Tout Sarkoid

Mon Dieu, der Präsident holt Gott zurück

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Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt? Kaum war der französische Präsident seit Samstag - nach einigem Hin und Her in der Öffentlichkeit - mit seiner neuen Freundin Carla Bruni frisch vermählt, ereilte ihn auch schon die berufliche Hiobsbotschaft: Um 13 Prozentpunkte war seine Popularitätsrate in den monatlichen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts LH2 gefallen. Die Befragung, die am Wochenende angekündigt und an diesem Montag durch die Tageszeitung ‚Libération’ veröffentlicht wurde, sieht das hyperaktive Staatsoberhaupt bei nur noch 41 Prozent positiven Sympathiewerten. 55 Prozent äußern sich demgegenüber negativ über ihn und seine Politik. Der Absturz Sarkozys in der öffentlichen Meinung seit September/Oktober vollzog sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Was ist nur los mit dem Mann, der vor knapp 9 Monaten als selbsternannte Personifizierung des Voluntarismus, der „politischen Willenskraft“, des Anspruchs auf Veränderung sein Amt antrat und zunächst auf ein stabiles Polster an Zustimmungswerten bauen konnte?

Zirkusdirektor Sarkozy: Hat das Publikum von der Show schon wieder die Nase voll?

Zum allerersten Mal seit seinem Amtsantritt vor acht Monaten ist der französische Präsident Nicolas Sarkozy in den Umfragen nicht nur gesunken, sondern auch hinter seinen Premierminister François Fillon zurückgefallen - einen eher blassen Politiker, dem Präsident Sarkozy bislang kaum Platz für eigenständige Auftritte gelassen hat. Vielleicht hat gerade dies dem Premier paradoxerweise genutzt, da er nicht so stark mit dem offiziellen Glimmer der Sarkozy-Ära identifiziert wird.

Obwohl Fillon eine direkte politische Verantwortung für viele der sozialen Einschnitte der letzten Jahre trägt, etwa als damaliger Arbeits- und Sozialminister für die heftig umstrittene „Rentenreform“ vom Frühsommer 2003, wird dies durch die öffentliche Meinung im Augenblick kaum wahrgenommen. François Fillon blieb monatelang im Schatten von Nicolas Sarkozy, konnte sich dabei aber auch weniger „abnutzen“, zumindest in jüngster Zeit.

Dass es so kommen würde, hatten die Beobachter nicht unbedingt für möglich gehalten. Noch kein Präsident schien derart omnipräsent zu sein wie Nicolas Sarkozy, hatte einen derart breiten Raum auf allen Kanälen eingenommen, derart intensiv alle Bereiche des öffentlichen Lebens besetzt. Und nicht nur mit seiner Politik, denn Sarkozys Privatleben wurde wie das eines Popstars ausgebreitet. Seit Ende November machte die Mehrheit der Klatschpresse und der Regenbogenzeitschriften - vom Typus ‚Paris Match’, ‚Gala’ oder ‚Voici’ - ihre Titelseiten mit dem hektischen und übernervösen Staatschef auf. „Welche Frau für Sarkozy?“ sorgte sich etwa ‚Gala’ in der letzten Novemberwoche, nachdem Sarkozy einen Monat zuvor von seiner zweiten Ehefrau Cécilia geschieden worden war. Andere Regenbogenzeitschriften verbreiteten kurz darauf (Anfang Dezember) das Gerücht, der Präsident sei mit der blonden Fernsehsprecherin Laurence Ferrari zusammen - eine Information, die sich als falsch erwies.

