Tree Wars

In "Dyson" erobern Bäume das Weltall - ein Gespräch mit dem Game-Designer Rudolf Kremers.

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Die größten Weltraumschlachten werden nicht mit Jagdfliegern und Kriegsschiffen geschlagen, sondern mit Baumsamen. Zumindest wenn es nach Rudolf Kremers und Alex May geht. Die beiden Gamedesign-Veteranen haben mit "Dyson" ein beeindruckendes Independent-Spiel vorgelegt. "Dyson" ist Echtzeit-Strategie - und ist doch ganz anders als das, was man sonst so aus dem Genre kennt.

Wer bei Dyson an den gleichnamigen US-Physiker denkt, assoziiert richtig: Freeman Dyson hatte die Idee einer genetisch veränderten Pflanze, die auf einem Kometen wachsen könne. Mit dieser Pflanze ließe sich eine atembare Atmosphäre innerhalb des ausgehöhlten Kometen erzeugen, so Dyson: ein neuer Lebensraum für Menschen im äußeren Sonnensystem. Und auch wenn seine Idee von Weltall-Kolonien bis heute nicht verwirklicht werden konnte, hat der Physiker mit ihr doch ganze Generationen von Science-Fiction-Autoren beeinflusst. Kremers und May setzen in ihrer Computerspiel-Hommage noch eins drauf: Jetzt sind es die Baumsamen selbst, die wie Raumschiff-Flotten einen Asteroiden-Gürtel erobern. Hat man erst einmal einen Asteroiden in Beschlag genommen, lassen sich dort sowohl Angriffs- als auch Verteidigungsbäume pflanzen. Letztere sind bitter nötig, denn feindliche Sämlings-Schwärme suchen ebenfalls die Vormacht im All. So entwickelt sich ein spannendes Katz- und Maus-Spiel, bei dem nur gewinnt, wer seine Ressourcen äußerst flexibel handhabt.

"Dyson" wird kontinuierlich weiterentwickelt und ist in der jetzigen Version gratis. Eine kommerzielle Version mit vielen Zusatz-Features soll noch diesen Sommer erscheinen. Im Interview spricht Rudolf Kremers über die Entstehung von "Dyson" und die Zukunft der Independent Games.

Rudolf Kremers

Herr Kremers, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Rudolf Kremers: Mein Name ist Rudolf Kremers, ich bin Holländer und lebe in Großbritannien. Im Jahr 2000 zog ich hierher, um Videogames zu entwickeln. Zuerst arbeitete ich am Spiel zu Douglas Adams' "Hitchhiker's Guide to the Galaxy" mit. Weil Douglas Adams aber 2001 starb, erschien das Spiel nie. Danach arbeitete ich an allen möglichen Spielen mit: Harry Potter, Championship Manager, Stolen, Avatar: The Last Airbender. Anfang arbeitete ich als Level-Designer und stieg dann bis zum Lead Game Designer auf. Aber schlussendlich hatte ich genug davon, im Umfeld großer Unternehmen zu arbeiten. So machte Computerspiel-Design mir keinen Spaß. Vor anderthalb Jahren gründete ich deshalb meine eigene Spielefirma Omni Labs.

Ist "Dyson" das erste Spiel von "Omni Labs"?

Rudolf Kremers: Es wird als erstes erscheinen. Wir arbeiten parallel an mehreren Spielen, aber ich verwende die meiste Energie auf "Dyson". Die Entwicklung des Spiels begann aber unabhängig von "Omni Labs": Gemeinsam mit dem Programmierer Alex May, einem Freund von mir, entwickelte ich "Dyson" im Jahr 2008 für einen Wettbewerb der Independent Gaming Source ("Dyson gewann den zweiten Preis, Anm. d. Red.). Wir hatten nur einen Monat Zeit, um ein prozedural generiertes Game auf die Beine zu stellen, und mussten deshalb sehr minimalistisch vorgehen. Das erklärt viel vom Design und visuellen Inhalt des Spiels.

Zum Beispiel?

Rudolf Kremers: Strategie-Games haben 20 oder 30 verschiedene Einheiten, die man als Spieler verwenden kann - man muss lernen, wie sie funktionieren. Wir hatten aber keine Zeit, all das in "Dyson" hineinzupacken. Stattdessen haben wir ein System erschaffen, bei dem Variation aus Evolution entsteht. Dahinter steht eine sehr minimalistische Design-Philosophie: Ein möglichst interessantes Gameplay aus möglichst wenigen Faktoren zu erzeugen.

Worum geht es in "Dyson"?

Es geht ums Erforschen, um Strategie und Eroberung. Aber "Dyson" unterscheidet sich ein bisschen von anderen Spielen dieser Art. Es sieht nicht wie ein herkömmliches Science-Fiction-Spiel aus, sondern hat einen eher biologisch-ökologischen Touch. In "Dyson" werden die Erkundungseinheiten aus Pflanzen erzeugt. Mit dem Sämlingen werden Asteroiden im Weltall kolonisiert, und es wird Terraforming auf ihnen betrieben. Alles sieht sehr organisch und ein bisschen wie von Hand gezeichnet aus.

Abgesehen von den Einheiten und vom Look: Was unterscheidet "Dyson" sonst noch von herkömmlichen RTS-Games?

