Total verhüllt, um besser gesehen zu werden ?

Könnte ein eventuelles Verbot der Burka für eine Radikalisierung mancher Teile der muslimischen Gemeinde Frankreichs sorgen?

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Präsident Sarkozy, will Ganzkörperschleier, wie z.B. die "Burka" und den "Niqab", vom französischen Territorium verbannen. Eine parlamentarische Kommission soll bis November ergründen, ob ein gesetzliches Verbot Sinn macht oder nur Öl aufs Feuer gießen würde.

Das Kopftuch war ja schon 2004 vom laizistischen Schulgelände verwiesen worden. Dieses Kopftuchverbot ging unter einem wohlbekannten Innenminister vor sich, der mittlerweile zum Staatspräsidenten avanciert ist. Anno 2009 kreidete Sarkozy, zunächst die Burka als „Zeichen der Unterdrückung und Erniedrigung“ von Frauen an, um anlässlich des Besuches des US-Präsidenten Obama, Anfang Juni, andere Töne vernehmen zu lassen. Sein amerikanischer Amtskollege hatte nämlich erklärt, dass „die Vereinigten Staaten, ihren Bürgern nicht vorschreiben, was sie tragen sollen.“ Woraufhin Sarkozy plötzlich meinte, dass „in Frankreich natürlich jedes junge Mädchen, dass den Schleier tragen will, es tun kann.“ Mit einigen Ausnahmen freilich, wie Behörden z.B. oder falls die „jungen Frauen von ihren Familien und ihrer Umgebung dazu gezwungen werden.“

Julie Cranga, eine junge Französin, die 6-einhalb Jahre lang in Saudi Arabien, den Emiraten und dem Katar gelebt hat, kennt das „Schleierproblem“ aus eigener Erfahrung. Über ihr Leben in Saudi Arabien hat die gelernte Physikerin unter einem Pseudonym übrigens ein Buch verfasst. Mit Telepolis sprach sie über ihre Eindrücke und Anschauungen zur aktuellen Burka-Debatte.

Spürbar stärker werdende Abwehrbewegung gegen den gesellschaftlichen Fortschritt?

Zunächst einmal sei aber erklärt, dass die Totalverschleierung in Frankreich ein Minderheitenphänomen ist, aber seit geraumer Zeit vor allem in den argwöhnisch beäugten „sensiblen Vierteln“, den Vorstädten, laut der Frauenorganisation „Ni putes, ni soumises“ (Weder Huren noch Unterworfene) immer häufiger zu beobachten sein soll. Die Lebensbedienungen für Frauen verschlechterten sich dort draußen bei der „Racaille“, wie Sarkozy ,diese „jungen Wilden“ bezeichnete, zusehends: „Die spürbar stärker werdende Abwehrbewegung gegen den gesellschaftlichen Fortschritt, welche den Körper der Frauen als Geisel nimmt, wird durch die Burka, den Schleier und den Niqab verdeutlicht. Dies sind die sichtbaren Zeichen eines gesellschaftlichen Projektes, welches die Werte der Republik in Frage stellt“, wie die militante Frauenbewegung, die eine Staatssekretärin für urbane Angelegenheiten geliefert hat warnt.

Frau Cranga, wie würden Sie denn Ihre Lebensbedienungen in Saudi Arabien beschreiben? Wie mussten sie sich dort kleiden?

Julie Cranga: In Saudi Arabien musste ich die "Abaya" tragen. Das ist ein sehr breites, schwarzes Kleid, in dem ich mich wie in einen Kartoffelsack gepackt fühlte. Ich musste mir allerdings nicht wie die muslimischen Frauen den Kopf bedecken. Das ist der Vorteil den man hat, wenn man „Westlerin“ ist. Im Katar und den Emiraten ist die Kleiderordnung für Frauen liberaler. In Saudi Arabien allerdings, war ich fast froh von der Abaya verhüllt zu werden, derart anzüglich waren die Blicke der Männer, sobald man seinen Körper nicht total verdeckte. Ich fühlte mich regelrecht von ihren Blicken ausgezogen.

Das ist doch traurig und nicht gerade ein Kompliment für die Männer, dass Frauen ihren Körper total verdecken müssen, um sich nicht wie ein reines Objekt, ein Stück Ware vorzukommen. Ich fühlte mich dort wie ein minderwertiges Wesen, ein Mensch zweiter Klasse, wird doch auch nur der Mann angesprochen. Man wendet sich nie direkt an die Frau, nur der Mann zählt. Ganz so als ob Sie ganz einfach nicht existieren würden. Ich empfand dieses Verhalten als äußerst entwertend und erniedrigend.

An sich sagen Sie also in etwa das selbe wie Staatspräsident Sarkozy?