In Paris regiert die Liebe

Seitdem Nicolas Sarkozy Mitte Dezember durch einen gemeinsamen Ausflug in den Disneypark südöstlich von Paris seine neue Liaison mit der Sängerin Carla Bruni, einem ehemaligen Mannequin, enthüllte, gibt es in der Yellow Press nun kein Halten mehr: Sarkozy hier, Bruni da. Und falls gerade einmal eine kurze Pause bei den Titelbildern mit Nicolas Sarkozy eingelegt wird, dann ist seine Ex-Gattin Cécilia Sarkozy auf selbigen präsent. Vorletzte Woche, als gleich drei Bücher von Journalisten über die ehemalige Première Dame vorgestellt wurden, füllte die „Ex“ so sämtliche einschlägigen Titelseiten. Mittelbar bleibt so auch der frühere Gatte ständig präsent, auch wenn aus dem Munde von Cécilia Sarkozy nicht nur Lob über ihn zu hören ist. In dem Buch der Journalistin Anna Bitton, ‚Cécilia’, etwa schildert sie ihn als „Geizkragen“ und geradezu besessenen „Frauenheld(en)“. Die Faszination, die die Figur Nicolas Sarkozy zumindest in gewissen Kreisen erregt, klingt dadurch jedenfalls nicht ab.

Der Politiker als Popstar: Auch deutsche Medien lassen sich von dem Phänomen anstecken. „Oh là là: In Paris regiert die Liebe“ lautete etwa der Aufmacher der Story über Sarkozy und Carla Bruni, den die ‚Bunte’ am 3. Januar dieses Jahres veröffentlicht. Und der ‚SPIEGEL’ übertitelte vergangene Woche seine Seit Eins zum selben Thema: „Die Erotik der Macht: Staatsaffäre Sarkozy/Bruni“. Den Hintergrund der Schlagzeile ziert eine Fotomontage, auf der man den Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und das frühere Fotomodel Carla Bruni eng aneinander angeschmiegt sieht - vor der Kulisse startender Militärflugzeuge am Nationalfeiertag, die blau-weiß-rote Kondensstreifen hinter sich her ziehen. Letztere sollen die Macht des Staatsoberhaupts, der an jedem 14. Juli die Militärparade auf den Champs-Elysées abnimmt, symbolisieren. Im Blattinneren geht das Hamburger Nachrichtenmagazin der Frage nach, „wie die Vermählung von Sex und Politik auf die Spitze getrieben wird“.

Das Ganze hatte den Anschein, als könne es ewig so weitergehen: Glamour und Sex Appeal würden den Präsidenten stets im Rampenlicht der Öffentlichkeit halten, ohne dass man über seine Politik reden müsse. Andere Spitzenpolitiker und Mitglieder des Kabinetts von François Fillon taten es ihm nach, wie die Justizministerin Rachida Dati - über sie spricht man seit Monaten in vielen Medien eher im Zusammenhang mit ihren Dior-Abendkleidern und ihren Auftritten bei Partys der Schickeria denn aufgrund der Inhalte ihrer Justizpolitik. Doch dann kam der jähe Absturz: Den Französinnen und Franzosen wurde es zu viel.

Überbelichtet

Der Einbruch der Popularitätswerte Nicolas Sarkozys resultiert zum Teil aus einem Sympathieverlust bei Bevölkerungsgruppen, von denen man eine Abwendung von dem konservativen Politiker vielleicht am wenigsten erwartet hatte. Zwar hat Sarkozy auch in den sozialen „Unterschichten“ und in der Arbeiterschaft an Zustimmung eingebüßt, denn im Januar 2007 hatte er seine Kandidatur u.a. mit der Ankündigung „Ich werde der Präsident der Kaufkraft“ präsentiert - und in diesen sozialen Milieus hatte man sich von ihm vor allem erhofft, am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche zu haben.

