Unbewohnbare Erdregionen

Bild: Pxhere.com

Die Energie- und Klimawochenschau: Von lebensfeindlichen Klimabedingungen, einem Meeresspiegelanstieg von einem Meter und der Diskussion über Konjunkturprogramme

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Inmitten der Coronakrise, in der die Stimmung zwischen der Hoffnung auf ein Abflauen der ersten Infektionswelle und den Ängsten vor einer zweiten oder sogar noch zu erwartenden dritten Welle changiert - von der zunehmend aggressiven Stimmung derjenigen, die sich in die vollständige Realitätsflucht begeben haben, einmal abgesehen -, führen drei neuere wissenschaftliche Studien vor Augen, dass wir inmitten der Klimakrise leben und diese für Millionen von Menschen tödliche Auswirkungen haben wird, wenn nicht sofort entgegen gesteuert wird.

Bis 2070 könnte der Klimawandel fast ein Drittel der Menschheit aus ihrer Heimat vertreiben. 3,5 Milliarden Menschen würden dann nämlich in Regionen leben, die nicht mehr der klimatischen Nische entsprechen, an die Menschen seit 6000 Jahren angepasst sind. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam in einer Studie, die im Journal Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde.

Der Lebensraum der Menschen auf der Erde konzentriert sich zum großen Teil auf Gebiete mit Durchschnittstemperaturen von 11 bis 15 Grad Celsius, ein kleinerer Teil der Menschheit lebt mit Durchschnittstemperaturen von 20 bis 25 Grad. "Diese verblüffend konstante Klimanische steht für fundamentale Bedingungen, die Menschen brauchen, um zu überleben und Erfolg zu haben", sagt Marten Scheffer von der Universität Wageningen. Bis zum Jahr 2070 würde, aber, bei unverminderten Treibhausgasemissionen, 30 Prozent der Menschheit bei jährlichen Durchschnittstemperaturen von 29 Grad Celsius leben, was fernab der heutigen Nische ist. Oder, auf den einzelnen Menschen heruntergerechnet, würde jeder Mensch im Schnitt unter einem um 7,5 Grad aufgeheizten Klima leben.

Ausbreitung von extrem heißen Regionen im Weiter-so-Szenario. Gegenwärtig liegen die durchschnittichen Jahrestemperaturen in den kleinen schwarzen Gebieten in der Sahara. 2070 würden sie sich über die schraffierten Gebiete erstrecken.

Diese Zahl ergibt sich daraus, dass der zugrunde gelegte Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um 3 Grad Celsius (gemäß dem Szenario RCP 8.5 des IPCC) sich ja nicht gleichmäßig über den gesamten Globus verteilt und sich insbesondere die Landmassen stärker aufheizen als die Meere. Bezogen auf die Landfläche des Planeten, würde ein Fünftel quasi für Menschen unbewohnbar, dort würden Bedingungen herrschen wie schon heute in den heißesten Regionen der Sahara.

Der Wandel würde sich langsamer vollziehen, aber anders als bei der Pandemie gibt es keine Hoffnung auf Erleichterung. Große Gebiete des Planeten würden sich derart erhitzen, dass man dort kaum überleben kann und sich nicht wieder abkühlen. Das hätte nicht nur verheerende direkte Auswirkungen, es würde auch dazu führen, dass Gesellschaften schlechter in der Lage wären, zukünftige Krisen wie etwa Pandemien zu bewältigen. Der einzige Weg, diese Entwicklung aufzuhalten, ist ein schneller Einschnitt bei den Kohlendioxidemissionen.

Marten Scheffer

Jedes Grad, um das die globale Erwärmung gemindert werden könnte, würde den Lebensraum von einer Milliarde Menschen schützen.

