Türkischer Geheimdienst infiltriert auch Deutschlands Polizei?

Fälle in Wiesbaden und Köln rücken enge Verbindungen von Polizisten zu Institutionen wie DITIB, Milli Görüs, der UETD oder der Islamischen Föderation in verdächtiges Licht

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Nachdem im Juli bekannt wurde, dass der türkische Geheimdienst MIT versucht hat, Agenten über ausgeschriebene Stellen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einzuschleusen, legen nun verschiedene Medienberichte nahe, dass der türkische Geheimdienst seine Leute auch in Deutschlands Polizeibehörden platziert hat.

Die Polizei wirbt besonders bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst. Vor dem Hintergrund der jüngsten Spionage-Verdachtsfälle könnten deutsche Behörden nun ein weiteres Problem mit Erdogans langem Arm haben. Fortschrittliche türkische und kurdische Organisationen in Deutschland warnen schon seit einiger Zeit vor einem Netzwerk von MIT-Agenten, das über den islamischen Dachverband DITIB, türkische Konsulate, Unternehmen und Banken gebildet wurde. Es hat nun ganz den Anschein, als ob auch gezielt versucht wird, auch deutsche Behörden zu infiltrieren.

MIT-Agentin in Wiesbadener Polizei?

Jüngstes Beispiel ist die Hauptkommissarin D. Y., der enge Verbindungen zum MIT vorgeworfen werden. Im Dezember letzten Jahres kam bei einer Routineuntersuchung des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) heraus, dass die in Ankara geborene Beamtin wahrscheinlich Kontakte zum türkischen Geheimdienst hatte. Ihre Vorgesetzten nahmen dies allerdings nicht ernst.

Wie die Welt berichtet, sollen dann der Chef des hessischen Verfassungsschutzes, Robert Schäfer, und die Chefin des Landeskriminalamtes, Sabine Thurau, Druck auf die dafür zuständige Geheimschutzbeauftrage ausgeübt haben, die negative Einschätzung zu revidieren, obwohl es klare Indizien gab: verdächtige Kontakte zu Mitarbeitern der türkischen Generalkonsulate in Frankfurt am Main und Mainz sowie zu Sicherheitsbehörden in der Türkei, die der Verfassungsschutz als MIT-Angehörige erkannt hat.

Konsulate und Botschaften sind als Betätigungsfelder für Agenten bekannt, insofern haben die Vorwürfe einige Plausibilität. Fliegt eine Geheimdiensttätigkeit dieser Mitarbeiter auf, müssen sie wegen ihres Diplomatenstatus keine Strafverfolgung fürchten. Nun wurde bekannt und durch Fotos belegt, dass ein ehemaliges hochrangiges Mitglied des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland, der frühere Frankfurter Generalkonsul Ilhan Saygili (2008-2012), in engem Kontakt mit D. Y. stand.

Dem Bericht zufolge traf sich D.Y. regelmäßig mit den beiden türkischen Konsulen von Frankfurt und Mainz. Saygili nahm sie zu jedem Event mit, zu dem er eingeladen war. Der Verfassungsschutz geht mittlerweile davon aus, dass D.Y. über diese Kontakte zu den Konsulen vertrauliche Informationen mit diesen teilte. Als hohe Polizeioffizierin und Migrationsbeauftragte der Polizei hatte sie Zugang zu sensiblen Daten aus der türkischen und kurdischen Community.

Der Konsul Saygili wurde am 14. November 2016, also nach dem Putsch vom Juli 2016, zum türkischen Botschafter in der Schweiz befördert. Bereits in seiner Zeit als Frankfurter Generalkonsul unterhielt er enge Beziehungen zur Frankfurter AKP-nahen UETD (Union der europäischen türkischen Demokraten) und setzt diese Kontakte auch zum Schweizer UETD-Verband fort, deren Veranstaltungen er regelmässig besucht.