In der Praxis blieb davon nur die Anforderung übrig, länger zu arbeiten und mehr Überstunden zu schieben. Worauf sich viele Lohnempfänger sogar gerne einlassen wollten, die sich aber nunmehr enttäuscht zeigen, weil es gar nicht so viele Überstunden abzuleisten gibt, wie sie sich aus finanziellen Gründen erhofft hätten: Überstunden ordnet immer noch der Betrieb an, von seinem Bedarf ausgehend und nicht die Arbeitnehmer selbst. Ansonsten ist aber eine der stärksten Abkehrbewegungen gegenüber Sarkozy auch in der Altersgruppe der 50 bis 64jährigen, auch bei eher Gutsituierten unter ihnen, zu verzeichnen. Also bei den Angehörigen einer traditionell eher als konservativ geltenden Gruppe: Bei ihnen Sarkozy eckt mit seinem Stil eines ungehobelten Neureichen zunehmend an. Die „Überbelichtung“ (surexposition) seines Privatlebens trugen hierzu ebenso bei wie seine Manieren eines Parvenüs.

Seitdem im Spätsommer vorigen Jahres das Buch der Romanschriftstellerin Yasmina Reza über den Wahlkampf Sarkozys unter dem Titel ‚L’aube, le soir ou la nuit’ (Am Morgen, am Abend oder in der Nacht) erschien, wird der Politiker diesen Ruf nicht mehr los. Yasmina Reza konnte den damaligen Kandidaten des bürgerlichen Lagers über Monate hinweg aus nächster Nähe beobachten. Aus der Intimität heraus und ohne kritische Absicht - die Schriftstellerin unterliegt eher der Faszination für das Phänomen Sarkozy als der Versuchung, es zu dekonstruieren - schildert Reza, wie Sarkozy sich in ihrer Anwesenheit tagtäglich verhielt.

Eine der Schlüsselszenen des Buches beschreibt, wie Nicolas Sarkozy eine Tageszeitung (den ‚Figaro’) auf den Knien ausgebreitet hat. Die Schlagzeilen künden von den Dramen und Krisen dieser Welt. Der Mann wirkt in seine Lektüre vertieft, und Yasmina Reza fragt sich, worüber er wohl sinnieren möge. Daraufhin unterbricht Sarkozy die Stille mit seiner Bemerkung: „Oh, sie ist schön, die Rolex!“ Seine Aufmerksamkeit galt nicht den Artikeln, sondern der Werbeanzeige rechts unten auf der Zeitungsseite.

Ich sage ihnen nicht den Preis, das ist unanständig

Die beliebte, ätzend kritische Satiresendung des französischen Fernsehsenders Canal + mit ihren berühmten Puppen, ‚Les Guignols de l’info’, legt so der Politikerpuppe Sarkozys allabendlich mindestens zweimal das Wort „Rolex“ in den Mund. Zu den regelmäßigen Zügen der Darstellung Sarkozys in der TV-Sendung gehört seine immer wiederkehrende Aussage: „Ich habe (dies und jenes) gekauft. Aber ich sage ihnen nicht den Preis, das ist unanständig“, woraufhin die Puppe des Nachrichtensprechers Patrick Poivre d’Arvor - der in dieser Darstellung immer händeringend versucht, mit dem Präsidenten über Inhalte zu reden - regelmäßig seufzt: „Ja, bitte, lassen Sie es.“ Woraufhin die Präsidentenmpuppe genau so regelmäßig nachsetzt: „20.000 Euro!“ Oder: „50.000 Euro!“ Oder: „100.000 Euro!“

Zu diesem Ruf, der Sarkozy inzwischen in breiten Kreisen anhaftet, trug auch die saftige Gehaltserhöhung um lockere 172 Prozent - von zuvor rund 9.000 auf nunmehr knapp 20.000 Euro monatlich -, die er sich im vorigen November durch die konservative Parlamentsmehrheit abnicken ließ, mit bei. Aber auch seinen deutlich zur Schau gestellten Geschmack für die Annehmlichkeiten, die ihm befreundete Milliardäre gewähren.

