Tsipras: "Das kann nicht ewig so weitergehen"

Die Athener Front härtet sich

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Seit sie im Amt ist, hangelt sich die Regierung Tsipras in Athen von Woche zu Woche. Alexis Tsipras beklagte am Freitag der vergangenen Woche in einer Rede bei der alljährlichen Veranstaltung des Economist, dass er kaum zur normalen Regierungspolitik käme. Stattdessen müsse er überall nach Finanzmitteln suchen, um die Gläubiger des Landes zu bezahlen, klagte Tsipras. Seine Äußerung "Das kann nicht ewig so weitergehen" war gleichzeitig Prophezeiung und Drohung, je nachdem, wie man es sehen möchte. Dass die Zeit für eine Beibehaltung des jetzigen Spiels knapp wird, scheint allen Beteiligten klar zu sein (Endgame um Hellas).

Alexis Tsipras ist genervt. Bild: W. Aswestopoulos

Die Äußerungen des Premiers sind mehr als verständlich, weil sowohl in griechischen als auch in internationalen Medien geradezu im Minutentakt Hiobsbotschaften und Vorraussagen über die nahende Pleite veröffentlicht werden. Gepaart werden diese mit Berichten über angebliche und tatsächliche Verfehlungen der griechischen Regierung.

So wird vollkommen korrekt dargestellt, dass der griechische Staat aus der so genannten Lagarde-Liste kaum Gewinne einstreichen konnte. Es handelt sich um die griechische Version der Falciani-Liste mit Konteninhabern der HSBC Bank in der Schweiz. Nachrichtenmagazine werfen der aktuellen Regierung vor, oder implizieren in ihren Texten zumindest, dass diese schludrig gegenüber Steuerflüchtlingen sei.

Es scheint, als würde Varoufakis entgegen seinen Versprechen keine Steuern eintreiben. Tatsächlich aber haben die Vorgängerregierungen von SYRIZA, also die PASOK unter Giorgos Papandreou, die Regierung Papademos, die Übergangsregierung Pikramenos und die Regierung Samaras es nicht geschafft, die Liste in bare Münze zu verwandeln. Und in der Tat wurde mit dem ehemaligen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou bereits einer der damals verantwortlichen Politiker wegen der ungenutzten und sogar zur Verdeckung eigener Verantwortlichkeit gefälschten Lagarde-Liste verurteilt.

Die aktuelle Regierung könnte sich erfolgreich damit verteidigen, dass sie ob der Suche nach Liquidität in jedem Winkel des Landes und bei den ständigen Verhandlungen mit EU, EZB und IWF kaum Zeit habe, die Liste wirklich zu prüfen. Allerdings braucht sie das gar nicht. Varoufakis Team fasste mit Hilfe der Liste einen der bekanntesten griechischen Oligarchenclan, die Familie Bobolas. Zum Familienreich gehören Autobahnen, Rundfunksender, Zeitschriften und Zeitungen, überdies Bauunternehmen, Abfallbehandlung und ein Teil der umstrittenen Goldmine Skouries in Chalkidiki. Die Bobolas haben sich bislang mit allen Regierungen arrangiert. Erst mit einer sofortigen Zahlung von 1,8 Millionen Euro konnte Leonidas Bobolas sich aus der Haft frei kaufen. Vier Millionen und ein paar Zerquetschte muss er insgesamt blechen, weil aus der Lagarde Liste-eine Differenz von 1,866 Millionen Euro zwischen deklariertem und offensichtlichem Einkommen erkennbar wurde.

Yanis Varoufakis. Bild: W. Aswestopoulos

Varoufakis, dem vielfache kleinere oder auch größere Fehler vorgeworfen werden, reüssierte demnach bei der Jagd nach Steuersündern in einer durchaus imposanten Weise. Niemand vorher hatte es gewagt, die Oligarchenclans des Landes wirklich ins Visier zu nehmen.

Demnach wurde in diesem Fall nachweislich falsch berichtet. Selbst wenn keine böswillige Intention nachweisbar ist, wirft dies Fragen auf. Wie, das fragen sich in Griechenland die Befürworter der Regierung, steht es dann mit dem Rest der Aussagen? Selbst der Regierung eher kritisch gegenüberstehende Blätter wie To Proto Thema beginnen, die Diskrepanz in der internationalen Berichterstattung und der national wahrnehmbaren Wahrheit aufzuzeigen. So belegte To Proto Thema, dass das in Deutschland von zahlreichen Medien gezeigte Video zu den Reparationen des Zweiten Weltkriegs mitnichten mit dem tatsächlich in den U-Bahnstationen Athens laufendem Kurzfilm übereinstimmt.

