Ukraine-Krieg: Wie belastbar sind Erfolgsmeldungen?

Westliche Erwartungshaltungen erscheinen den Ukrainern groß. Symbolbild: Ministry of Defence / CC0 1.0

Die ukrainische Gegenoffensive umfasst drei Vorstöße. Bilanz: durchwachsen. Der Druck, westliche Waffenlieferanten zu beeindrucken, ist groß.

Wer den Erfolg der seit einer guten Woche laufenden Gegenoffensive der Kiewer Truppen im Ukraine-Krieg beurteilen will, bekommt – wie so oft – aus deutschen und russischen Quellen völlig konträre Bilder.

Das liegt zu einen natürlich daran, dass viele deutsche Journalisten ukrainische Meldungen als Fakten verkaufen und russische Journalisten zwangsweise ihrer eigenen Propaganda widersprechende Meldungen nicht verarbeiten dürfen, wollen sie nicht verhaftet werden.

Zum anderen liegt es aber auch daran, dass man bei der aktuellen Offensive auch ohne Verbreitung von Fake-News die Lage ganz nach eigenem Wunsch besonders positiv für eine der beiden Seiten darstellen kann. Was den Angriff auszeichnet ist vor allem, dass es sich eigentlich um drei räumlich stark getrennte Vorstöße handelt, die für die angreifenden Ukrainer sehr unterschiedlich laufen: Einen in der Region Saporischschja, einen bei Bachmut und einen dazwischen in der westlichen Region Donezk.

Hohe ukrainische Verluste bei Saporischschja

Der Angriffskeil bei Saporischschja hat eine sehr große strategische Bedeutung. Denn hier wollen die Kiewer Truppen über die Großstadt Melitopol zum Asowschen Meer vorstoßen und damit eine wichtige russische Versorgungsroute entlang der Küste unterbrechen – die einzige Landverbindung zwischen der Krim und dem russischen Mutterland außerhalb der bei Anschlägen fragilen Krim-Brücke.

Das wissen natürlich auch die Russen und haben in dieser Region besonders umfangreiche, mehrschichtige Defensivanlagen aufgebaut, an denen sich die ukrainischen Angriffsspitzen aktuell die Zähne ausbeißen.

Aus dieser Region vermeldet die britische Zeitung The Ecominist hohe ukrainische Verluste. Hier fand beim Ort Orechow auch der verlustreiche Angriff der Ukrainer statt, bei dem sie mindestens vier Leopard-2-Panzer und 16 US-Schützenpanzer von Typ Bradley verloren.

Das ist der bisher größte Abwehrerfolg, den die russische Propaganda auch bis zum heutigen Tag immer wieder auskostet. Aus ukrainischer Sicht erfreulich ist in diesem Bereich lediglich der Gewinn eines Ortes und die Sprengung einer Eisenbahnbrücke im russisch besetzten Gebiet.

Ukrainische Rückeroberungen in der Region Donezk

Besser läuft es für die Ukrainer in der westlichen Region Donezk. Hier konnte die Kiewer Armee einen größeren russischen Frontvorsprung besetzen und vier Ortschaften zurückerobern. Erfolgsmeldungen aus Kiew kommen häufig von dort und Ziel des Vorstoßes ist ebenfalls das Asowsche Meer, die von Russland besetzte Großstadt Mariupol liegt hier hinter der Front.

Taktisch ist ein weiteres Vorrücken der Ukrainer hier gefährlicher als bei Saporoschje, da die russischen Nachschubverbindungen kürzer sind. Die russische Hauptverteidigungslinie wurde auch in dieser Region noch nicht durchstoßen und so haben die Erfolge der Ukrainer regional noch zu keinen so entscheidenden Erfolg geführt, wie er die Offensive bei Charkow im letzten Herbst war.

Ein dritter Angriffskeil der Ukrainer stößt schließlich bei der symbolträchtigen, erst vor wenigen Wochen von den Russen eroberte Stadt Bachmut vor. Er hat das Ziel, die Stadt einzuschließen und durch einen Vorstoß bis zur Verbindungsstraße ins russisch besetzte Hinterland abzuschneiden.

Strategisch ist die Bedeutung dieses Vorstoßes nicht so groß wie die der beiden anderen - Bachmut hat aber natürlich eine große Symbolwirkung auf beide Kriegsparteien, obwohl die Stadt weitgehend nur noch ein Trümmerfeld ist.

Unterschiedliche Aussagen über Verluste

Wie groß die aktuellen Verluste der beiden Seiten ist, ist aufgrund sehr unterschiedlicher Aussagen schwer zu sagen. So behauptet Putin in einem Gespräch mit "patriotischen" Militärbloggern, die Ukrainer hätten beim Angriff etwa dreimal so viele Panzer verloren wie die russischen Truppen und prognostiziert einen baldigen Zusammenbruch der Offensive.

Der Telegram-Kanal "War Facts", der versucht, alle dokumentierten Verluste an schwerem Material gegenüberzustellen, kommt dagegen auf etwa gleich viele Ausfälle der russischen und ukrainischen Truppen beim schwerem Gerät.

Unabhängigen Berichterstattern wird dabei die Erfassung der tatsächlichen Lage auch immer weiter erschwert. So erfasst die oppositionelle exilrussische Online-Zeitung Media.zona anhand von Todesanzeigen in Russland die Anzahl der Gefallenen bei der russischen Invasionsarmee, inzwischen über 25.000 nachgewiesene Todesfälle. Nun hat mit Chakassien erstmals eine russische Region die Veröffentlichung solcher Nachrufe eingestellt, um diese Verluststatistik zu torpedieren.

Die exilrussische Online-Zeitung Meduza rechnet damit, dass im Zuge der Offensive noch weitere Gebiete von der Ukraine erobert werden und die Kremlmedien die russische Bevölkerung darauf auch vorbereitet. Die "Schuld" daran würde die russische Staatspresse den "angelsächsischen" und deutschen Waffenlieferungen geben.

Meduza glaubt jedoch, dass auch der Westen seine Erwartungen an die Offensive zu hoch schraubt und beruft sich dabei auf den Verteidigungsminister der Ukraine, Oleksy Reznikov. Ziel der Ukrainer sei vor allem, das westliche Publikum, das die eigenen Waffen liefert, mit Erfolgen zu beeindrucken.

Hier gewinnt der Propagandakrieg einen fast so hohen Stellenwert, wie die tatsächliche strategische Wirkung der Angriffe. Das wäre auch eine Erklärung dafür, dass einer der Angriffsschwerpunkte der Kiewer Truppen ausgerechnet bei Bachmut liegt, das ansonsten mit dem strategischen Ziel, dem Vorstoß zum Asowschen Meer, in keinem Zusammenhang steht.