Im Mai vergangenen Jahres hatte Nicolas Sarkozy angekündigt, er werde sich zwischen dem Tag seiner Wahl am 6. des Monats und seiner Einführung ins Präsidentenamt am 16. „zum Meditieren zurückziehen“. Vor dem Wahltermin hatte er sogar durchblicken lassen, er könnte mutmaßlich einige Tage „im Kloster“ verbringen.

In Wirklichkeit stellte er sich dann aber heraus, dass er mit dem Privatjet des befreundeten Milliardärs Vincent Bolloré - der u.a. dick in der Ausbeutung mehrerer westafrikanischer Länder, im Mediengeschäft und am Rande auch in der Rüstungsproduktion drinsteckt - ans Mittelmeer geflogen war und dort mehrere Tage auf der Privatyacht Bollorés zubrachte. Zwischen Weihnachten und Neujahr nutzte Sarkozy, dieses Mal zusammen mit Carla Bruni, erneut den Privatjet Bollorés, um nach Ägypten zu fliegen. Eine solch enge Verstrickung von privaten Wirtschaftsinteressen und dem Mann an der Spitze des Staates gilt in breiten Kreisen als bedenklich und trägt Sarkozy Vergleiche mit dem notorischen Selbstbediener Silvio Berlusconi ein.

Zum Trost gibt’s Religion

Mit dem Aufenthalt im Kloster war es also nichts. Und doch war diese Ankündigung Sarkozys wichtig, denn in ihr zeichnet sich ein Muster ab, das weiterhin eine der Grundkonstanten seiner Politik prägt. Sie lautet: Zum Trost gibt’s Religion, falls die Leute (aus sozialen oder sonstigen Gründen) unzufrieden sind!

Tatsächlich hat noch kaum ein Politiker der laizistischen französischen Republik so offen an der Trennung von Religionen und Staat, die seit dem Jahr 1905 zur offiziellen Doktrin gehört, gerüttelt wie Nicolas Sarkozy. „Gegen den Laizismus: DIE MISSIONARSSTELLUNG“ (Contre la laïcité: La position du missionnaire) titelte die linksliberale französische Tageszeitung am 16. Januar dieses Jahres auf ihrer Seite Eins – vor einem riesigen Foto des amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy.

Der Einfall war genial: Mitten in der (durch die Medien künstlich aufgewühlten) öffentlichen Debatte um Sarkozys Privatleben und seine Liaison mit dem früheren Model Carla Bruni, einer für ihre zahlreichen Liebschaften bekannten Sängerin, zog ‚Libération’ so sprachlich eine unerwartete Verbindung zum inhaltlich gravierendsten Thema desselben Augenblicks. Nämlich zu Präsident Sarkozys fortwährenden Angriffen auf den Laizismus, also die französische Konzeption der Trennung von Religion(en) und Staat.

Ein wichtiger Meilenstein bei dieser Entwicklung war Sarkozys Rede in der Lateransbasilika vom 20. Dezember vergangenen Jahres. Die Lateransbasilika ist jene Kirche in Rom, in welcher der Papstpersönlich sein (Erz-) Bischofsamt ausübt. Im Jahr 1593 hatte sich derdamalige französische König Heinrich IV. vom Protestantismus zumKatholizismus bekehrt - daher der berühmte Ausspruch: "Paris ist eine Messe wert" - und im selben Atemzug nämlicher Basilika in Rom das Benediktinerkloster von Clairac, in Südfrankreich, mitsamt größerer Ländereien vermacht.

Zum Dank machte daraufhin der Stift -- eine Art Vorstand -- der bereits im vierten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung erbauten christlichen Kirche daraufhin Henri IV zum "ersten und einzigen Ehrenstiftsherren". Seitdem dürfen seine Nachfolger an der Spitze des französischen Staates, trotz Umbruchs von der Monarchie zur Republik, dieses Amt antreten und symbolträchtig auf einem Pferd in die Basilika einreiten.