Murat Şahin, hochrangiges Mitglied der UETD in der Schweiz, arbeitet nach einem ANF-Bericht offiziell für den MIT bzw. für unterschiedliche staatliche Institutionen. Die Hauptkommissarin D.Y. soll auch Kontakte zum ehemaligen JITEM-Mitarbeiter Abdullah Ağar gehabt haben. (JITEM ist in der Türkei eine militärische Geheimorganisation und wird dem "tiefen Staat" zugerechnet.) D. Y. soll sich mit Ağar am 22. Juli in Bremen getroffen haben.

Ağar, der heute in der Türkei offiziell als "Sicherheitsexperte" auftrat, war viele Jahre an den "Spezialoperationen" der türkischen Militärs in den kurdischen Gebieten beteiligt. Die Vorgesetzte von D.Y., Sabine T., ist selbst kein unbeschriebenes Blatt. Sie soll neben D.Y. auch den Polizisten Klaus B. gedeckt haben, der 1994 in Hannover den Kurden Halim Dener erschossen hatte. Jener Klaus B. wurde dann nach Hessen umgesetzt und gehörte dort zu T's Mannschaft, wie der ehemalige hessische Staatsanwalt Hans Christoph Schaefer im Jahr 2013 bekannt machte.

Er war einer derjenigen Polizeibeamten, die vor allem Jagd auf Kurden machten. In diesem Zusammenhang veranlasste T. am 26. Juli 2007 eine Razzia bei vier Mitgliedern des Mesopotamien-Kulturvereins in Gießen. Angeblich sollten sie einen Plan zur Ermordung von Klaus B. entwickelt haben. Das Gericht nannte die Vorwürfe später "lächerlich" und entschied, dass die vier Kurden eine Entschädigung erhalten sollten. T. wurde dann 2011 wegen einer Falschaussage vor Gericht gegen Klaus B. und Machtmissbrauch vom Dienst suspendiert.

2013 wurde sie von einem Frankfurter Gericht freigesprochen und konnte ihren Dienst wieder aufnehmen. Sie machte anscheinend in gleicher Manier weiter: Die Hinweise von Hessens Verfassungsschutz, D.Y. sei vermutlich ein MIT-Maulwurf, verschwanden laut Berichte der kurdischen ANF in ihrer Schublade.

Verdachtsfall auch in der Kölner Polizei

In Köln wurde nun ein weiterer Fall bekannt: Ein deutsch-türkischer Hauptkommissar der Kölner Polizei soll enge Beziehungen zu DITIB und zum MIT haben. Der Hauptkommissar arbeitet seit fast 10 Jahren in der Kölner Polizei. Er steht unter anderem in engem Kontakt mit der Europäischen Türkisch-Islamischen Union (Avrupa Türk İslam Birliği - ATİB), die neben DITIB als weitere MIT-Institution in Europa und besonders in Österreich, fungieren soll.

Vermutet wird, dass er zum "deutschen Team" des national-konservativen AKP-Abgeordneten Mustafa Yeneroğlu gehört. Yeneroğlu lebte lange in Deutschland, ist mittlerweile Teil des engeren Erdogan-Umfelds in Ankara und tritt in Deutschland gerne als Sprachrohr von Erdogan auf. 2014 war er zum Generalsekretär der islamistischen türkischen Organisation "Milli Görüs" (IGMG) gewählt worden.

Im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht von 2014 wird über die Ziele von Yeneroğlu bei der IGMG ausführlich berichtet. Demnach legt er den Schwerpunkt auf das koordinierte Handeln der islamischen Gemeinden in Europa in Richtung der gemeinsamen Ideale: "Nur durch eine starke Vertretung der Anliegen der Muslime in den oberen Gremien können wir unsere institutionellen Rechte erlangen"

Hierzu zählten die Gründung von Lehrstühlen für islamische Theologie an europäischen Universitäten, die Ausbildung von Imamen, das Angebot von Religionsunterricht an staatlichen Schulen, die Beseitigung von Hindernissen beim Bau von Moscheen, die Vertretung in den obersten Gremien der Rundfunk- und Fernsehanstalten, die gleichberechtigte Vertretung von Muslimen in den Beratungs- und Beschlussmechanismen sämtlicher offizieller Institutionen, die Einrichtung von Krippen, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen und sonstigen Institutionen, für die Bedarf bestehe.

