USA: Leistungsbilanzdefizit soll unter 2 Prozent sinken

Nach der US-Großbank JP Morgan soll das außenwirtschaftliche Defizit der USA Ende nächsten Jahres unter zwei Prozent abfallen. Damit wäre es erstmals seit Jahren "sustainable"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn vor dem Zusammenbruch des Finanzsystems vor einem drohenden Kollaps gewarnt wurde, wurde fast immer auf das gewaltige Defizit in der US-amerikanischen Außenbilanz verwiesen. Da die USA zuletzt jahrelang rund doppelt so viele Güter aus dem Ausland bezogen hatten, als sie dort absetzen konnten, wurde das Defizit in der US-Leistungsbilanz („Current Account“) von den meisten Volkswirtschaftsexperten als klar „unsustainable“ identifiziert. Die Ökonomen der US-Notenbank Fed und der Wall Street verbrachten dann auch viel Zeit damit, Begründungen dafür zu finden, warum die Geldpolitik der Fed dafür nicht verantwortlich sei, es dennoch nicht zu einem Zusammenbruch kommen müsse und wie diese Defizite schmerzlos abgebaut werden könnten. Das führte zu einer wahren Flut an entsprechenden Hypothesen, die beispielsweise auch hier Alle Rätsel gelöst? schon diskutiert wurden.

Zur Erinnerung: Bezieht ein Land mehr Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland, als es dorthin verkaufen kann, fließt Geld aus dem Land, das über die Kapitalbilanz zurückkommen muss (laut paradigmatischer Identität in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung). Das heißt, die ungedeckten Importausgaben der USA müssen entweder durch den Verkauf ans Ausland von US-amerikanischem Anlagevermögen wie z.B. Immobilien und Unternehmensbeteiligungen finanziert werden, oder durch die Aufnahme von Schulden. Dieses Defizit entspricht (wiederum laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung) zudem der Differenz zwischen inländischen Ersparnissen und Investitionen, so dass sich - akkumuliert und um Kapitalgewinne oder -verluste bereinigt - die „international investment position“ eines Landes ergibt. Denn wenn Konsumenten, Unternehmen und Staat weniger investieren, als sie ansparen, investieren sie diese Differenz definitionsgemäß im Ausland (sonst würde das Geld in den inländischen Statistiken aufscheinen), und umgekehrt. Dementsprechend entspricht der Leistungsbilanzsaldo auch der Differenz zwischen einheimischen Käufen ausländischer Assets und ausländischen Käufen inländischer Assets.

Bemerkenswert ist hier, dass in den Jahren mit den höchsten Leistungsbilanzdefiziten auch die amerikanischen Investitionen im Ausland auf Rekordniveaus anstiegen und 2007 bei mehr als zehn Prozent des BNP lagen. Noch einmal um rund die Hälfte höher waren jedoch die ausländischen Investitionen in den USA, da hier ja noch das Leistungsbilanzsaldo hinzukam; d.h. das Ausland finanziert tatsächlich auch die hohen US-Investitionen im Ausland.