Nicht alle Präsidenten der laizistischen französischen Republik nahmen das Amt wirklich an. Die konservativen oder konservativ-liberalen Präsidenten Charles de Gaulle, Valéry Giscard d'Estaing und Jacques Chirac taten es, freilich ohne größeres Aufhebens darum zu veranstalten. Chirac, der letzte Amtsvorgänger des jetzigen Insassen im Elysée-Palast, hatte sich - trotz der Präsenz seiner ultrakatholischen, frömmelnden und bigotten Gattin Bernadette - drei Jahre Zeit gelassen, bevor er sich in Rom blicken ließ. Der "sozialistische" Präsident François Mitterrand und sein postgaullistischer Vorgänger Georges Pompidou hatten ihrerseits das Amt zwar nicht abgelehnt, aber auch zeitlebens keinen Abstecher in die römische Basilika unternommen.

Laizismus? Mit Nicolas Sarkozy wird alles anders

Er wollte anscheinend zum Helden der Kardinäle werden. Auch wenn der übernervöse Präsident es mit dem Protokoll nicht so genau nahm, während des Austauschs von Begrüßungen zwischen seiner Delegation und dem Papst einfach mal sein Handy konsultierte und dem Papst die ihn begleitenden Journalisten mit lockeren Sprüchen vorstellte - wo die Tradition eher Gesten der Unterwürfigkeiten vorsieht. (Sarkozy: "Und hier sehen Sie die Journalisten, die mich begleiten. Sie sind nicht immer nett zu mir." Ein Journalist zum Papst: "Aber zu Ihnen immer, Exzellenz!" Sarkozy: "So ungerecht sind die!")

Auch wenn er, neben den beiden ihn begleitenden Intellektuellen - seinem Redenschreiber Henri Guaino und dem Autor von Büchern über "große Männer" und schwülstig-patriotischen Historienschinken, Max Gallo, auch einen populistischen Komiker und Klamaukmacher mit Namen Jean-Marie Bigard in seiner Delegation dabei hatte - auf solche Kleinigkeit kam es dem Vatikan nicht an, denn die wirkliche inhaltliche Bedeutung seines Auftritts lag woanders: Schon seit längerem sind die Kleriker im Vatikan seitens der französischen Republik nicht derart gut behandelt worden, wie jüngst. So viel Honig um den Mund eines amtierenden Papstes schmierte in jüngerer Zeit kein französischer Präsident wie Nicolas Sarkozy.

Und noch selten nahm ein französisches Staatsoberhaupt einen Besuch in Rom zum Anlass, um so offen Grundkonzeptionen des seit 1905 offiziell im Lande herrschenden Laizismus - also der Trennung zwischen Staat und Religion(en) - über Bord zu werfen. Sein in den Jahren 2003/04 erprobtes politisches Spiel mit den Repräsentanten "des Islam" in Frankreich - das ihm dazu diente, sich auf die "besonderen Schutzbedürfnisse einer Minderheitsreligion" zu berufen, um eine Lockerung der Spielregeln des Laizismus und eine Erleichterung staatlicher Subventionen für Kultusbauten zu fordern - ist vorüber. Im Wahlkampf des vergangenen Jahres hat der konservative Kandidat Sarkozy vielmehr den barbarischen Islam - metaphorisch dargestellt durch "Schafe, die in der Badewanne geschlachtet werden" - als Gefahr für das Abendland beschworen und zugleich den verblichenen Papst Johannes Paul II. als eine der größten historischen Figuren.

Nunmehr hat Nicolas Sarkozy sich total auf das Christentum als gesellschaftlichen "Ordnungsfaktor" eingeschworen. Auch im Vatikan versteht man sich anscheinend durchaus auf Realpolitik. "Wir empfangen nicht einen Politiker als Privatmenschen, sondern Frankreich", erklärte man dazu an der römischen Kurie. In seiner inzwischen berühmt gewordenen Ansprache bemühte sich Nicolas Sarkozy um die Definition eines "positiven Laizismusverständnisses".

