Türkei-Wahlen: AKP weiter stärkste Partei

Die Hoffnungen der Opposition, dass die Skandale der letzten Monate die Partei schwächen, bleiben unerfüllt

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In 81 Provinzen der Türkei fanden am 30. März die Regionalwahlen statt. Zwar wurden in erster Linie Bürgermeister und Stadtverordnete gewählt, doch dass es sich um eine Richtungswahl von nationaler Bedeutung auch in Hinsicht auf die im August anstehenden Präsidentschaftswahlen handelte, hatte sich lange zuvor abgezeichnet. Die große Frage war, ob Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gestärkt oder geschwächt aus den Wahlen hervorgehen würde. Trotz der Gezi-Proteste und des Korruptionsskandals gingen Beobachter im Vorfeld von einem stabilen Ergebnis für die regierende AKP aus – und behielten Recht.

Am Sonntagvormittag zeichnete sich bereits früh eine überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung ab, inzwischen wird von einer historisch einmaligen Beteiligung von über 90% gesprochen. Vielerorts gab es lange Schlangen vor den Wahllokalen, teils mussten die Bürger mehrere Stunden warten, bis sie ihre Stimme abgeben konnten, weshalb einige Wahllokale am Abend eine Stunde länger geöffnet blieben.

Zeitgleich häuften sich in den sozialen Medien die Meldungen über Manipulationen. Es hieß, es gäbe säckeweise manipulierte Stimmzettel, in Istanbul tauchten demnach in mehreren Wahllokalen Stimmzettel auf, die bereits für die AKP gestempelt gewesen seien. An mehreren Orten hielten Wähler dies schriftlich fest und ließen die Anwesenden unterschreiben, um die mutmaßlichen Manipulationen zu belegen. Schon bei den letzten Wahlen hatte es immer wieder vergleichbare Berichte gegeben. Wahlhelfer berichteten zudem, sie seien unter Druck gesetzt worden. Online berichteten Beobachter aus Wahllokalen im ganzen Land, woraus sich der Eindruck massiver Manipulationsversuche im Sinne der AKP ergibt. Vielerorts wurden demnach Wahlbeobachter des Gebäudes verwiesen und teils auch zur Stimmauszählung nicht wieder hereingelassen.

Aber auch ohne Manipulationen dürfte die AKP als stärkste Partei aus der Wahl hervorgehen. Schon bei den ersten Hochrechnungen zeichnete sich ab, dass sie in über der Hälfte der 81 Provinzen die meisten Stimmen erhielt – und das mit teils weitem Abstand. Dass in Izmir die CHP fest im Sattel bleiben würde ebenso wie die BDP in Diyarbakir, war ebenso klar.

Auch wenn viele nach den Ereignissen der letzten Monate sicher gehofft hatten, die AKP würde deutlich verlieren, so hatte doch niemand so recht daran geglaubt. Wichtiger war die Frage, wie es in den größten und politisch wichtigsten Städten des Landes – Istanbul und Ankara – ausgehen würde. Am späten Abend steht die AKP knapp vor der CHP, allerdings gab es auch Bilder wie diese aus Beyoglu/Istanbul, wo AKP-Anhänger die Stimmauszählung aktiv behinderten. Sollte auch das finale Ergebnis, das erst in ein bis zwei Tagen zu erwarten ist, für die AKP ausfallen, sind erneute Proteste wegen Wahlmanipulation zu erwarten.

Die wesentliche Frage ist, wie es passieren kann, dass eine Partei wie die AKP trotz aller Skandale fest im Sattel sitzt. Seit Dezember steckt die AKP-Regierung in einem Korruptionsskandal, in dem es um Milliardensummen geht. Whistleblower, die mutmaßlich aus dem Umfeld von Erdogans Rivalen Fethullah Gülen stammen, hatten zahlreiche Gesprächsmitschnitte von Erdogan und seinem engsten Kreis via YouTube veröffentlicht, die die Verstrickung der höchsten Regierungsebene in den Skandal belegten.

Nach den Massenprotesten vom vergangenen Sommer und Herbst war Edogan ohnehin bereits angeschlagen. Nur wenige Tage vor den Kommunalwahlen tauchte ein weiteres Tonband auf, auf dem zu hören ist, wie Außenminister Davutoglu, dem Chef des Geheimdienstes MIT Hakan Fidan, dem Armeegeneral Yasar Güler sowie Staatssekretär Feridun Sinirlioglu eine False-Flag-Operation planen, um die Türkei in einen Krieg mit Syrien zu ziehen. Unter anderem wurde überlegt, türkische Agenten von syrischem Boden aus Raketen auf die Türkei abfeuern zu lassen. Erdogan hatte in den Wochen zuvor mehrfach gedroht, ein syrischer Angriff würde eine harte Reaktion nötig machen. Besonders brisant: Derzeit hat die NATO Patriot-Stellungen an der syrischen Grenze zum Schutz der Türkei stationiert. An dem Einsatz ist auch die Bundeswehr mit mehreren hundert Soldaten beteiligt.

Nach Bekanntwerden der Pläne der türkischen Regierung hagelte es Kritik aus dem Bundestag – vor allem SPD-Politiker fordern, den Vorgang zu prüfen und die Stationierung deutscher Soldaten vor Ort zu überdenken (Deutsche Politiker uneins über Konsequenzen aus False-Flag-Leak). Nach Veröffentlichung des Tapes wurde nach Twitter auch YouTube gesperrt (Türkei sperrt auch Tor und YouTube). Beide Seiten sind in der Türkei derzeit nur über Umwege zu erreichen. Die Medien erhielten noch am selben Tag einen Maulkorb, dem sich nur wenige widersetzten und dennoch über die Causa YouTube und Syrien-Verschwörung berichteten.

Zum Teil wenigstens scheint die Manipulation der öffentlichen Meinung zu funktionieren. Immer wieder stellte Erdogan bei seinen Wahlkampfauftritten seine (zweifellos vorhandenen) Leistungen für das Land in den Vordergrund. Der Lebensstandard vieler Menschen ist im letzten Jahrzehnt deutlich gestiegen, und viele verknüpfen das ganz direkt mit der AKP und der Person Erdogans. Durch massive Eingriffe in die Medien ist es ihm zudem gelungen, ein durchweg positives Bild von sich in der Öffentlichkeit zu zeichnen.

Das größere Problem scheint aber, dass viele seiner Anhänger von demokratischen Werten wie Meinungsfreiheit ebenso wenig zu halten scheinen wie der Premier selbst. Seine Zensurmaßnahmen, die Internetsperren, die Interventionen bei Polizei und Justiz, was zu einer weitgehenden Aufhebung der Gewaltenteilung geführt hat, all das halten sie für richtig. Wer kriminelle Machenschaften der Regierung aufdeckt, ist nicht jemand, der dem Land helfen will, sondern allenfalls ein Nestbeschmutzer, den es zu bekämpfen gilt – auch mit Gewalt.

Erdogan hatte für die AKP ein mindestens ebenso starkes Ergebnis wie bei den letzten Kommunalwahlen angepeilt (38,5%). Das wurde nun sogar übertroffen. Er wird sich in seinem kompromisslosen Kurs bestätigt sehen und ihn fortsetzen. Es ist zu befürchten, dass sich seine Politik nach dieser Wahl weiter radikalisieren wird. Viele Jahre schien es, als sei die Türkei auf dem besten Weg, ein demokratischer Rechtsstaat zu werden. Jetzt bewegt sie sich mit großen Schritten in die entgegengesetzte Richtung.