Trügerische Erwerbslosenzahlen

Die FDP kritisiert die geschönte Arbeitslosenstatistik - aber nicht Ein-Euro-Jobs

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In jüngster Zeit befasste sich die FDP mit der geschönten Erwerbslosenstatistik und dem "Selbstbetrug" der Koalition. Kurz vor der Ansprache von Kurt Beck zur Bilanz über die Agenda 2010 meldete sich die liberale Partei zu Wort. Rund 3,2 Millionen Erwerbslose tauchten in der Bundesstatistik von 2007 nicht auf, wurde moniert. Das ergab eine Kleine Anfrage beim Arbeitsministerium. FDP-Abgeordneter Christian Ahrendt zur "Täuschung" der Arbeitslosen: "Die Arbeitslosenstatistik für 2007 gab offiziell nur 3,77 Mio. Arbeitslose, aber 6,34 Mio. Leistungsbezieher an.“

Nicht mitgezählt wurden in der Statistik z. B. 225.000 Empfänger von Arbeitslosengeld I in der "58-er-Regelung". Die über 58-Jährigen verzichteten auf Vermittlungsangebote der Nürnberger Agentur bis zum Eintritt in das Rentenalter. Von 5,329 Millionen Personen, die das Arbeitslosengeld II bezogen, führte man in 2007 ganze 54 Prozent, gut 2,85 Millionen, nicht als arbeitslos. Ausgeblendet wurden die erwerbstätigen "Aufstocker", die Teilnehmer an Maßnahmen der Arbeitsförderung sowie Erwerbslose, die aus anderen Gründen nicht arbeiten konnten, etwa weil sie Angehörige betreuten.

Die FDP ergriff die Gelegenheit, der konfliktschwangeren SPD mit Kanzlerkandidat Beck einen Seitenhieb zu erteilen. Und zwar kurz vor den planmäßigen Ansprachen zur fünfjährigen Agenda 2010. Voraussehbar, dass Beck bei seiner Bilanz einen arbeitsmarktpolitischen "Erfolg" sehen wollte. Doch ebenso wenig wie der SPD geht es der FDP um einen existenzsichernden "Jobmotor", sondern vielmehr um die Senkung der Gesamtausgaben für Arbeitslosengeld. Denn die seien nach wie vor hoch. Die Liberalen streben einen Wandel im Sozialsystem an. Anstelle der Grundsicherung soll ein limitiertes Bürgergeld treten. Das kann Erwerbsverdienste aufstocken. Im Gespräch ist ein Höchstsatz von 600 Euro. Klare Worte spricht ein Antrag der Partei vor nun einem Jahr im Bundestag:

Durch das Bürgergeld wird die Nachfrage Arbeitsloser und das Angebot der Unternehmen an Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich gesteigert.

Antrag vom 28.März 2007

Selbst noch Arbeit mit einer sehr geringen Entlohnung wäre "besser als eine aufgrund zu hoher Arbeitskosten erzwungene Untätigkeit". Das Ziel der Partei, die bei ihrer jüngsten Kritik auf Ein-Euro-Jobs nicht zu sprechen kam: ein Steuer- und Transfersystem anstelle der Grundsicherung zu schaffen und die Arbeitsaufnahme im Niedriglohnsektor voranzutreiben.

Die Politik mit den Ein-Euro-Jobs

Die Ein-Euro-Jobs verdienen jedoch einen genaueren Blick. Mit diesen wird die Statistik nämlich gleich zweimal geschönt: Erwerbslose, die die "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" annehmen, fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Und die zu besetzenden Ein-Euro-Jobs bei den Trägern werden als offene Arbeitsstellen geführt. So gab die Bundesagentur für Arbeit bei dem proklamierten Aufschwung im Februar 999.000 freie Stellen bekannt – doch 19 Prozent davon waren keine Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Wer sich für den arbeitsmarktpolitischen Zweck der Ein-Euro-Jobs interessiert, müsste deren Erfolglosigkeit anprangern. Berichtete doch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das der Agentur für Arbeit angegliedert ist, in diesem Jahr: "Die Teilnahme trägt innerhalb der Beobachtungszeit von zwei Jahren nach Maßnahmebeginn nicht zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit bei.“