Grenzen des menschlichen Organismus

Die Durchschnittstemperatur ist jedoch nur ein Faktor, der bestimmt, ob das Klima für den menschlichen Organismus erträglich ist. Der zweite entscheidende Faktor ist die Luftfeuchtigkeit, gemeinsam bilden sie die Feuchttemperatur (TW). Das obere Limit, das der menschliche Organismus verkraftet, sind 35 Grad TW, da der Körper sich unter extrem schwülen Bedingungen durch Schwitzen nicht mehr selbst kühlen kann. In tropischen und subtropischen Regionen der Erde könnte dieses Limit in Zukunft immer öfter überschritten werden, so eine in Science Advances veröffentlichte Studie. Doch nicht nur das: Kurzzeitig treten derartige Bedingungen bereits auf, etwa an der US-amerikanischen Golfküste oder am Persischen Golf.

"Vorangegangene Studien sagten voraus, dass dies erst in einigen Dekaden geschehen würde, aber es geschieht bereits jetzt", warnt der Leitautor Colin Raymond. "Die Dauer dieser Ereignisse wird zunehmen und die betroffenen Gebiete in direkter Korrelation mit der globalen Erwärmung wachsen." In dem von den Forschern betrachteten Zeitraum von 1979 bis 2017 haben sich das gemeinsame Auftreten extremer Hitze und Luftfeuchtigkeit verdoppelt. Am häufigsten betroffen waren Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. In bisherigen Klimastudien finden diese Ereignisse oft keine Beachtung, weil das Augenmerk zumeist auf den Durchschnittswerten liegt.

Bislang konnten sich die Menschen in den betroffenen Regionen schützen, indem sie in (teilweise klimatisierten) Räumen blieben. Die Wissenschaftler warnen jedoch, dass bei länger anhaltenden gesundheitsgefährdenden Klimabedingungen auch Landwirtschaft und andere ökonomische Aktivitäten zum Erliegen kämen. Und gerade wenn ärmere Regionen getroffen wären, hätte die Bevölkerung kaum Zugang zu klimatisierten Räumen, müsste aber eher täglich im Freien arbeiten, wenn sie etwa von den Erträgen ihrer eigenen Felder leben würden.

Meeresspiegel steigt schneller als gedacht

Ein weiterer Faktor, der den Lebensraum des Menschen auf der Erde einschränken wird, ist der steigende Meeresspiegel. Laut einer Umfrage unter Experten könnte der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um über einen Meter ansteigen und, wenn die Menschheit ihre Treibhausgasemissionen nicht beschränkt, bis zu fünf Meter im Jahr 2300. Die Studie wurde von der Nanyang Technological University (NTU) in Singapur geleitet.

Die Abschätzungen der befragten Experten liegen alles in allem höher als die bislang vom Weltklimarat IPCC veröffentlichten. Weil die Daten und das Prozessverständnis immer besser werden, hatte der IPCC zuletzt seine Projektionen zum Meeresspiegel bereits um knapp zwei Drittel angehoben. Nun sieht es aber so aus, als sei die Herausforderung noch größer als bislang befürchtet, und Gegenmaßnahmen daher noch dringlicher.

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Eine wichtige Frage bleibt, wie schnell die Eisschilde Grönlands und der Antarktis tauen werden. Für einige Inselstaaten bedeutet jedenfalls schon ein Meeresspiegelanstieg um einen Meter den sicheren Untergang.

Klimaschutz und Konjunktur

Beschäftigt man sich mit diesen Projektionen, so erscheint die Forderung mancher, in bzw. nach der Coronakrise zuerst die Wirtschaft und dann erst das Klima zu retten, als reiner Wahnsinn. Als wollte man sehenden Auges von einer Katastrophe in die nächste rennen. Die Bundestagsfraktion von CDU/CSU scheint jedoch genau dies zu wollen. In einem Positionspapier von letzter Woche lehnt diese eine Verschärfung der EU-Klimaziele ab, wie verschiedene Medien berichten. Eine stärkere Reduktion der Treibhausgasemissionen auf 50 bis 55 Prozent bis zum Jahr 2030 wäre jedoch Bestandteil des "European Green Deals". Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich beim Petersberger Klimadialog für ein höheres europäisches Klimaziel ausgesprochen, doch ihre Fraktion stellt sich nun dagegen. Die Unionsfraktion möchte außerdem die CO2-intensive Industrie in Deutschland schützen.

