehr als 500 baumwollene Werbeflächen hat der ehemalige Chef der Berkeley Mac User Group (BMUG in 20 Jahren Mac-Kultur sammeln und in seinen Bau tragen können. Immer unterwegs auf Messen und Konferenzen, wo sich etwas Tragbares abgreifen lässt, da kommt einiges zusammen. "Eine feine Sache, wenn man sich die obere Hälfte seiner Garderobe nicht kaufen muss", schmunzelt Cohen "aber es geht auch um Identität, ich bin berühmt für meine T-Shirts." Jetzt mehr denn je. Denn auf Anfrage der Stanford University spendete er seine komplette kultige Oberbekleidung dem Projekt Making the Macintosh: Technology and Culture in Silicon Valley Ziel der Ausstellung ist es, Evolution und Geschichte von Macintosh Computer festzuhalten. Die Artefakte im Apple Museum dokumentieren mehr als 20 Jahre Entwicklung: voll geschmierte Papiere, merkwürdige Produkte, rührende Computer, kryptische Memos, tapfere Prototypen, Sammelalben, ganz viele mysteriöse Schachteln, genannt Woz's Boxes - und natürlich Massen von T-Shirts, die vormals den Leib von Raines Cohen schmückten.

T-Shirts sind die tönernen Scherben des digitalen Zeitalters. Sehen nicht nach viel aus, wissen aber viel zu erzählen. Vor allem die Event- und Usergroup-T-Shirts sind Zeugen der vibrierenden smarten Kultur rund um Apple. Soziologen reden über soziale Netzwerke und darüber dass es einige Leute gibt die communities zusammenhalten und neue Verbindungen schaffen. Raines ist einer dieser Menschen. Darum ist seine Sammlung auch so wichtig.

weiß Apple-Museums-Archivar Alex Soojung-Kim Pang.

T-Shirts kann man zeigen und mit anderen teilen, sie markieren Meilensteine. Bevor etwas realisiert wurde, konnte man bei Apple nicht darüber reden, aber man konnte ein T-Shirt mit einem Code bedrucken, um einer Gruppe das Gefühl von Zusammengehörigkeit zu geben.

Glaubt man Cohen, so sagt die Beschaffenheit seiner T-Shirts viel über den Gesundheitszustand und auch den Geisteszustand eines Unternehmens aus.

Und bald könnten T-Shirts nicht nur Werbung für Filme machen, sondern selbst welche vorführen. Französischen Forschern gelang es jetzt, wie Nature berichtete, mithilfe von polymeren optischen Fasern (POF), meist Plastikfasern genannt, einfache Animationen, Laufschriften oder grobe Fernsehbilder auf einem T-Shirt wie auf einem Bildschirm erscheinen zu lassen. Die Fasern haben einen Durchmesser von nur einem viertel Millimeter, was in etwa den Dimensionen eines menschlichen Haares entspricht. Die Forscher, immer um Anwendungsnähe bemüht, sehen schon Feuerwehrmänner und Verkehrspolizisten als wandelnde Infoscreens herumgehen. Lustig ist auch die Vorstellung, dass der Wortlaut einer ins Mobiltelefon eingetippten SMS sogleich auf dem bekleideten Bauch des Autors erscheint. So kann man voreinander stehen und trotzdem smsen, zwei überdimensionale Handys mit Köpfen und T-Shirt Display. Upcoming movies: Demnächst auf Ihrem T-Shirt.