USA: Kulturkampf um das Recht auf Abtreibung

"Roe-Rally"; Archivbild (2019): Senate Democrats/CC BY 2.0

Schwache Demokraten und Republikaner mit Hang zum Despotismus: Was passiert, wenn "Roe v. Wade" gekippt wird

In den USA betreibt die konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof, dem Supreme Court, die Abschaffung des bisher in den USA zumindest theoretisch allgemeingültigen Rechts auf Abtreibung. Laut eines am letzten Montag im Magazin Politico erschienenen, geleakten Dokumentes bereitet Verfassungsrichter Samuel Alito ein Argument vor, das direkt darauf abzielt, das historische verfassungsgerichtliche Urteil "Roe v. Wade" zu kippen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die konservativen Richterinnen und Richter des höchsten US-amerikanischen Gerichts zur Entscheidung durchringen würden, die reproduktive und körperliche Selbstbestimmung der US-amerikanischen Bevölkerung anzugreifen.

Das Argument für dieses rein ideologisch motivierte Vorhaben stellt das Konzept körperlicher Selbstbestimmung auf den Kopf und behauptet, das einstige Urteil sei unzulässig, da es den Staat zu Euthanasie und Bevölkerungsregulierung ermächtige.

Zugegeben, der US-Staat und die Frauenbewegung haben hinsichtlich dieser Vorwürfe historisch gesehen sicherlich keine reine Weste vorzuweisen. Jedoch ist es geradezu zynisch, diese Vergangenheit nun dazu zu nutzen, körperliche Autonomie eben jener Gruppen einzuschränken, die damals unter den rassistischen Forderungen der Frauenbewegung zu leiden hatten.

Die Freiheit zur Familiengründung

Auch der Rest von Alitos Argument liest sich wie eine Sammlung der "Greatest-Hits" der "Pro-Life"- Bewegung. So weist der Verfassungsrichter in dem geleakten Text auch darauf hin, dass das Recht auf Abtreibung gar nicht von der Verfassung geschützt sein könne, da das Wort "Abtreibung" nicht in dem altehrwürdigen Dokument vorkomme.

Ein Argument, das von der Pro-Choice Bewegung und jedem Individuum mit Menschenverstand, zurecht mit Verweis auf den 14ten Zusatzartikel der Verfassung zurückgewiesen wird. Dieser, seit der "Reconstruction" existierende, Verfassungszusatz ist es, welcher der US-Bürgerschaft das Recht auf individuelle Freiheit garantiert. Und diese Freiheit beinhaltet "das Recht zu entscheiden, ob und mit wem sie eine Familie gründen wollen".

Kaum lässt sich heute das Grauen, auf das sich ein solches Gesetz so kurz nach der Abschaffung der Sklaverei bezieht, noch vorstellen. Der Kampf um die reproduktiven Rechte jedoch ist leider immer noch hochaktuell.

Natürlich dürfte der Schritt, das historische Urteil direkt anzugreifen, den einen oder die andere schockieren, doch wen das politisch-ideologische Ziel dahinter überrascht, die oder der ignoriert den rein politischen Charakter des US-amerikanischen Verfassungsgerichts - und das haben die liberalen Demokraten schon viel zu lange getan.

Die Schwäche der Demokraten

Die USA befinden sich in einem politischen und kulturellen Kampf, der nur von einer Seite mit dem nötigen Ernst und Willen geführt wird. Die Republikaner haben längst verstanden, dass eine Minderheit im Kongress nicht so schlimm ist - solange man die richtigen Stellen im politischen System besetzt.

Deshalb ist es das erklärte Ziel der Federalist Society, möglichst viele Posten im Supreme Court mit konservativen Richter:innen zu besetzen. Auch Richter Samuel Alito steht diesem konservativen Think-Tank nahe. Schon in seiner Rede im November 2020 bei einer Veranstaltung der Society, zeigte Alito deutlich, wie politisch er seine Rolle als Teil des höchsten Gerichtshofes einstuft.

