Tücken der Statistik

Aufsummierte Verluste: Dargestellt ist die kumulative Nettomassenbilanz für 30 Gletscher aus neun verschiedenen Gebirgen. Für 2005 sind es die Daten von 29 Gletschern, für 2006 von 27 Gletschern. Die Wissenschaftler berechnen die Bilanz aus Verdunstung und Abschmelzen einerseits sowie dem Nachwachsen durch Schneefall andererseits. Der Masseverlust wird auf die Fläche des Gletschers umgerechnet und in Millimetern Wasseräquivalent (mm w.e.) angegeben. Durchschnittlich haben die untersuchten Gletscher seit 1980 also eine Eismenge verloren, die über ihre ganze Fläche verteilt einer Wassersäule von etwas mehr als zehn Metern entspricht.

Die Energie- und Klimawochenschau: Die Gletscher gehen zurück. Ob sich das auch von den deutschen Treibhausgasemissionen sagen lässt, ist fraglich

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Der Winter zeigte sich in diesem Jahr von einer recht launischen Seite: Hierzulande fiel er weitgehend aus, andernorts schlug er dafür um so heftiger zu. So oder so, am Erwärmungstrend hat das leider nichts geändert, wie auch die neuesten Meldungen von den Gebirgsgletschern in aller Welt zeigen.

Ein kleiner Lichtblick scheinen indes die neuesten Zahlen der deutschen Treibhausgasemissionen zu sein, die das Umweltbundesamt in Dessau letzte Woche heraus gegeben hat. Um immerhin 2,4 Prozent ist 2007 der hiesige Ausstoß von Kohlendioxid (CO2), Mehan & Co. zurückgegangen, sagen die Statistiken. Mit 981,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten wurde erstmalig die Schwelle von einer Milliarden Tonnen jährlich unterschritten. Um die Treibhausgase besser vergleichen zu können, werden Gase wie Methan, bodennahes Ozon, Distickstoffoxid und andere entsprechend ihrer Klimawirksamkeit in CO2-Äquivalente umgerechnet.

Emissionen in Mio. Tonnen. Seit dem Ende der Stilllegungs- und Modernisierungsphase in Ostdeutschland Mitte der 1900er Jahre sind die Emissionen in Deutschland kam noch gesunken. Insbesondere seit 1998 herrscht Stagnation. Ein negativer Trend lässt sich an den Zahlen nur dann ablesen, wenn sich der Wert für 2007 als real erweisen sollte. Die Zahlen bis 1999 sind aus einen Bericht des Umweltbundesamtes. Ab 2000 stammen die Zahlen aus dem Nationalen Bericht der Bundesregierung. Gegenüber der ersten Quelle gibt es in diesem v.a. für 2003 und 2004 Abweichungen. Der Wert für 2007 ist aus der Nahzeitpropgnose für das Jahr 2007. Grafik: W. Pomrehn

Beim genaueren Hinsehen stellt sich allerdings heraus, dass der Rückgang vor allem ein Ergebnis von verschiedenen Sondereffekten ist. Zum einen ist der Winter 2006/2007 ganz ungewöhnlich milde ausgefallen, was den Energieaufwand für Wärme verminderte. Zum andern spielt die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 sicherlich eine Rolle. Wer konnte, wird sich noch 2006 mit Heizöl eingedeckt haben. Den größten Anteil an den hiesigen Emissionen hat nämlich das CO2, das aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammt. Dessen Emissionen gingen am stärksten zurück, und zwar von 880,3 auf 856,6 Millionen Tonnen.

Ein Blick auf die konkreten Zahlen für 2007 zeigt, dass vor allem die Emissionen aus Mineralöl abgenommen haben, und zwar um immerhin 26,5 Millionen Tonnen. Allerdings sind diese Zahlen mit besonderer Vorsicht zu genießen. Sie werden nämlich allein aufgrund des in Deutschlands versteuerten Mineralöls berechnet. Der Tanktourismus und die Transitverkehre werden nicht berücksichtigt. Außerdem wird das Heizöl, das Verbraucher noch schnell vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer im November oder Dezember 2006 eingebunkert haben, diesem Jahr und nicht 2007 zugerechnet. Unterm Strich ist also kaum zu sagen, wie viel des Emissionsrückgang real ist und wie viel einfach auf die verschiedenen Sondereffekte zurückgeht. Schon seit 1998 gibt es den Effekt, dass der Straßenverkehr zwar weit zunimmt, aber die mit ihm verbundenen Emissionen angeblich nicht. Der Grund dürfte in dem erheblichen Preisgefälle zu suchen sein, das zu den meisten Nachbarländer besteht. Für Spediteure ist es einfach günstiger, im Ausland zu tanken, wenn ihre LKWs die BRD durchqueren oder dort etwas anliefern sollen.