Dieses soll zwar formal die in Frankreich gesetzlich festgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat nicht aufbrechen. Wohl aber lässt Präsident Sarkozy durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des Laizisimus- und Staatsverständnisses in dieses hinein gleiten, dass "die Republik Menschen, die glauben und (darum) hoffen benötigt", um die Grundlagen einer gesellschaftlich verbindlichen Moral definieren zu können. Ansonsten drohten nämlich ethnische Anarchie und "Nihilismus", folglich gerate eine Gesellschaft an die Abgründe von Verrohung und Verbrechen. Allein die Gläubigen aller Richtungen könnten solche moralischen Grundlagen vorgeben und darum Allen von Nutzen sei.

Jene, die nicht glauben, müssen vor allen Formen von Intoleranz und Bekehrungseifer geschützt werden. Aber ein Mann, der glaubt, ist ein Mann, der hofft und zuversichtlich ist. Und das Interessere der Republik liegt darin, dass möglichst viele Männer und Frauen hoffen und zuversichtlich sind.

Mit diesen Worten nahm der französische Staatschef, von seinem Amt aus, explizit eine Hierarchisierung zwischen Bürgern unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung vor. Seit den Tagen des autoritären, katholisch-militaristischen Vichy-Regimes war dies offiziell nicht dagewesen.

Zu einem weiteren Höhenflug startete der Staatschef, als er hinzufügte:

In der Übermittlung der Werte und beim Erlernen der Differenz zwischen Gut und Böse wird der (Grundschul-)Lehrer niemals den Pfarrer oder Pastor ersetzen können, selbst wenn es wichtig ist, dass er sich diesem so weit wie möglich annähert. Denn es wird ihm immer die Radikalität der Aufopferung seines Lebens ( wohl eine Anspielung auf das für katholische Priester geltende Zölibat, Anm. d.Autors) und das Charisma eines durch die Zuversicht getragenen Engagements fehlen.

Sarkozy ging sogar so weit, sein eigenes Amt als Präsident mit dem eines hauptamtlichen Klerikers zu vergleichen:

Man ist nicht Priester, indem man nur halb bei der Sache ist. Glauben Sie mir, dass man auch nicht Präsident zur Hälfte ist. Ich verstehe die Opfer, die Sie bringen, um Ihrer Berufung entsprechend zu leben. Aber ich kenne jene (Anm.: Opfer),die ich gebracht habe, um die meine zu verwirklichen.

Nicolas Sarkozy warnte vor den Gefahren, die von einem "ermüdenden"Laizismus und dem auf seinem Nährboden gedeihenden, religionsfeindlichen "Fanatismus" ausgingen. Und er fügte hinzu: "Meine Anwesenheit unter Ihnen heute abend zeugt von der Treue Frankreichs zu seiner Geschichte und einer der hauptsächlichen Quellen seiner Zivilisation", nämlich dem Christentum.

Der christliche Glaube hat die französische Gesellschaft, seine Kultur, seine Landschaften zutiefst geprägt. Die Wurzeln Frankreichs sind im Wesentlichen christlich. (...) Die Wurzel auszureißen, bedeutet, den Kitt der nationalen Identität zu schwächen und die gesellschaftlichen Beziehungen noch weiter auszutrocknen, die sowohl Symbole als auch ein Gedächtnis benötigen.

13 mal Gott auf der ersten Manuskriptseite

Am 14. Januar setzte der französische Präsident mit seiner Ansprache in Saudi-Arabiens Hauptstadt Ar-Ryad noch einen drauf. Seine Rede dürfte den wahhabitischen Sittenhütern gut gefallen haben, auch wenn Sarkozy - was der saudischen Staatsdoktrin widerspricht - Christen- und Judentum auf eine Stufe mit dem Islam stellte. Aber dass er 13 mal allein auf der ersten Manuskriptseite seiner Rede von „Gott“ sprach, dürfte Wohlwollen erweckt haben. Und mehr noch das, was Sarkozy inhaltlich zu sagen hatte:

Gott macht den Menschen nicht unfrei, sondern befreit ihn. Gott ist der Schutz gegen den unmäßigen Stolz und die Verrücktheit der Menschen. (…) Das religiöse Gefühl ist genauso wenig wegen des Fanatismus zu verurteilen, wie das Nationalgefühl es wegen des Nationalismus ist.

