Ukraine: Eskalation ist angesagt

Wurde die "Antiterror-Operation" eingestellt? Der ukrainische Innenminister widerspricht, aber Slawiansk scheint noch in den Händen der Aufständischen zu sein

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Die vor allem von der US-Regierung von Friedensnobelpreisträger Obama unterstützte ukrainische Interimsregierung hat nach Ostern voll auf Konfrontation umgeschaltet. Was Obama unter Janukowitsch noch verurteilte und diesem Konsequenzen androhte, weil er nach Verhandlungen gegen die gewalttätigen Maidan-Gruppen Militär in einer Antiterroroperation einsetzen wollte, wird eine solche nun vom Weißen Haus gedeckt. Soldaten und Nationalgarde, in die mit Ausnahme des Rechten Sektors viele rechte Militante der Maidan-Bewegung gegangen ist, rücken mit Panzern, Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern gegen die Aufständischen in der Ostukraine vor. Damit ist die Aussicht, freie und faire Wahlen am 25. Mai durchführen zu können, wohl endgültig gescheitert. Ein Plan, um die Interimsregierung länger an der Macht zu halten?

Zur Erinnerung. Am 19. Februar hatte US-Präsident Obama vor allem an die ukrainische Regierung appelliert, zurückhaltend zu agieren, und mit Konsequenzen gedroht, wenn das Militär eingesetzt werden sollte:

And we'll be monitoring very carefully the situation, recognizing, along with our European partners and the international community, there will be consequences if people step over the line. And that includes making sure that the Ukrainian military does not step into what should be a set of issues that can be resolved by civilians.

Der russische Präsident hatte genau davor gewarnt und von einem "Krieg gegen das eigene Volk" gesprochen, der nicht hinnehmbar sei. Schon vor einem Monat hat die Staatsduma Putin die Ermächtigung erteilt, militärisch zu intervenieren, wenn Russen in der Ukraine bedroht sind. Gestern bezeichnete Putin die ukrainische Regierung als "Junta", weil sie Militär gegen Zivilisten einsetzt. Offenbar ist man nun in Kiew und Washington gewillt, Moskau in einen militärischen Konflikt hineinzuziehen. Den Entschluss hat wohl US-Vizepräsident Biden verstärkt, der am Dienstag in Kiew war. Zuvor war der CIA-Chef in der Hauptstadt, vermutet wurde, dass dabei der Plan beschlossen wurde, eine militärische Operation zur Niederschlagung der Separatisten zu beginnen, die kurz nach dem Besuch auch gestartet wurde. Und die Republikaner in Gestalt von John McCain unterstützen nicht nur im wieder aufgelebten Kalten Krieg rückhaltlos die ukrainische Regierung, es wird auch gefordert, Waffen an diese zu liefern.

Wo ist Merkel?

Dabei fällt auf, dass die EU kaum mehr als eigenständige Stimme zu vernehmen ist, während Nato-Generalsekretär Rasmussen die Stimme der US-Regierung ist, die die osteuropäischen und baltischen Staaten für sich instrumentalisiert. Bundeskanzlerin Merkel duckt sich mittlerweile weg, Steinmeier und Fabius setzen zu Unzeiten mit ihrem Besuch in Georgien und Moldawien und dem Versprechen eines schnellen Assoziierungsabkommens derzeit die falschen, weil auch eskalierenden Signale. Anstatt konstruktive Vorschläge zu machen und auch die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, auf die Menschen in der Ostukraine zuzugehen, wird nur immer einfallslos mit weiteren Sanktionen gedroht. Für die EU ist offenbar alles okay.

So versuchen rechte Kräfte in der Westukraine, darunter die rechtsnationalistische Regierungspartei Swoboda, die politische Szene in ihrem Sinne zu bereinigen, also Abgeordnete und Präsidentschaftskandidaten der Partei der Regionen und der Kommunistischen Partei abzusetzen sowie die Parteien selbst zu verbieten. Sie gelten als Agenten Russlands, sind aber auch Vertreter der Menschen aus der Ostukraine. Der von dem Maidan-Aktivisten Sobolev geleitete Lustrationsausschuss soll alle Politiker und Behördenmitarbeiter aus der Janukowitsch-Zeit verbannen.