Nach Matthew Higgins und Thomas Klitgaard von der Fedaral Reserve Bank in New York hätten die USA selbst in den Boomzeiten dennoch keinen überproportionalen Anteil an den weltweiten Auslandsinvestitionen erhalten. Gemessen am Anteil der USA am Welt-Sozialprodukt würde den USA demnach ein Anteil an den internationalen Investitionen (ohne USA) von 28 Prozent zustehen. Im Bereich der Direktinvestitionen (die eine kontrollierende Beteiligung voraussetzen) läge der US-Anteil sogar deutlich darunter, so hätten die USA von 2002 bis 2006 internationale Direktinvestitionen in Höhe von 6,1 Billionen Dollar erhalten. Während ihnen in einem „neutralen“ Portfolio rund sieben Billionen zugestanden wären. Von den unterschiedlichen Kategorien an Portfolioinvestitionen hätten die USA einzig bei den festverzinslichen Anleihen eine überproportionale Zuteilung erhalten. Was nicht verwundert, bedenkt man, dass die USA seit Jahren mehr als die Hälfte ihrer Budgetdefizite dem Verkauf von Staatsanleihen an das Ausland finanzieren. Insgesamt hätte sich das Volumen internationalen Eigentums an US-Anlagen von 1999 bis 2007 von 8,4 auf 16,2 Billionen Dollar in etwa verdoppelt, während das von Nicht-US-Amerikanern gehaltene Auslandsvermögen von 17,9 auf 47,5 Billionen Dollar deutlich stärker angestiegen sei. Das Gewicht der USA in den internationalen Portfolios hätte sich folglich verringert. Eine Ausnahme bilden hier nur die festverzinslichen Anleihen, deren international ausstehendes Volumen sich in diesem Zeitraum verdreifacht hat.

Ein normales Land bezahlt solche Defizite üblicherweise mit einem Verfall des Außenwertes der eigenen Landeswährung. Um diesen aufzuhalten und die Bilanz ins Gleichgewicht zu bringen, sieht sich die Notenbank dann zumeist auch genötigt, die Leitzinsen stark anzuheben um internationale Gelder anzuziehen sowie das Sparen zu fördern und Investitionen und vor allem den Konsum zu bremsen.

Die USA stellen indes die Weltleitwährung und können sich daher im Ausland in der eigenen Landeswährung verschulden, weshalb derartige Maßnahmen bislang nicht zwingend erforderlich waren. Anders als normale Länder können sich die USA nun – ebenso wie nach den Exzessen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre - über eine Währungsabwertung entschulden. Und da die meisten Rohstoffe auf Dollarbasis gehandelt werden, exportieren die USA zudem ihre inländische Inflation - die angesichts der monetären Expansion mittelfristig unvermeidlich erscheint - unmittelbar in die Welt.

Interessant ist zudem, dass die USA in der Dienstleistungsbilanz zuletzt hohe Überschüsse erzielt hat und auch die Einkommen aus dem Auslandsvermögen gerade in den Jahren kräftig angestiegen sind, als die USA insgesamt die höchsten Abgänge verzeichnete. Neben den privaten Transfers, deren Negativsaldo zuletzt rund 30 Mrd. USD ausgemacht hatte, resultiert das Passivum also vor allem aus der Handelsbilanz. Dieser Abgang hatte schon 2001 bei rund 100 Milliarden Dollar im Quartal gelegen und war bis 2006 auf über 200 Mrd. Dollar angestiegen.

Angeblich steigt die Sparquote in den USA

Erst im letzten Quartal 2008, dem ersten der Weltwirtschaftskrise, war das Handelsbilanzdefizit mit 178,8 Mrd. USD wieder unter diese Marke gefallen und nach dem US Bureau of Economic Analysis lag es im 1. Quartal 2009 mit 124 Mrd. USD so niedrig wie seit 2001 nicht mehr, ebenso wie das Leistungsbilanzdefizit, das nur noch 101,5 Mrd. USD betragen hatte. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt verringerte sich das Defizit, das jahrelang bei mehr als sechs Prozent gelegen hatte und Ende 2008 abrupt auf 4,4 Prozent gefallen war, nunmehr auf 2,9 Prozent, also knapp halb so viel, als noch vor zwei Jahren. Zeit, Entwarnung zu geben ist freilich noch lange nicht, allerdings müssen die USA statt mehr als zwei Milliarden nun täglich nur noch gut eine Milliarde an internationalen Dollars auftreiben.

Während laut BEA die niedrigeren Öl- und Rohstoffpreise rund ein Drittel des Rückganges im Handelsbilanzdefizit erklären, entfalle der Rest auf die höhere private Sparquote, die sich in geringerem Konsum ausdrückt, und noch mehr auf die geringeren Investitionen der Unternehmen.