Und er fügte hinzu:

Ich habe die Pflicht, das Erbe einer langen Geschichte, einer Kultur, und, ich wage das Wort zu benutzen, einer Zivilisation zu verteidigen. Und ich kenne kein Land, dessen Erbe, dessen Kultur, dessen Zivilisation nicht religiöse Wurzeln hätten.(...)Es ist nicht an der Zeit, dass die Religionen sich untereinander bekämpfen, sondern Zeit dafür, dass sie gegen den Rückgang der moralischen und spirituellen Werte kämpfen, gegen den Materialismus, gegen die Exzesse des Individualismus.

Solche Exzesse gefielen den Kritikern des Präsidenten nicht. „Die Laizität", also die Trennung zwischen Religion und Staat, wurde "im Weihwasserkessel der Lateransbasilika ertränkt", so sieht das etwa die französische Lehrergewerkschaftsbund FSU. Dessen wichtigste Mitgliedsgewerkschaft - der Verband der Lehrer an Oberschulen SNES - wandte sich in der zweiten Januarwoche in einem Offenen Brief an Präsident Nicolas Sarkozy, um sich über dessen Angriffe auf den laizistischen Charakter der französischen Republik zu beschweren. Gleichzeitig kündigte die Gewerkschaft an, "alle nötigenKontakte imBereich von Gewerkschaften, Vereinen und Politik zu ergreifen, um ein breites Bündnis zur Verteidigung des Laizismus" zu bilden.

Anlass dafür war die Rede, die Sarkozy am 20. Dezember in der Lateransbasilika in Rom hielt und die in Frankreich von einer breiten Medieninszenierung begleitet wurde. Die Aufmerksamkeit dafür ist inzwischen abgeklungen, da die Medien sich inzwischen längst wieder für andere Ereignisse interessieren, etwa für Sarkozys Beziehungsklamotten und seine Pressekonferenz - die bei ihm die traditionellen Neujahrswünsche abgelöst hat. Die Befürchtungen der Kritiker sind aber keineswegs abgeklungen.

Repräsentanten der Religionen im Wirtschafts- und Sozialrat?

Und inzwischen hat Nicolas Sarkozy schon wieder eine neue Idee ausgeheckt. Er will, dass Religionsvertreter der unterschiedlichen Richtungen – bzw. ihres jeweiligen Klerus – zukünftig im französischen Conseil Economique et Social (CES, „Wirtschafts- und Sozialrat“) vertreten sein sollen. Dort sitzen bisher die Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Berufsverbänden. Das Gremium berät die Regierenden in sozio-ökonomischen, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen und ähnlichen gesellschaftlichen Fragen. Beide Seiten, die dort vertreten sind, geben bei konfliktuellen Themen ihre jeweilige Position zu Protokoll. Man sieht zwar noch nicht richtig, was Repräsentanten „der Religion“ dort zu suchen bzw. mit den bisher dort beratenen Themen im näheren Sinne zu tun hätten. Aber Nicolas Sarkozy möchte ihnen in dem Rat Sitz und Stimme verschaffen.