Während Republikaner wie Senator Mitch McConnell ihren Erfolg daran messen, möglichst viele konservative Richter:innen auf Lebenszeit zu benennen, versäumten es die Demokraten wiederholt, hier klare Position zu beziehen. Der letzte Präsident der Demokraten, Barack Obama, galt zunächst als Hoffnungsträger, doch versäumte er es, dass seine Regierung - mit der Mehrheit im Senat und Abgeordnetenhaus - aus dem Urteil "Roe v. Wade" einen Verfassungsartikel oder wenigstens ein Gesetz zu machen.

Als Obama auch nur den leichtesten Druck von der Gegenseite verspürte, fing er an, der wohl wichtigsten "Pro-Choice"-Organisation "Planned-Parenthood" die staatliche Unterstützung zu entziehen. Die Haltung der Partei in Sachen Abtreibungsrechte war also schon damals keine starke.

Auch jetzt, in diesem vielleicht historischen Moment, zeigt die Demokratische Partei große Schwächen. Während ihre republikanischen Kollegen eindeutig die Angst vor jeglicher Grenzüberschreitung abgelegt haben, schaffen es die Demokraten nicht einmal, im Ansatz so etwas wie Parteidisziplin, geschweige denn eine politische Linie aufrechtzuerhalten.

So sieht das Parteiestablishment der Demokraten kein Problem darin, den Abtreibungsgegner Henry Cuellar in der Vorwahl der Partei in Texas gegenüber der progressiveren Herausforderin Jessica Cisneros zu unterstützen. Cisneros hat immerhin die Unterstützung der Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren sowie der demokratischen Abgeordneten aus New York, Alexandria Ocasio-Cortez und Jamaal Bowman. Es herrscht also wieder einmal Uneinigkeit in der Partei.

Die vielen Spendenaufrufe der Demokratischen Partei mit Verweis auf die bevorstehende Entscheidung des US-Verfassungsgerichts zeigen, wie der Parteiapparat selbst in dieser Ausnahmesituation nicht in der Lage ist, anders als gewöhnlich zu reagieren.

Vom demokratischen Parteiestablishment wird jede republikanische Bedrohung primär nämlich so gesehen: als Möglichkeit, über die Angst der Menschen ihre nächsten Wahlkämpfe zu finanzieren. Dabei vergisst die Partei allerdings eine schwer von der Hand zu weisende Tatsache.

Nicht nur ihre Finanzierung, sondern auch ihre Existenz hängt davon ab, hin und wieder das allergrößte Übel von der Wählerschaft abzuwenden. Denn die schrittweise Illegalisierung von Abtreibungen ist nicht nur ein großes Übel, sie zeigt ganz klar den Hang einer gewissen konservativen Schicht zum Despotismus.

Eine Demokratische Partei, die ihren Wählerauftrag wahrnimmt, müsste jetzt alles daran setzen, die Macht des Supreme Courts einzuschränken und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu wahren. Ob hierfür die Abschaffung des Filibusters oder die Sprengung des Verfassungsgerichts durch das Hinzufügen von mehreren liberalen Richter:innen nötig ist, sollte den Demokraten eigentlich egal sein.

Gleichwohl, wenn die Biden-Ära eines verdeutlicht hat, dann dass die Demokratische Partei durch ihre Liebe zu den politischen Institutionen wie gelähmt ist. Weder der Präsident noch die Partei werden den unfreiwillig Schwangeren in Amerika zu Hilfe eilen.

Denn dann müssten sie eingestehen, dass weder der Supreme Court noch der Senat schützenswerte demokratische Institutionen sind, sondern lediglich Schauplätze eines politischen und kulturellen Kampfes, der droht, das Land in zwei Lager zu spalten. Eine Realität, die das konservative Establishment auch schon vor Trump längst begriffen hatte.