Die geschönte Statistik hat auch der Frankfurter Sozialforscher Harald Rein aufs Korn genommen. Er ist zugleich Kritiker der "kommunalen Arbeitsdienste". Der Autor des Buches "Arbeitsdienste- wieder salonfähig" (1997) forschte mit Förderung der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt zur arbeitsmarktpolitischen Tätigkeit der Nürnberger Agentur. Neue Ergebnisse, die später veröffentlicht werden, präsentierte er im Rahmen der sozialpolitischen Vortragsreihe des Arbeitskreises Marginalisierte in Berlin im Februar.

Nach Reins Analyse habe man 363 276 Ein-Euro-Jobber und ABM-Teilnehmer im August 2007 aus der Erwerbslosenstatistik ausgeblendet. Auch wer an Qualifizierungsmaßnahmen wie Weiterbildungen und Training teilnahm, galt nicht als erwerbslos: 188 527 Personen im vorigen August. Zweck geschönter Statistik sei, so Rein, der Anschein, dass "von staatlicher Seite aus etwas getan wird für Erwerbslose: Die Zahlen sinken, im Zweifelsfall liegt es an den Erwerbslosen selbst, wenn sie keine Arbeitsstelle finden."

Die Integrationsquote der Ein-Euro-Jobber in Beschäftigung lässt keine Illusionen zu. Der Forschungsbericht des IAB über Soziale Arbeitsgelegenheiten (2007) macht deutlich: "Nur bei 2% aller geeigneten Zusatzjobber wird beabsichtigt, diese in die Belegschaft zu übernehmen, bei weiteren 5% denken die Betriebe darüber nach"

Für Harald Rein dienen die Ein-Euro-Jobs als "disziplinierende Arbeitsmarktinstrumente" vor dem Hintergrund des "Wandels innerhalb der Erwerbsarbeitsgesellschaft" mit Leiharbeit und Niedriglohn. Die staatliche Erwerbslosenverwaltung erstrebe, dass Erwerbslose auch im prekären Sektor jedwede Arbeit annehmen. Die Agenda 2010 steuere hin auf einen "autoritären Sozialstaat, in dem jede Unterstützungsleistung von der Verrichtung irgendwelcher Arbeit abhängig zu machen ist".

Das könnte verdeutlichen, weshalb die FDP über die Ein-Euro-Jobs und ihre Vermittlungs-Misserfolge kein Wort verliert: Mit dem administrativen Druck der Ein-Euro-Jobs werden Menschen zunehmend gedrängt, prekäre Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen. Übrigens entlasten die Maßnahmen kommunale Arbeitgeber. Merkbar verdrängen die MAE ( Mehraufwandsentschädigung) reguläre Stellen und sind in öffentliche Verwaltung eingebunden. Rein verweist darauf, dass in Jahr 2005 in Frankfurt am Main im öffentlichen Aufgabenbereich, in Grünflächenamt, Museen, Schulämtern 228 Ein-Euro-Jobs geschaffen wurden. Nur in Einzelfällen wären es "zusätzliche" Arbeitsgelegenheiten gewesen. Im Land Berlin kritisierte der Hauptpersonalrat der öffentlich Beschäftigten schon 2006, dass mit Ein-Euro-Jobs zahlreiche reguläre Stellen verdrängt würden.

Doch die Agentur setzt die Praxis der Pflicht-Arbeitsdienste als Gegenleistung für Grundsicherung fort. Heute sind bundesweit 750 000 MAE-Jobber tätig. Die Stellen belasten den Agentur-Haushalt beträchtlich. Bis zu 500 Euro erhalten die Beschäftigungsträger pro Jobber für ihre "Qualifizierungsmaßnahmen". Wenn das in der Kostenkritik der FDP keine Rücksicht findet, wird deutlich, dass das Druckmittel Ein-Euro-Job in ihrem Sinne ist.