"Über den Tisch gezogen"

Regieren die Grünen - oder werden sie regiert?

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"Wer grün wählt, wird schwarz sehen", gifteten einst Kritiker der Hamburger GAL, die sich 2008 dann tatsächlich zur ersten schwarz-grünen Koalition auf Länderebene bereitfand. Nach den Verhandlungen mit einer vermeintlich liberalen CDU, deren Vorsitzender im Wahlkampf als "Kohle von Beust" verspottet wurde, blieb von den grünen Kernthemen nicht mehr allzu viel übrig.

Am Steinkohlekraftwerk Moorburg schieden sich die Geister, doch Vattenfall durfte am Ende weiterbauen. In Sachen Elbvertiefung konnte die Ökopartei bestenfalls einen kleinen Beitrag zur allgemeinen Verzögerung leisten, und die ambitionierte Schulreform, die als Vorzeigeprojekt schlechthin beworben wurde, scheiterte an einem Volksentscheid.

Bei der vorgezogenen Neuwahl im Februar 2011 musste die GAL die Regierungsbank räumen - gegen den Bundestrend, der bei den folgenden Urnengängen schnell wieder zum Tragen kam. Doch die neue Volkspartei hat noch immer ein grundlegendes Problem, das die anhaltende Euphorie schnell dämpfen könnte.

Regierungsverantwortung

Die grüne Basis hat sich seit 1998 an einiges gewöhnen müssen. Bei der ersten Regierungsteilnahme im Bund ließ Kanzler Gerhard Schröder nur in Ausnahmefällen Zweifel an der Besetzung von Köchen und Kellnern aufkommen, und so musste die selbsternannte Friedenspartei einen Krieg im Kosovo gutheißen und deutsche Soldaten nach Afghanistan entsenden.

Der mutmaßliche Anwalt der sozial Schwachen winkte die Agenda 2010 durch und beschloss Steuererleichterungen, über die sich selbst die Klientel von CDU und FDP amüsierte. Ohne ihren erstaunlich populären Außenminister Joschka Fischer hätte Bündnis 90/Die Grünen wegen erwiesener Unglaubwürdigkeit schon damals in schwieriges Fahrwasser geraten können.

Der Wechsel in die Opposition kam insofern zur rechten Zeit. Grün war nun wieder dagegen und profitierte von eklatanten Fehlern der politischen Gegner und Mitbewerber. Wo die Konkurrenz bestenfalls eine kurzfristige Lösung parat hatte, präsentierten die Grünen eine Vision und gerieten nach und nach in ein Stimmungshoch, das verdächtige Ähnlichkeit mit einer Umstrukturierung der Parteienlandschaft hatte.

Doch in den vergangenen sechs Wochen haben sich die Voraussetzungen erneut grundlegend verändert. Nach den Wahlsiegen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben die Grünen alle Möglichkeiten es besser zu machen als ihre Vorgänger. Wenn da nicht die SPD wäre, die mit der harten Realität mal wieder gemeinsame Sache zu machen scheint.

Blick vom Kloster Machern auf Rachtig mit grafisch einmontierter Hochmoselbrücke. Bild: Public Domain

Kurt Beck genießt die Sonne

"Ich werde garantiert nie mehr Grün wählen. In unserer Region haben total viele Menschen Grün gewählt. Aber diese Leute fühlen sich verkauft und verschaukelt. " Der 77-jährige Helmut Körlings und viele andere Umweltaktivisten in Rheinland-Pfalz wollen sich von den möglichen verkehrspolitischen Erfolgen, welche die Grünen auf ihrer Homepage vermelden, offenbar nicht beeindrucken lassen.

Das mag daran liegen, dass der Planungsstopp an der Mittelrheinbrücke, das vorläufige Ende einer sechsspurigen A 643 Mainz-Wiesbaden oder das schlichte "Nein" zur Rheinquerung bei Altrip nicht annährend die Signalwirkung ausstrahlen, die mit einer Verhinderung des Hochmoselübergangs verbunden gewesen wäre. Schließlich war das gut 300 Millionen Euro teure Prestigeprojekt während des Wahlkampfs ein ähnlich prominenter Zankapfel wie einst das Kraftwerk Moorburg in Hamburg.

Das Bauwerk, das im Kreis Bernkastel-Wittlich an der Mosel entstehen wird, ist ein Projekt der Superlative: Mit der Hochmoselbrücke wird man in einigen Jahren eine der größten Brücken Deutschlands bestaunen können, unter der sogar der Kölner Dom ein Mal Platz hätte. In einer Höhe von 158 Metern wird sich das Bauwerk 1,7 Kilometer lang über das Moseltal spannen.

Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz

Die rheinland-pfälzischen Grünen hatten allerdings aus der Erfahrung der GAL gelernt und versprachen vor der Wahl nicht mehr kategorisch das Ende des umstrittenen Bauvorhabens. Man wolle nur "alles tun, um es zu stoppen", hieß es im Vorfeld des Urnengangs, auch von "langfristigen Zielen" war da die Rede, aber den Bürgerinitiativen reichte diese fadenscheinige Absichtserklärung ebenso wenig wie dem versprengten Rest orthodoxer Parteimitglieder.

Auf der Delegiertenversammlung, die den neuen Koalitionsvertrag absegnen sollte, gab es entsprechende Unmutsäußerungen. Die Verhandlungsführung habe sich von Ministerpräsident Kurt Beck "über den Tisch ziehen lassen", meinten die Gegner der Vereinbarung, die dem Argument, ein Baustopp würde zu hohe Regressforderungen nach sich ziehen, nicht folgen mochten, am Ende aber nur acht Prozent in die Waagschale werfen konnten.

Der Rest stimmte dem Koalitionsvertrag zu und erhielt dafür Lob von einem Spitzenpolitiker aus Berlin. Jürgen Trittin gratulierte persönlich zu den großen Erfolgen in "Grünland-Pfalz", das den verbrauchten Strom bis 2030 "bilanziell zu 100 Prozent" aus Erneuerbaren Energien gewinnen will. Ein Hintertürchen lässt der Vertrag allerdings offen: "Wir sehen keine Notwendigkeit für Kohlekraftwerke in Rheinland-Pfalz", heißt es auf Seite 21.

Trittin aber freute sich, besonders über die allererste grüne Wirtschaftsministerin. Eveline Lemke wird im neuen Kabinett Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie, Landesplanung und auch noch stellvertretende Ministerpräsidentin. In dieser Funktion darf sie sich dann auch um den Hochmoselübergang kümmern und steckt somit in einem ähnlichen Dilemma wie ihre GAL-Kollegin Anja Hajduk, die im September 2008 den Bau in Moorburg genehmigen musste.

Da kann die SPD trotz astronomischer Stimmenverluste nur gute Laune haben. Kur Beck war schließlich auch schon von den Koalitionsgesprächen restlos begeistert: "Die Verhandlungen kommen so gut voran, dass wir sogar Sonderpausen in der Sonne einlegen können."