Rudolf Kremers: Zum einen gibt es keine echte Ressourcen-Verwaltung. Die Asteroiden, die man erobert, besitzen bereits ihre eigenen Ressourcen. Man züchtet auf diesen Asteroiden neue Einheiten, baut aber keine Fabriken oder ähnliches. Zum anderen gibt es auch kaum Unterschiede zwischen den Einheiten. Sie verhalten sich aber unterschiedlich - je nachdem, wie sie gezüchtet wurden.

Von welchen anderen Games haben Sie sich inspirieren lassen?

Rudolf Kremers: Ein Großteil von "Dyson" ist pures Design und nicht von anderen Spielen beeinflusst. Zu erwähnen wäre allerdings "Z", ein Spiel der Bitmap Brothers: Das ist ein traditionelles Strategiespiel, aber ohne Ressourcen-Verwaltung. "Z" hat mir sehr gefallen. Im übrigen erkunde ich in Videospielen einfach sehr gerne die Umgebung. Elite wird mich diesbezüglich immer beeinflussen: Das muss man raus ins Weltall und weiß nicht, was einen dort erwartet.

Was war die größte Herausforderung bei der Entwicklung von "Dyson"?

Rudolf Kremers: Das Balancing. Erstens war es sehr schwierig, ein ausgewogenes Gameplay zu erreichen. In "Dyson" beinflussen Systeme andere Systeme: Selbst kleinste Änderungen haben Auswirkungen auf das ganze Spiel. Play Testing und Balancing benötigen folglich viel Zeit. Darüber hinaus müssen Zugänglichkeit und Spielspaß gegeneinander abgewogen werden. Die Herausforderung war, einen Mittelweg zu finden zwischen dem, was eingefleischte Strategie-Fans interessiert, und dem, was Anfänger ins Spiel hineinlocken kann.

Wann wird die endgültige Version des Spiels erscheinen?

Rudolf Kremers: Wir hatten gehofft, Ende Juli fertig zu werden. Aber das ist inzwischen recht unwahrscheinlich geworden. Es wird aber nicht viel länger dauern.

Was wird es bis dahin noch an Zusatz-Features geben?

Rudolf Kremers: Wir werden viele neue Level hinzufügen. Und im Gameplay wird es mehr Abwechslung geben. Auch die Spielziele werden mannigfaltiger werden. Es wird dann beispielsweise nicht mehr nur um Eroberung gehen.

Sondern auch um Verteidigungsstrategien?

Rudolf Kremers: Genau. Mehr darf ich aber wirklich nicht verraten. (lacht)

Wo wird das fertige "Dyson" erhältlich sein?

Rudolf Kremers: Wir vertreiben es über Steam, Direct2Drive und andere Download-Plattformen. Wir hoffen, auch eine Linux- und eine Mac-Version anbieten zu können.

Würden Sie noch einmal für einen großen Publisher arbeiten?

Rudolf Kremers: Nur, wenn ich einen bestimmten Grad an Freiheit zugestanden bekäme. Aber das wird niemals passieren, folglich ist eine Zusammenarbeit sehr unwahrscheinlich.

Wo sehen Sie die Zukunft von Independent Games? Wie werden die sich weiterentwickeln?

Rudolf Kremers: Gerade geschehen ein paar bemerkenswerte Dinge. Erst kürzlich hat Microsoft den Namen seines Community Games Service geändert, er heißt jetzt Xbox Live Indie Games. Das zeigt, dass Independent Games ein bisschen ernster genommen werden als früher. Ich glaube, diese Spiele werden bei den Konsumenten beliebter werden. Das wiederum wird immer mehr Leute dazu bringen, selbst Independent Games zu entwickeln. Eine der größten Herausforderungen dabei wird sein, sich von den Leistungen anderer abzuheben. Denn die Hürden sind so niedrig, dass man sich in einem riesigen Pool von Independent Games unterschiedlichster Qualität wiederfindet. Es ist nicht immer einfach, da herauszuragen. Auch beim passenden Geschäftsmodell gibt es sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten, die man ausprobieren kann.

Was macht ein Independent Game aus Ihrer Sicht herausragend?

Rudolf Kremers: Ein Independent Game kann auf zwei Arten gesehen werden: Zum einen als Spiel, bei dem ich bestimmte Faktoren selbst bestimmen möchte - zum Beispiel den künstlerischen Gehalt oder die finanziellen Aspekte. Aus dieser Sichtweise geht es nur um die Methode.

Aber wenn die meisten Menschen über Independent Games sprechen, meinen sie Spiele, die künstlerisch vergleichsweise unabhängig sind. Das ist eines der einschlägigsten Merkmale von Independent Game Designern: Sie können künstlerische Risiken eingehen, die andere Game Designer nicht eingehen wollen oder können. Independent Games haben oft sehr viel mit persönlichen Beweggründen zu tun. Nehmen wir als Beispiel Braid oder - um ein aktuelleres Game zu nennen - Glumbuster: Von dem hat bisher kaum jemand gehört, aber es ist brillant und dazu auch noch gratis. Ich kann "Glumbuster" wirklich nur empfehlen, denn es bietet eine Spielerfahrung, die man sonst nirgendwo findet.

Auf welche Spiele, die dieses Jahr noch erscheinen, freuen Sie sich besonders?

Rudolf Kremers: Auf Nightgame von Nicklas Nygren. Er hat zum Beispiel auch Knytt Stories entwickelt, das ich hervorragend fand. "Nightgame" wird sicher auch sehr gut werden.