Solche Aktionen aus dem Ausland einigen in Athen die Front, obwohl intern an der Kritik an Tsipras und Co nicht gespart wird. Wenn dann auch noch seitens der deutschen Regierung die in Griechenland gerade aufkommenden Hoffnungen auf eine Einigung dadurch zerstört werden, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble offenbar aus Interna der Verhandlungen sein Wissen bezieht, gleichzeitig aber Varoufakis Indiskretion vorgeworfen wird, weil er angeblich zur eigenen Absicherung die Verhandlungen mitschneidet, die Bänder aber nicht veröffentlicht, dann stößt dies bei den Griechen umso übler auf. Das Handelsblatt sah gar einen Varoufexit.

Die Ironie der Geschichte ist, dass Varoufakis zum Beispiel bei der Frage der Mehrwertsteuer in Athen durchaus Blödsinn erzählt hatte. Der Minister wollte für Bürger, welche ihre Waren mit Plastikgeld, also Kredit- oder Debitkarte, zahlen, einen gesetzlichen Bonus von drei Prozent einrichten. Damit wollte er die über Banken leicht kontrollierbaren Zahlungen zur Überprüfung der Geschäfte, aber auch zum direkten Zugriff auf die ansonsten gern unterschlagene Mehrwertsteuer benutzen. Kaum hatte er dies mit imposanten Beispielen in einer Talkshow erklärt, wurde die ministerielle Exegese mit einem kurzen Rechtshinweis ad absurdum geführt. Die EU-Regeln verbieten eine systematische staatliche Diskriminierung der Bürger hinsichtlich der Zahlungsmethode und erlauben zudem nicht, dass die Mehrwertsteuerhöhe von der Zahlungsart abhängt.

Der so bloßgestellte Minister hätte durchaus Probleme bekommen können. Schließlich ist die Mehrwertsteuer und die von der EU geforderte Erhöhung der ohnehin bereits hohen Sätze ein Streitpunkt der Verhandlungen. Allerdings könnte Tsipras es sich nicht leisten, seinen Minister nun zurückzustufen. Denn damit würde er augenscheinlich der Medienkampagne gegen Varoufakis entsprechen und sich als medial steuerbar erweisen. Genau dies würde Tsipras politisches Ende einläuten. Denn dann könnte die innerhalb SYRIZA existierende radikale Fraktion der Befürworter eines Bruchs mit der EU offen Position beziehen und nicht nur verbal mit Spontisprüchen glänzen.

Die Finanzlage Athens in wenigen Sätzen

In den Medien wird zudem berichtet, dass SYRIZA den Kreditgebern gegenüber mit einem Zahlungsstopp drohen würde. Tatsächlich jedoch wird dieser von selbst eintreten, wenn das Land weiterhin dazu gezwungen wird, ohne ausländische Kreditaufnahme sämtliche Schuldenraten zurückzuzahlen.

Pars pro toto möge zur Zeitökonomie folgendes Beispiel dienen. Tsipras musste mangels Linienflügen mit einem eigens mit Stühlen versehenen Lockheed Hercules C 130 Truppentransporter nach Riga fliegen. Die drei staatlichen Jets, zwei Embraer und eine Gulfstream, befinden sich nach offiziellen Angaben in Reparatur, tatsächlich jedoch fehlen wichtige Ersatzteile. Diese können weder von Privatunternehmern noch vom Staat einfach so mal besorgt werden. Denn nahezu sämtliche ausländische Geschäftspartner liefern, alarmiert von den seitens der EZB angelegten Daumenschrauben, die dem Land die Liquidität rauben, nur gegen Vorkasse. Und genau das geht nicht, wenn als Druck auf die Regierung die Liquidität der Privatwirtschaft von den Kreditgebern künstlich weiter abgewürgt wird.

Bleibt alles so, wie es momentan ist, dann geht Athen über kurz oder lang komplett pleite. Das ist dann eine klassische, sich selbst erfüllende Prophezeiung.