Dieses Vorhaben, das er kurz zuvor erstmals angekündigt hatte, bestätigte Nicolas Sarkozy ausdrücklich am 17. Januar. An diesem Tag empfing er offiziell die Repräsentanten der Religionsgrupppen, von den Katholiken über die Protestanten bis hin zu den Buddhisten, im Elyséepalast, um ihnen die Neujahrswünsche des Staatsoberhaupts zu übermitteln. In seinem Kommuniqué, das er im Anschluss an den Empfang veröffentlichte, versuchte Sarkozy sich unterdessen relativ vermittelnd zu geben, nachdem seine vorherigen Äußerungen in Rom vom Dezember 07 und von Ar-Ryad im Januar 08 das kirchenkritische Lager zum Teil in höchsten Alarm versetzt hatten:

Die Anerkennung des religiösen Gefühls als eines Ausdrucks der Gewissensfreiheit und als einer zivilisatorischen Tatsache/Gegebenheit gehören, GENAUSO WIE (auch) das Erbe der Aufklärung, zu unserem republikanischen Pakt und zu unserer Identität mit dazu.

Dieses Nebeneinanderstellen von „religiösem Gefühl“ und „Erbe der Aufklärung“ wurde durch große Teile der Presse schnell als wichtiges Zugeständnis und Ausdruck der nunmehrigen Mäßigung Sarkozys gewertet, so am 18. Januar in den liberalen Zeitungen ‚Libération’ und ‚Le Monde’.

Am 30. Januar sprach sich der französische Staatspräsident dafür aus, die „christlichen Wurzeln Europas“ künftig wesentlich stärker zu betonen. In Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte Nicolas Sarkozy am vorigen Donnerstag, am Rande einer UMP-Konferenz zur Europapolitik in Paris, „die Europäische Union“ habe Unrecht gehabt darin, auf die Erwähnung der christlichen Wurzeln Europas im Entwurf für einen europäischen Verfassungsvertrag zu verzichten. Also in jenem „Verfassungs“text, der Ende Mai und Anfang Juni 2005 durch eine Mehrheit der französischen sowie niederländischen Wähler/innen per Referendum abgelehnt worden ist, aber nun an diesem Montag in reduzierter Form durch die in Versailles versammelten beiden Kammern des französischen Parlaments (statt vom Wahlvolk) ratifiziert werden sollte.

Der lange Mantel aus Kirchen

Eine entsprechende Passage war damals unter anderem auf Druck Frankreichs unter Jacques Chirac hinein gestrichen worden, während insbesondere Polen im Namen der Verteidigung der katholischen Werte und des „christlichen Erbes Europas“ eisern dagegen hielt. Nicolas Sarkozy bemerkte dazu am 30. Januar dieses Jahres:

Es war ein Fehler, unserer Vergangenheit den Rücken zu kehren und auf eine bestimmte Weise Wurzeln, die offensichtlich sind, zu leugnen.(..)Nun soll man nicht kommen und uns sagen, dass wir die Laizität/den Laizismus in Frage stellen. Es genügt, Frankreich zu überfliegen, um seinen langen Mantel aus Kirchen zu sehen.

Der „lange Mantel aus Kirchen, der Frankreich bedeckt“, den er nun angeblich vom Flugzeug aus wahrnimmt, zählt seit dem französischen Vorwahlkampf der ersten Jahresmonate 2007 zu den „Fetisch“formulierungen des Nicolas Sarkozy.

Zu sagen, dass es in Europa christliche Wurzeln gibt, bedeutet schlicht und einfach, gesunden Menschenverstand zu beweisen. Darauf verzichten, es zu sagen, bedeutet, der historischen Realität den Rücken zuzudrehen.

Vor zwanzig Jahren reimte der US-amerikanische Protestsänger Jackson Brown über den Politik- und Medienbetrieb und dessen zunehmende Tendenz, Produktwerbung statt Auseinandersetzung über Inhalte zu betreiben: „They sell us the President in the same way / They sell us our clothes and our cars /They sell us every thing from youth to religion…“ (Live in the balances) Wäre der Mann noch auf der Suche nach einer sinnbildlichen Verkörperung des Wahrheitsgehalts seiner Sätze, er hätte vielleicht bei Nicolas Sarkozy fündig werden können.