US-Militär rät von baldigem Angriff auf den Irak ab

Nach den Ergebnissen einer großen Simulation würden derzeit die militärischen Kapazitäten für einen größeren Krieg nicht ausreichen

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Nach den Ergebnissen aus einer geheimen Kriegssimulation rät das Pentagon die US-Regierung davon ab, derzeit eine größere militärische Aktion im Kampf gegen den Terrorismus durchzuführen. Das betrifft selbstverständlich die Bush-Pläne eines Angriffs auf den Irak, der seit langer Zeit erwartet wird. Die Belastung für die Mannschaft und die Knappheit an bestimmten Waffen seien dafür zu groß, auch wenn ein kleinerer regionaler Konflikt bei Aufrechterhaltung des gegenwärtigen globalen Engagements noch zu gewinnen wäre.

Das Kriegsspiel mit dem seltsamen Namen "Prominent Hammer" hat deutlich gemacht, dass die Sicherungsmaßnahmen in den USA, der Krieg in Afghanistan und der Ausbau der Militärstützpunkte die Einsatzfähigkeit des US-Militärs ernsthaft gefährden. Für einen Krieg gegen den Irak gebe es nach der Simulation zu wenig Tanker, Transportflugzeuge und Geräte zur Überwachung und zur elektronischen Störung, da der Krieg in Afghanistan, der zwar als begrenzter Einsatz galt, in manchen Hinsichten dennoch die Kapazitäten eines größeren Kriegs erforderlich machte.

Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Vize Wolfowitz wurden über die Ergebnisse der Simulation, die in den ersten beiden März-Wochen stattgefunden hatte, ausführlich informiert. Obgleich zur Beurteilung der Einsatzfähigkeit regelmäßig Simulationen durchgeführt wurden, scheint "Prominent Hammer" ungewöhnlich umfassend gewesen zu sein, um Kapazitäten für künftige Aktionen im Kampf gegen den Terrorismus und für mögliche Bedrohungen im Hinblick auf die gegenwärtig laufenden Operationen abzuschätzen. Dabei stand nicht wie sonst üblich ein militärischer Konflikt mit einem bestimmten Feind im Vordergrund, sondern es ging um die Belastung der weltweiten Strukturen des US-Militärs durch irgendeinen Krieg, der von der Regierung angeordnet werden könnte.

Die New York Times zitiert einen Offizier, der sagte, dass die USA nach der Simulation durchaus Irak oder Nordkorea angreifen könnten, während andere offenbar erhebliche Zweifel äußerten, zumal neben den Einsätzen der gleichzeitige Schutz der Militärstützpunkte im In- und Ausland große Kräfte binden würde. Nach Informationen, die die Washington Post aus dem Pentagon erhalten hat, soll das US-Militär die politische Führung des Pentagon davon überzeugt haben, dass ein Angriff auf den Irak frühestens im nächsten Jahr - wenn überhaupt - stattfinden kann. Rumsfeld selbst hatte noch vor kurzem, als bereits über fehlende Einsatzfähigkeiten der Streitkräfte diskutiert wurde, versichert, dass dann, wenn die USA eine militärische Aktion unternehmen wollen, "wir dies auch machen können".

Schon zu Beginn des Monats hatte US-Oberbefehlshaber Tommy Franks Präsident Bush über die Lage bei einem Angriff auf den Irak informiert. Die Militärs fürchten beispielsweise, dass ein in die Enge getriebener Hussein alle Rücksichten fallen lassen und dann zu biologischen oder nuklearen Waffen greifen könne. Überdies bestünde die Gefahr von verlustreichen Kämpfen, wenn Bagdad Straße für Straße erobert werden müsste. Franks geht davon aus, dass für einen Angriff mindesten 200.000 Soldaten notwendig wären. Eine ähnliche Unterstützung durch heimische Bodentruppen fürs Gefährliche wie in Afghanistan durch die Nordallianz gibt es im Irak nicht, eine wirkliche Idee über einen Nachfolger Husseins wohl auch nicht.

Bush droht zwar weiterhin militärische Aktionen gegen Unterstützerländer des Terrorismus an und beharrt darauf, dass Saddam Hussein entmachtet werden müsse, wird aber nicht konkreter und versicherte jetzt auf einer Pressekonferenz in Berlin wieder, dass es keine aktuellen Kriegspläne gebe. Aufgegeben hat er die Pläne für weitere Kriege aber wohl nicht - und Hussein ist nach dem Untertauchen von bin Ladin sicherlich wieder an die erste Stelle der Bösen hochgerutscht.

Ob nun die Falken in der Regierung tatsächlich einen Krieg gegen den Irak verschieben oder ganz aufgeben, ist aber noch keineswegs entschieden. Auch innerhalb des Militärs scheint es Widerstand gegen die zögerliche Haltung der Führung zu geben, wie die Washington Post berichtet.