Da sich das staatliche Budgetdefizit zuletzt mehr als verdoppelt hat und üblicherweise analog der privaten Sparquote in das Leistungsbilanzsaldo einfließt, verwundert auf den ersten Blick, warum das Passivum nun doch so deutlich gesunken sei. Das erklären die Ökonomen von JP Morgan mit methodischen Besonderheiten. So werden die veröffentlichten Statistiken grundsätzlich anhand der Handelsströme berechnet, während die theoretisch identischen Werte aus der Differenz von Sparen und Investitionen aus anderen Datensätzen und erst mit einiger Verzögerung errechnet werden. Laut JPM würde diese Berechnungsweise derzeit ein höheres Defizit ergeben, weil beispielsweise die im Staatsbudget angesetzten Ausgaben für Stützungskäufe von Finanzanlagen in der Rechnung nicht berücksichtigt würden. Denn einerseits handle es sich nur um eine Art von Passivtausch, anderseits würden einige der Ausgaben erst in späteren Quartalen bilanzwirksam.

Würde man diese Staatsausgaben bereits jetzt bilanzieren, läge das Defizit um 150 Mrd. USD höher. Allerdings werde diese Verzögerung dazu beitragen, dass das Leistungsbilanzdefizit im laufenden und den drei darauffolgenden Quartalen wieder deutlich ansteigen werde. Denn einerseits werde sich diese Differenz letztendlich ausgleichen müssen, anderseits laufen nun auch einige staatliche Konjunkturprogramme aus, von denen gerade große Teilen in die privaten Ersparnisse geflossen sind. Dazu komme, dass die bereits wieder gestiegenen Energiepreise die Ersparnisse reduzieren und gleichzeitig die Importrechnung erhöhen werden. Dadurch steige das Leistungsbilanzdefizit in den kommenden drei Quartalen zwar wieder auf bis zu rund fünf Prozent des US-BNP an, wozu auch beitragen werde, dass die Regierung in diesem Zeitraum ihr Ausgabenmaximum erreichen werde.

Das sei jedoch nicht weiter beunruhigend, denn laut JPM-Analyse sollten sich diese beiden Trends rasch umkehren. Um ihre Ersparnisse aufzubauen, würden Konsumenten wie Unternehmen wieder deutlich mehr sparen und auch die Regierung ihre Budgetdefizit zurückfahren, wobei die Ökonomen aber verheimlichen, wie sie zu diesen Annahmen gelangt sind, was doch ein wenig verdächtig erscheint. Denn immerhin haben sie genau diese Prognose in den Titel ihrer Analyse genommen, die ansonsten durchaus solide erscheint. Wie sie aber dazu kommen, den dafür nötigen massiven Rückgang der Staatsausgaben zu postulieren; oder aus welchen Einkommen die Ersparnisse geschöpft werden sollen, wenn die Unternehmensgewinne und die Arbeitseinkommen offenbar hartnäckige negative Tendenzen zeigen, bleibt offen.

Bleibt der Verdacht, das Ergebnis sei bereits vor Erstellung der Analyse vorgelegen. Denn ein Leistungsbilanzdefizit von weniger als zwei Prozent im 4. Quartal 2010, wie es JPM voraussagt, würde unter dem Potentialwachstum der USA liegen. In der Lehrbuchtheorie wird ein Leistungsbilanzdefizit aber genau dann als „sustainable“ betrachtet, wenn es nicht höher ausfällt, als das BIP-Wachstum ausfällt, das von den USA für 2010 derzeit offiziell mit um die zwei Prozent beziffert wird. Denn dann führe der Abgang im Verhältnis zum BIP auch nicht zu einer steigenden Außenverschuldung, was aus der Sicht der ausländischen Gläubiger ein Mindestmass an Stabilität gewähren sollte. Um dazu beizutragen, weiterhin internationale Investoren für US-Anlagen zu gewinnen, sollte die Prognose indes wenigstens versuchsweise begründet werden.