Über die Moral der Maschinen und eine programmierte Ethik

Seite 4: "Ich gestehe weder Steinhaufen noch Robotern Rechte zu"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gleich ob nun Maschinen oder Roboter einen freien Willen oder (Selbst)Bewusstsein jemals haben werden, werden wir immer stärker mit verkörperten oder virtuellen Akteuren in Interaktion, aber auch in Kommunikation treten. Wir müssen uns zu ihnen verhalten und werden mit ihnen sprechen auch sprechen müssen, auch wenn wir nicht selbst wollen, weil etwa Menschen durch sie ersetzt werden. Es ist bekannt, wie schnell Menschen eine persönliche Beziehung zu Tieren wie Hunden eingehen können, was dann auch eine moralische Komponente erhält. Wie also werden uns einigermaßen intelligente Maschinen und Roboter verändern, wenn sie unseren Alltag zunehmend bevölkern? Werden sie unsere nächsten Verwandten und unser Verhalten zu ihnen als eine Art Lebewesen prägen?

Oliver Bendel: Moral ist ein Rahmen für das Verhalten gegenüber den Mitmenschen, gegenüber sich selbst und gegenüber der Umwelt. Was die Umwelt angeht, ist man sich nicht einig. Viele halten Tiere für Objekte der Moral. Eine Stiftung in Basel, die sich dem effektiven Altruismus verschrieben hat, fordert Grundrechte für alle Primaten, was man sicherlich unterstützen kann, ob man dieser Bewegung anhängt oder nicht, und man kann auch weit darüber hinausgehen.

Bei den Pflanzen wird es schwierig. Die Eltern bitten das Kind, die Blumen am Wegesrand nicht zu köpfen. Aber warum tun sie das? Weil das Kind verrohen würde? Weil es Schönheit vernichtet, die im Auge des Betrachters liegt? Das wären Argumente, die sich auf Menschen beziehen. Oder weil die Pflanzen ein Interesse haben? So weit würde ich nicht gehen, selbst wenn man Kommunikationsfähigkeiten und Interessenbekundungen auf irgendeiner Ebene feststellen kann. Vielleicht haben die Pflanzen einen Wert, über den ökonomischen hinaus? Bei Steinen und Bergen wird es ganz schwierig. Warum sollte ich die Spitze des Matterhorns nicht sprengen? Gute Argumente gibt es in Bezug auf Menschen und Tiere. Aber hat das Matterhorn selbst Rechte oder zumindest irgendeinen Wert?

Ich gestehe weder Steinhaufen noch Robotern Rechte zu. Das bedeutet für mich aber nicht, dass wir uns ihnen gegenüber beliebig verhalten können.

Wir tendieren generell dazu, in Gegenstände etwas hineinzudenken, und wir geben Dingen einen Namen, einen Eigennamen, nennen das Auto Horst und die Puppe Lilli. Bei Robotern, die sich bewegen wie wir, die aussehen wie wir, liegt es nahe, dass wir sie wie Tiere oder Menschen behandeln. Vielleicht erschrecken sie uns, weil sie uns sehr ähnlich sind, aber irgendetwas nicht stimmt, weil ihr Lächeln entgleitet, ihr Gang ruckartig wird. Vielleicht erfreuen sie uns auch, wir finden sie lustig und niedlich. In jedem Falle sind sie neuartige Subjekte, von Entscheidungen, von Handlungen und eben auch der Moral.

Wir teilen uns den Lebensraum mit ihnen, obwohl wir leben und sie nicht. Sie verbrauchen Energie, die wir mit Hilfe von Wind- oder Atomkraft produzieren und für die wir die natürliche Umwelt zerstören müssen. Sie spielen eine Rolle, sie sind uns im Weg, sie machen uns den Weg frei, sie unterstützen uns in der Fabrik, auf der Straße, sie betten uns um und richten uns auf, wenn wir pflegebedürftig sind. Wir werden sie hassen und lieben, und wir werden sie körperlich lieben.

Es steht uns ein langer Lernprozess bevor, in jeder Beziehung. Ich halte es für wichtig, dass uns die Maschinen regelmäßig darauf aufmerksam machen, dass sie nur Maschinen sind, und spreche in Anlehnung an Brecht vom V-Effekt für Roboter. Sie sollten uns aus unserer Illusion reißen, in Wort und Tat, und zwar gerade dann, wenn das Verhältnis eng ist, die Abhängigkeit groß - und die Folgen gravierend sind.