Wie dem auch sei, in anderen Sektoren hat es jedenfalls 2007 keinen Rückgang der CO2-Emissionen gegeben, sondern nur eine Verlagerung. Die Energieversorger haben wegen der gestiegenen Preise weniger Gas in der Stromproduktion eingesetzt, was 8,8 Millionen Tonnen weniger CO2 bedeutete. Gleichzeitig stieg jedoch der Verbrauch von Braun- und Steinkohle, was zusätzliche 9,1 Millionen Tonnen CO2 mit sich brachte.

Alle Treibhausgase zusammengerechnet ist Deutschland mit dem Wert von 2007 nur noch sehr knapp von seinem Ziel entfernt, in der Periode 2008 bis 2012 seine Emissionen gegenüber 1990 um 21 Prozent zu verringern. Dazu hatte es sich mit dem Kyoto-Protokoll und begleitenden EU-internen Abkommen verpflichtet. Wie man an obiger Abbildung sieht, gibt es allerdings in den letzten Jahren keinen eindeutig nach unten weisenden Trend der CO2-Emissionen. Genauso gut könnten sie in diesem Jahr schon wieder leicht steigen. Auch das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass zusätzliche Anstrengungen nötig sind, um das Ziel auch tatsächlich zu erreichen.

Gletscherschwund

An Warnzeichen dafür, dass der Klimawandel längst im vollen Gange ist, hat es derweil keinen Mangel. Ende vergangener Woche veröffentlichte der World Glacier Monitoring Service an der Züricher Uni einen vorläufigen Bericht über den Zustand der Gletscher in aller Welt, der gar nicht gut ausfiel. Von den mehr als 80 Gletschern aus aller Welt, von denen man über zuverlässige Massenbilanzen verfügt, haben im Erfassungsjahr 2005/2006 nur noch einer eine positive Bilanz, das heißt, eine Massenzunahme, zu verzeichnen gehabt. Im Vorjahr waren es noch sieben, im Jahr davor fünf gewesen. Über alle Gletscher gemittelt war die Abnahme bisher noch nie so groß gewesen wie 2006. Nur 2003, als Westeuropa einen Jahrtausendsommer erlebte, war der Rückgang ähnlich groß gewesen. (siehe auch Gletscher schmelzen schneller).

Die Züricher Eisforscher sammeln unterschiedliche Art von Daten. Zum einen verfügen sie von 30 Gletschern aus aller Welt über sehr detaillierte Abschätzungen der jährlichen Massenbilanz, die bis 1980 zurückreichen (siehe Abbildung). Darüber hinaus gibt es an Tausenden weitere Gletscher Untersuchungen über zurückgelassene Ablagerungen, Zeitzeugenberichte, alte Fotos und Gemälde und ähnliches. Daraus lässt sich ableiten, dass weltweit die Gebirgsgletscher um etwa 1850 ihre weiteste Ausdehnung in der neueren Geschichte hatten.

Nach einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian, gehen die Schweizer Wissenschaftler davon aus, dass sich der Rückgang der Gletscher in den letzten Jahren beschleunigt hat, wie sich auch gut an unten stehender Grafik ablesen lässt. Allein 2006 wurden die gemessenen Gletscher im Mittel um rund 1,3 Meter dünner (die Dicke wird von Glaziologen in Wasseräquivalenten angegeben). Der Direktor des World Glacier Monitoring Service, Wilfried Haeberli, geht davon aus, dass die 30 Gletscher eine repräsentative Stichprobe der insgesamt 160.000 Gletscher in aller Welt darstellen. Weltweit würden sich die Gletscher zurückziehen, und zwar „mindestens“ in dem errechneten Tempo, zitiert ihn der Guardian.

Haeberlis Einrichtung wird unter anderem auch vom UN-Umweltprogramm UNEP unterstützt, und das mit gutem Grund. Für viele hundert Millionen Menschen haben die Gletscher nämlich eine enorme Wichtigkeit. Zum einen stellt ihr Abschmelzen eine konkrete Gefährdung für die Bewohner der Bergtäler dar. Hänge, die bisher durch den Permafrost stabilisiert wurden, können nun ins Rutschen geraten. Niederschlag fällt nicht mehr als Schnee, sondern als Regen, der in zerstörerischen Sturzbächen abfließt. Mitunter staut sich das Schmelzwasser hinter fragilen Barrieren aus Eis und Geröll. Wenn diese eines Tages bersten, können talabwärts Tausende von Menschen mit in den Tod gerissen werden. 44 solcher prekären Stauseen gebe es im Himalaya, berichtete vor einem Jahr die pakistanische Tageszeitung Dawn.