Julie Cranga: Ja, vielleicht, aber ich glaube nicht, dass in Frankreich ein eigenes Gesetz nötig ist, um den Umgang mit der Totalverschleierung zu reglementieren. Es gibt bereits Regelungen, die angewendet werden können. Für Ausweisfotos z.B. dürfen das Gesicht und der Kopf nicht verdeckt sein. Frankreich ist laut der Verfassung eine laizistische Republik und im öffentlichen Raum ist daher das Tragen von offenkundig (signes ostentatoires) religiösen oder politischen Zeichen verboten. Und was könnte offenkundiger als eine Burka sein?

Wer die Burka trägt, befindet sich also bereits im Konflikt mit dem Gesetz! In Belgien und Luxemburg gibt es allerdings eigene Gesetze, die vorschreiben, im öffentlichen Raum erkennbar zu bleiben. Mit einer Burka ist man tatsächlich überhaupt nicht mehr identifizierbar. Man weiß nicht einmal wo Vorn und Hinten ist! Das Einzige, was man mit Gewissheit weiß, ist das es sich wohl um eine Frau handeln muss, trägt sie doch eine Burka.

Glauben Sie, dass es die Männer sind, Brüder, Väter, Ehemänner, welche diese Frauen dazu zwingen, sich derart zu verhüllen?

Julie Cranga: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es ihre freie Entscheidung ist. Für mich ist das Tragen einer Burka vor allen Dingen politisch motiviert und weniger religiös, schreibt doch der Koran nur das Kopftuch vor, und nicht eine solche Totalverschleierung. Es ist, denke ich, als Provokation für unsere Republik gemeint, und wir wissen nicht genau, was wir darauf antworten sollen. Obwohl diese Frauen sich total verhüllen, sieht man nur sie! Könnte dies der Zweck der Übung sein?

Jedenfalls verstehe ich überhaupt nicht, wovor oder vor wem sich diese Frauen bei uns in Frankreich schützen, verstecken wollen. Was könnte es also anderes sein, als eine reine Provokation? Denn wäre es bloß eine Angelegenheit des leicht verletzbaren Schamgefühls muslimischer Frauen, wäre doch das Kopftuch vollauf genug.

Haben Sie ebenfalls den Eindruck, dass es immer mehr Frauen gibt, welche diese Art von „textiler Provokation“ wählen?

Julie Cranga: Ja. In Vaulx en Velin z.B., einer Gemeinde des Großraumes Lyon, tragen auffällig viele Frauen eine Burka. Man kann Ganzkörperschleier jetzt selbst in kleinen Provinzstädten beobachten. Ich verstehe nicht genau ,was da vor sich geht. Das Phänomen ist jedenfalls ziemlich neu. Tatsächlich scheint sich ein geringfügiger Teil des französischen Islam, immerhin die zweitstärkste Religion hierzulande, zunehmend zu radikalisieren.

Aber man sollte nicht mit einer radikalen Maßnahme, wie es ein eventuelles Gesetz darstellen würde, auf eine Radikalisierung antworten. Da begibt man sich auf ein unsicheres, ziemlich glitschiges Terrain auf dem man leicht ausrutschen könnte. Die überwiegende Mehrheit der französischen Muslime ist überhaupt nicht mit solcherlei überzogenen Verschleierungsformen einverstanden, und fühlt sich regelrecht beleidigt, verletzt davon. Das ist eine Form von Islam mit der sie nichts gemein haben wollen.

Aber würde ein Gesetz nicht diejenigen Frauen unterstützen, die nicht die Burka tragen, die sich aber durch die jetzigen Trägerinnen dazu gezwungen fühlen könnten?

Julie Cranga: Sehen Sie jetzt den politischen Akt, den das Tragen einer Burka eigentlich darstellt? Muslimische Frauen und den Gesetzgeber derart damit unter Druck zu setzen, dass ein Handlungsbedarf erzeugt wird? Ich glaube, es handelt sich vor allem um einen Konflikt, der zwischen radikalen und moderaten Muslimen vor sich geht. Für mich ist das Tragen einer Burka jedenfalls eine Form von Dschihad. Ein politischer Aufschrei, der bewusst unsere Republik herausfordern soll.

Hat der 11. September die Wahrnehmung unserer muslimischen Mitbürger verändert?

Julie Cranga: Ich denke, Muslime fühlen sich jetzt in unseren westlichen Gesellschaften misstrauisch beäugt und verfolgt. Und wir wiederum befürchten, eine Radikalisierung ihrerseits. Jeder beobachtet den Anderen argwöhnisch. Könnte das, eines der Ziele der Terroristen gewesen sein? Misstrauen, Division und eine Radikalisierung innerhalb der Gesellschaften zu schaffen? Ein Gesetz jedenfalls würde, denke ich, da nur noch Öl aufs Feuer gießen.