Transhumanistin testet Gentherapie gegen das Altern

Selbstversuch statt Wissenschaft: Ein fragwürdiger Versuch in einer südamerikanischen Klinik soll vor allem Aufmerksamkeit erregen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine Firma will eine Gentherapie entwickelt haben, die gegen das Altern hilft. Weil die Behörden die Zulassung von klinischen Tests verweigern, führt die Firmengründerin einen Selbstversuch durch und missachtet dabei fast alle wissenschaftlichen Standards.

Vor nicht allzu langer Zeit war der Selbstversuch noch ein gängiges Instrument der Wissenschaft. Mit eher gemischtem Erfolg: Robert Koch etwa erkrankte schwer an seinem Tuberkulose-Mittel.1 Eine zwiespältige Tradition also, und bereits seit Jahrzehnten aus der Mode gekommen. Eine US-amerikanische Unternehmerin hat sie dennoch wiederbelebt: Ihre Krankheit - so verkündet sie - ist das Altern.

Die Unternehmerin Elizabeth Parrish ist eine überzeugte Verfechterin des Transhumanismus und getrieben von dem Wunsch, ein Hauptziel dieser Bewegung (2014: Drei Schritte zum "Transhumanismus") in die Tat umzusetzen - mit neuesten Technologien den Alterungsprozess zu stoppen. Dazu gründete sie eine Firma namens BioViva, die entsprechende Gentherapien entwickeln und möglichst rasch zur Anwendung bringen soll.

Doch die Umsetzung scheiterte bislang an den amerikanischen Behörden. Für Experimente am Menschen fordern sie sorgfältige Vorarbeiten, die die Sicherheit und voraussichtliche Wirksamkeit der Behandlung nachweisen. BioViva kann da nur wenig vorweisen: Bislang stützt sich der Ansatz im Wesentlichen auf eine Studie spanischer Wissenschaftler, die Versuche mit Mäusen durchgeführt hatten.

Selbstversuch in Kolumbien

Parrish wollte die Verweigerung der Behörden nicht akzeptieren. Im September letzten Jahres reiste sie nach Kolumbien, mit zwei Gentherapien im Gepäck. Den Namen und Ort der Klinik will sie immer noch nicht preisgeben, aber in einem einfachen Behandlungszimmer ließ sie sich dort die Präparate in die Venen injizieren. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern Koch - der als penibler Experimentator galt - waren Parrish wissenschaftliche Protokolle dabei gleichgültig. Der Selbstversuch diente vor allem der Selbstinszenierung. Dazu passend hat ein extra aus Los Angeles eingeflogenes Filmteam das Geschehen ins rechte Licht gesetzt.

Die ersten Ergebnisse wurden vor einigen Wochen der Presse verkündet. Eine der beiden Gentherapien sollte den Verlust von Telomeren stoppen, die das Ende der Chromosomen stabilisieren. Parrish hofft, auf diese Weise eine Reihe von altersbedingten Krankheiten zu verhindern, deren Auftreten mit verkürzten Telomeren korreliert. Erste Analysen ihrer Blutzellen sollten den Erfolg belegen: Die Telomere, welche anfangs noch eine Länge von 6700 DNA-Basen aufwiesen, schienen ein halbes Jahr nach dem Selbstversuch auf 7300 DNA-Basen angewachsen zu sein - eine Steigerung von neun Prozent. Die Pressemitteilung verkündete stolz, 20 Jahre Alterungsprozess im Immunsystem seien rückgängig gemacht worden.

Experten sind skeptisch

Renommierte Forscher zeigen sich von diesen Zahlen jedoch wenig beeindruckt. Sie verweisen auf ein technisches Detail: Telomere sind nicht leicht zu vermessen, und die Fehlergrenze der verwendeten Methode liegt bei etwa acht Prozent. Die scheinbare Verlängerung um neun Prozent liegt also nur geringfügig über der Fehlergrenze - und könnte sich bei weiteren Messungen ganz in Luft auflösen.

Zudem bleibt unklar, ob die Abnutzung der Chromosomen tatsächlich die Ursache altersbedingter Krankheiten ist oder nur eine Begleiterscheinung. Verlängerte Telomere müssen auch nicht zwingend von Vorteil sein, bei der Entwicklung von Krebs können sie die Gefahr sogar noch erhöhen. Eine Gentherapie, die bei den Telomeren ansetzt, kann sich daher als nutzlos erweisen, und im schlimmsten Fall sogar als schädlich.

Und egal wie dieser Versuch ausgeht - Erkenntnisse lassen sich aus ihm nicht gewinnen. Die Schwankungsbreite bei altersbedingten Krankheiten ist so groß, dass ein Versuch mit nur einem Probanden keine verwertbaren Aussagen zulässt. Und schon allein wegen der undurchsichtigen Umstände des Selbstversuchs würde kein renommiertes wissenschaftliches Journal diese Daten für eine Publikation akzeptieren.

Medienpräsenz statt Wissenschaft

Doch Parrish wird dies leicht verschmerzen können, denn als Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt ist ihr Selbstversuch nicht gedacht. Es geht vor allem darum, größtmögliches Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Das erhöht den Druck auf die Zulassungsbehörde im eigenen Land, sorgt aber auch für weltweite Aufmerksamkeit. Denn das erklärte Ziel von Parrish ist es, unverzüglich mit Experimenten am Menschen zu beginnen - egal in welchem Teil der Welt.

Man könnte diesen Selbstversuch als Kuriosum abtun, wenn er nicht Zeichen eines allgemeinen Trends wäre: Wissenschaftliche Standards werden immer häufiger gegen die vermeintlichen Interessen von Patienten ausgespielt. So erlauben "Right-to-try"-Gesetze in Teilen der USA den Einsatz von Medikamenten, bevor diese alle Phasen der klinischen Tests durchlaufen haben. Angesehene Senatoren setzen sich für fragwürdige Stammzellkliniken ein. Und auch in Italien kämpften Aktivisten vehement für eine dubiose Stammzelltherapie, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrte.

Elizabeth Parrish hat ihren nächsten Coup schon vorbereitet. Sie hatte sich im September einer zweiten Gentherapie unterzogen, die den altersbedingten Abbau von Muskelgewebe stoppen soll. Die Ergebnisse werden demnächst verkündet - und Anlass zu einer weiteren Runde von euphorischen Pressemitteilungen geben. Die Wissenschaft wird dabei wohl erneut auf der Strecke geblieben.