USA: Ein Wiki gegen Wahlbetrug

Bürgerrechtsaktivisten bereiten sich auch bei den kommenden Wahlen in den USA wieder auf Probleme vor

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Mit Sorge sehen Bürgerrechtsaktivisten den nahenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten entgegen. Während in der Öffentlichkeit - auch in Europa - fast nur die TV-Debatten zwischen den Kandidaten wahrgenommen werden, formiert sich in den USA eine Bürgerbewegung gegen die mögliche Verfälschung der Ergebnisse. Die Befürchtungen sind nicht weit hergeholt: Bei der Abstimmung im Jahr 2000 gab es massive Probleme mit Wahlmaschinen (Warum die Amerikaner sich bei den Wahlen verzählen), 2004 dann führte der Umgang mit den Stimmen zu Unmut. Auch bei den Halbzeitwahlen zum Kongress im Jahr 2006 wurden rund 3,2 Millionen Stimmen nicht anerkannt, darunter 350.000 von Briefwählern und rund 163.000 provisorische Stimmzettel. Letztere werden ausgegeben, wenn ein Wähler nicht im Abstimmungsverzeichnis der Behörden aufgeführt ist.

Angesichts der zahlreichen Probleme wollen Wahlexperten, Aktivisten und Bürger nun gemeinsam ein Kontrollsystem aufbauen. Der so genannte Election Protection Wiki (Wahlschutz-Wiki) des Center for Media and Democracy soll die zentrale Plattform zum Schutz der Bürgerrechte werden. Ähnlich wie bei anderen Hypertext-Systemen werden angemeldete User die Probleme, Beobachtungen und sonstige relevante Informationen eintragen können.

"Die letzten Wahlgänge waren schließlich gespickt mit Kontroversen und Streits", sagt der Organisator des Projekts, Conor Kenny. Unzählige Organisationen und tausende Bürger hätten sich seit dem letzten Wahlgang für Untersuchungen der Geschehnisse und für Reformen des Wahlrechts eingesetzt, "aber die Informationen sind im ganzen Internet verstreut. Wir wollen deswegen ein zentrales Portal schaffen". Im Übrigen sei die Initiative von politischen Parteien unabhängig, fügt Kenny an, der auf die Selbstregulierungsmechanismen des Internets hofft.

Sind die Behörden dem Ansturm neuer Wähler gewachsen?

Aufmerksam verfolgen die Aktivisten des Election Protection Wiki einen laufenden Streit zwischen der Demokratischen Partei und den Republikanern. Weil sich vor den diesjährigen Präsidentschaftswahlen so viele Bürger wie nie zuvor in die Abstimmungsregister haben eintragen lassen, befürchten die Republikaner Wahlbetrug. Sie werfen den Anhängern Barack Obamas vor, sich mit falschen Namen in die Wählerregister eintragen zu lassen.

Obwohl einzelne solcher Versuche tatsächlich festgestellt wurden, gibt es nach Angaben von Beobachtern keine Anzeichen dafür, dass gefälschte Einträge tatsächlich Aussicht auf eine Berücksichtigung bei den Wahlen haben. Im Gegenzug lasten die Demokraten ihren Republikanischen Widersachern an, unzählige Namen aus den Registern streichen zu lassen. Theoretisch können die betroffenen Bürger dann zwar noch provisorische Stimmzettel nutzen. Doch der Umgang mit diesen Dokumenten in der Vergangenheit beweist, dass viele dieser Voten nicht berücksichtigt werden.

Auch Michael Slater von der Bürgerrechtsorganisation Project Vote warnt deswegen vor Problemen am Wahltag. "Sowohl Experten als auch staatliche Wahlbeauftragte sagen eine historische Wahlbeteiligung voraus", sagt Slater, der den Wahl-Wiki unterstützt. Unter den Neuwählern befänden sich vor allem Angehörige politisch marginalisierter Gruppen: Einkommensschwache, ethnische Minderheiten, Immigranten und junge Erstwähler. "Neueste Informationen lassen uns befürchten, dass die Wahlbeauftragten in den Bezirken diesem Ansturm nicht gewachsen sein werden." Slater geht es deswegen darum, "die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen". Man dürfe nicht erst wieder nach den Wahlen Manöverkritik üben.

Der Bürgerrechtsaktivist verweist auch auf die tiefen Klüfte in der US-Bevölkerung, wenn es um die demokratische Teilnahme an den Wahlen geht. Afroamerikaner lägen in der Beteiligung zehn Prozent hinter weißen US-Amerikanern, bei Lateinamerikanern betrage der Unterschied zur weißen Bevölkerung sogar 20 Prozent. In totalen Zahlen bedeute das eine Wahlenthaltung von gut 7,5 Millionen Menschen. Eine ähnliche Kluft zeige sich bei den unterschiedlichen Einkommensgruppen. Wer in den USA über 100.000 Dollar pro Jahr verdient, beteiligt sich doppelt so oft an Wahlen wie ein Bewohner mit einem Jahreseinkommen unter 25.000 Dollar.

"Swing States" unter besonderer Beobachtung

Aktivisten wie Slater und Kenny geht es deswegen gleichermaßen darum, die Wahlbeteiligung zu fördern und Manipulation zu verhindern. Schon vor der Abstimmung sollen Bürgerrechtsgruppen über den Wahl-Wiki mit entsprechenden Informationen versorgt werden. Am Wahltag selbst wird die Veröffentlichung etwaiger Verstöße und Unregelmäßigkeiten im Vordergrund stehen. Und nach dem Urnengang schließlich soll der Wahl-Wiki als zentrales Archiv genutzt werden.

Zunächst geht es aber um einen möglichst reibungslosen Ablauf. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den so genannten Swing States zu, in denen Demokraten und Republikaner gleichauf liegen. Denn während Stimmen oft aus Unkenntnis der Wahlmitarbeiter nicht gezählt oder Stimmabgaben durch bürokratische Hürden verhindert werden, könnte es hier zu vorsätzlicher Manipulation kommen. Zu den umkämpften Staaten gehören Arizona, Colorado, Florida, Michigan, Missouri, New Mexico, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin. Hier wollen die Wahlrechtsaktivisten besonders aufmerksam sein. Man beobachte, heißt es in der Beschreibung des Projektes, ob es zu langen Wartezeiten vor den Lokalen kommt, ob die Stimmzettel ausreichen, wie die Wahlcomputer funktionieren und wie sich die Wahlmitarbeiter verhalten.

Auf den ersten Blick mag das pingelig erscheinen, doch die Erfahrung gibt den Aktivisten Recht. Im US-Bundesstaat Ohio etwa kam es nach Angaben des BBC-Journalisten Greg Palast bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2004 zu enormen Unterschieden durch eine ungleiche Verteilung der Wahlcomputer (Kidnapping an den elektronischen Wahlurnen?). "In wohlhabenden weißen Vierteln mussten die Wähler im Schnitt nur 15 Minuten warten", sagt Palast. In ärmeren Stadtteilen mit einer mehrheitlich schwarzen Bevölkerung hätten die Menschen Wartezeiten von bis zu vier Stunden in Kauf nehmen müssen.