Zum anderen wird das Verschwinden der Gletscher aber langfristig drastische Folgen für den Wasserhaushalt der Flüsse und damit für die Landwirtschaft haben. Faktisch alle großen Flüsse Ost-, Südost- und Südasiens werden durch die noch mächtigen Gletscher des Himalayas gespeist. In den nächsten 20 Jahren werden sie wegen des Abschelzens mehr Wasser führen, sind die Gletscher aber erst einmal verschwunden, wird es erhebliche Schwankungen in den Wasserständen geben, weil diese dann nur noch von den jeweiligen Niederschlägen abhängen. Im gewissen Umfang lässt sich mit Stausystemen gegensteuern, aber beim UNEP ist man dennoch im Punkto Landwirtschaft besorgt: Die Ernährung von 360 Millionen Menschen am Ganges und 388 Millionen Menschen am Yangtse sei gefährdet, die Folgen für die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel wären verheerend.

Eisfreie russische Häfen

Über die Daten des zurückliegenden Winters – für Meteorologen besteht dieser aus den Monaten Dezember bis Februar – ist bereits an anderer Stelle berichtet worden. Er lag „nur“ 0,41 Grad Celsius über dem Mittel der Jahre 1951 bis 1980 und war damit im globalen Maßstab der kälteste Winter seit 2000, als die Wintermonate 0,37 Grad über dem Mittelwert gelegen hatten. Genau nachzulesen sind diese Daten für jeden Monat seit Januar 1880 beim Goddard Institute for Spacestudies (GISS) der NASA in New York.

Einige Aufregung hatte es im Februar in den Reihen de Klimawandel-gibt-es-nicht-Hysteriker gegeben, als jemand festgestellt hatte, dass die Differenz zwischen dem Januar 2007 und dem Januar 2008 die größte je zwischen zwei Monaten aufeinander folgender Jahre festgestellte gewesen ist. War die Erwärmung gestoppt, wie einige Blogger schrieben? Wohl kaum. Der Effekt war einfach dadurch zustande gekommen, dass der Januar 2007 mit plus 1,08 Grad Celsius Abweichung zum Referenzwert nicht nur mit Abstand der wärmste Januar seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen war, sondern auch der Monat mit der größten positiven Abweichung. Entsprechend groß fiel natürlich die Differenz zum für die letzten Jahre eher kühlen Januar 2008 aus.

Als Europäer kratzt man sich allerdings am Kopf, wenn man die Meteorologen von einem eher kühlen Januar schreiben sieht. Davon konnte hierzulande natürlich keine Rede sein. Selbst Skandinavien war ungewöhnlich warm. Aufschluss gibt darüber eine räumliche Darstellung der Temperaturanomalien, auf der zu sehen ist, dass es in weiten Teilen Asiens zu kalt war, während Nordeuropa und auch der Norden Sibiriens im Durchschnitt erheblich zu warm war.

Abweichung des Zwei-Monatsmittelwertes für Januar und Februar vom langjährigen Mittelwert der beiden Monate. Deutlich zu sehen ist, dass anders als 2005 und 2007 2008 die Erwärmung nicht die gesamte Arktis erfasst hatte. Dafür fiel sie über Skandinavien und Nordrussland um so extremer aus, auch wenn die zurückliegenden Monate im globalen Mittel etwas kühler waren, als die Vergleichsmonate seit Beginn des Jahrtausends. Grafik: GISS

Entsprechend differenziert ist auch das Bild der Eisbedeckung in der Arktis. Einerseits ist die Fläche derzeit größer als in den letzten zwei oder drei Jahren, dabei allerdings noch immer kleiner als der Vergleichswert der Jahre 1980 bis 2000. Andererseits hat es im Bottnischen und Finnischen Meerbusen bis Ende Februar kaum Eis gegeben, was ein erhebliches Problem für die dort lebenden Robben darstellen dürfte. Auch die arktischen Küsten Nordwestrusslands blieben fast den ganzen Winter über nahezu eisfrei. Erst in den letzten Wochen ist es dort, wie auch in der nördlichen Ostsee zu massiver Eisbildung gekommen. Vermutlich wird das Eis aber schon bald wieder verschwunden sein. Mitte März – manchmal etwas früher, manchmal auch etwas später – hat die Eisbedeckung auf dem arktischen Ozean und in dessen Randmeeren für gewöhnlich ihren Höhepunkt erreicht.

Darstellung der Eisbedeckung im Februar 2008 rote und blaue Flächen zeigen die Abweichung (Anomalie) vom Referenzwert. Deutlich zu sehen ist das fehlen von Eis an Russlands Nordwestküste und in der nördlichen Ostsee. Bild: State of the Canadian Cryosphere