In diesem Zusammenhang kündigte er an: "Wir werden unsere Vereine nacheinander aufsuchen und versuchen, alle für diesen Prozess zu begeistern." Außerdem bekräftigte laut Verfassungsschutz Yeneroğlu die Bedeutung der politischen Teilhabe in den Aufenthaltsländern: "Wir müssen in den Stadtteilen und Städten, wo sich unsere Vereine befinden, mit den im Gesellschaftsleben einflussreichen Personen und Institutionen Kontakte knüpfen und diese verstetigen."

Diese Äußerungen hören sich im ersten Moment harmlos an, denn auch fortschrittliche Muslime fordern seit langem Lehrstühle für islamische Theologie an europäischen Universitäten und die Ausbildung von Imamen in Deutschland - allerdings von ideologisch unabhängigen Institutionen und nicht von türkischen, regierungstreuen Institutionen wie DITIB, Milli Görüs oder der Islamischen Föderation.

Solche Äußerungen von 2014, dem Jahr, wo Erdogan die Friedensgespräche mit den Kurden aufkündigte und auf den islamistischen Kurs umschwenkte, müssen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung der Türkei in den letzten Jahren neu gelesen und bewertet werden.

Zu lange hat man in Deutschland die Entwicklungen in der Türkei nicht in Zusammenhang mit den Bemühungen der islamischen und konservativen türkischen Organisationen um Reputation gebracht. DITIB, die UETD, die konservative "Türkische Gemeinde" und die Islamische Föderation wurden geradezu von der deutschen Politik hofiert. Für fortschrittliche Vereine wie den "Türkischen Bund", die HDP und den kurdischen Dachverband "Nav Dem" blieben die Türen dagegen weitgehend verschlossen.

Sie wurden zum Teil in die linksextremistische Ecke gestellt. In der Folge wurden ihre Aktivitäten auch vom Verfassungsschutz mit der Extremisten-Brille betrachtet und bewertet. Das hat bis heute die Kriminalisierung der fortschrittlichen Türken und Kurden zur Folge, während die rechten und konservativen Organisationen weiterhin mitspielen dürfen. So wie Mustafa Yeneroğlu, dem gerne in deutschen Talkshows eine Bühne für Erdogans Botschaften geboten wird.

MIT-Agenten im Dienste der Polizei gegen demokratische Vereine?

Der genannte Kölner Hauptkommissar soll im April 2016 im Zuge eines geplanten Angriffs nationalistischer Türken auf ein kurdisches Zentrum versucht haben, diese Situation für eine Durchsuchung des kurdischen Zentrums zu nutzen. Dem war eine kurdische Demonstration unter dem Motto: "Ja zur Demokratie - Nein zur Diktatur" vorangegangen. Im November 2016 soll der Hauptkommissar angeordnet haben, alle Teilnehmer der Demonstration ausfindig zu machen.

Er soll auch regelmäßig Veranstaltungen von Milli Görüs besucht haben, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. So soll er vergangenes Jahr zusammen mit dem türkischen Konsul aus Köln und dem muslimischen Unternehmerverein MÜSIAD ein Iftar-Essen besucht haben. Er organisierte mit dem türkischen Konsulat mehrere Veranstaltungen, um türkische Jugendliche für den Polizeidienst zu gewinnen. Vor dem Hintergrund einer möglichen Nähe zum MIT erscheinen diese Vorgänge heute in einem ganz neuen Licht.