Nachdem bei dem Versuch, Slawiansk einzunehmen, mehrere Separatisten - von der ukrainischen Regierung als "Terroristen" bezeichnet - getötet wurden, hat, wie vorauszusehen, die russische Armee ihre lange umstrittenen Einheiten nahe der Grenze mobilisiert und mit Übungen näher an die Grenze verlegt. Der russische Verteidigungsminister Sergey Shoigu hat gestern erklärt, dass dann, wenn die "militärische Maschine", die gegen Zivilisten eingesetzt werde, nicht gestoppt würde, die Zahl der Opfer nur steigen werde. Auch die Nato-Militärübungen in Polen und den baltischen Ländern würden die Lage nicht normalisieren, dafür sind sie natürlich auch nicht gedacht.

Für Shoigu ist die Konsequenz klar: "Wir sind gezwungen, auf die Situation zu reagieren." Nach ihm hat Kiew 11.000 Soldaten, 160 Panzer, 230 gepanzerte Mannschaftsfahrzeuge und 150 Artillerieeinheiten gegen die Aufständischen eingesetzt. Dazu würden Einheiten der Nationalgarde und Mitglieder des Rechten Sektors sowie eine "Donbass-Antitteror-Einheit" gegen die "friedliche Bevölkerung" kämpfen. Die Aufständischen, nach Shoigu 2000, sind aber zum Teil bewaffnet (nach Shoigu mit 100 Gewehren) und haben auch Geiseln genommen, darunter einige Journalisten, auch den US-Journalisten Simon Ostrovsky, der aber inzwischen wieder frei sein soll. In Artemovsk, in der Nähe von Donezk, hatten Bewaffnete ein Waffenlager angegriffen, sind aber zurückgeschlagen worden. Das Rathaus von Mariuopol soll geräumt worden sein.

Die Vereinfachungen, die der Eskalation dienen, finden auf allen Seiten statt. Allerdings droht, sobald das Militär unterwegs ist, die Situation sowieso zu eskalieren, zumal auf beiden Seiten bewaffnete Banden oder Milizen mitmischen, die beide Seiten nicht kontrollieren können oder wollen. In Medien kursierten Gerüchte, die Regierung habe die Antiterroroperation wieder beendet, weil eine russische Intervention befürchtet werde. Innenminister Avakov wies dies aber gegen Mitternacht zurück, die Antiterroroperation gehe weiter. Sie solle die Zivilisten schützen und richte sich nur gegen die Terroristen, Milizen - wie der Rechte Sektor - wären daran nicht beteiligt. Man sei nur mit geringer Gewaltanwendung vorgegangen, Panzer seien keine eingesetzt worden. Von Erfolgen berichtet er aber auch nicht.

Russia Today macht offenbar Propaganda damit, dass die ukrainischen Soldaten nichts zu essen hätten und deswegen Straßensperren überfielen, um an die dort befindlichen Lebensmittelvorräte heranzukommen. Dazu benutzten sie Aufnahmen eines BBC-Journalisten, der die Darstellung bestritt. Nach ihm haben offensichtlich kaum oder nicht bewaffnete Aufständische eine Straßensperre vor Slawiansk selbst angezündet und sind dann vor den ukrainischen Truppen geflohen. Danach haben sich aber auch die ukrainischen Soldaten wieder zurückgezogen.

Die ukrainische Regierung steht in einem schwierigen Spagat. Sie muss, getrieben auch von nationalistischen und proeuropäischen Kräften in den eigenen Reihen, Stärke gegen die Aufständischen in der Ostukraine demonstrieren, weiß aber gleichzeitig, dass damit weder Wahlen durchführbar sind noch die Einheit des Landes gewahrt werden kann. Wie soll man also gleichzeitig gegen "Terroristen" vorgehen und ihre Anhänger politisch integrieren? In Teilen der Regierung ist man aber auch an einer Eskalation interessiert. Es gibt einen Russenhass und eine wirtschaftliche, aber auch religiöse Spaltung zwischen der Ost- und der Westukraine, gleichzeitig ist der militante Nationalismus, der die Ukrainer schon auf die Seite der Nazis trieb, immer noch virulent. Die Gemäßigten scheinen derzeit in Kiew keine große Rolle zu spielen, die Regierung erscheint als amerikanische Marionette und versucht, die USA und damit die Nato weiter in den Konflikt zu ziehen.

ukraine.htm