Anders sehen dies wie zu erwarten die Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende. Diese haben unter dem Titel "Der Doppelte Booster" ein Strategiepapier für ein Investitionsprogramm in den Klimaschutz vorgelegt, das gleichzeitig die Konjunktur wieder steigern soll.

100 Milliarden Euro sollte der Bund demnach in den nächsten zwei Jahren aufbringen, um Investitionen anzustoßen. Dazu zählen der Verkehrssektor, die Energie- und die Bauwirtschaft sowie die Stahl- und die Wasserstoffindustrie. Die Investitionen sollen im Sinne eines Umbaus in Richtung Klimaneutralität erfolgen. Ein Viertel des Konjunkturprogramms entfiele auf die Bauwirtschaft, wo energetische Sanierung, klimafreundliche Fernwärmenetze und der Austausch von Erdöl- und Erdgasheizungen unterstützt werden sollen. Mit 22 Milliarden Euro würden die Autoren gerne einen Großteil der Ökostromförderung aus dem Bundeshaushalt bezahlen und damit die Bürger beim Strompreis entlasten - wodurch diesen mehr Kaufkraft für andere Dinge zur Verfügung stünde.

Im Verkehrssektor sprechen sich die Autoren des Papiers teilweise für Kaufprämien für Autos aus. So soll die Prämie für batterieelektrische Fahrzeuge auf bis zu 8000 Euro erhöht werden, die Kaufprämie für Plug-In-Hybridfahrzeuge soll vorübergehend angehoben, aber abhängig von ihrer zukünftigen Nutzung gemacht werden. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass ein Teil der Hybridfahrzeuge fast gar nicht elektrisch genutzt wird, dafür aber aufgrund ihres höheren Gewichts mehr Treibstoff verbraucht. In dem Papier wird nun vorgeschlagen, dass die Hälfte der Prämie erst später ausgezahlt wird, und die Autobesitzer dafür Nutzungsdaten aus dem Bordcomputer vorlegen müssten. Auch eine Förderung von Bussystemen im öffentlichen Nahverkehr wird vorgeschlagen.

Allerdings betrifft die derzeitige öffentliche Kritik am neuen Vorschlag einer Kaufprämie für Autos ja nicht nur, dass damit neue Verbrennungsmotoren auf die Straßen kämen. Es geht auch um die Verteilung von Verkehrsflächen sowie um Fragen der Gerechtigkeit, wem staatliche Hilfen eigentlich zugutekommen. Wer sich ein Elektroauto für 40.000 Euro kauft und davon 8000 Euro als Zuschuss erhält, muss die verbleibenden 32.000 Euro eben immer noch aufbringen können. Investitionen in einen kostengünstigen öffentlichen Nahverkehr würden hingegen allen Menschen zugutekommen.

Im Bereich der erneuerbaren Energien gehe es laut Agora Energiewende in erster Linie darum, Hemmnisse zu beseitigen, die derzeit den Ausbau behindern. Für die Windenergie an Land bedürfe es neuer Flächenausweisungen und beschleunigter Genehmigungsverfahren. Dringend müsste außerdem der Ausbaudeckel für Solaranlagen abgeschafft werden.

Um den Weiterbetrieb alter Solaranlagen geht es in einer Petition mit über 120.000 Unterschriften, die der Solarenergie-Förderverein am Donnerstag dem Bundeswirtschaftsministerium übergeben hat. Für viele Betreiber drohe nach 20 Jahren nicht nur die Förderung wegzufallen, sie müssten bei Selbstnutzung des Stroms sogar noch die EEG-Umlage draufzahlen. Zudem kämen noch Kosten für messtechnische Umrüstung für die Direktvermarktung hinzu. "Ohne wirtschaftliche Anschlussregeln könnte bis 2025 die Leistung von ca. 1 Gigawatt (Peak) Ökostrom verloren gehen, rechnerisch könnte man damit rund 250.000 Privathaushalte mit klimafreundlichem Solarstrom versorgen", schreibt der Solarenergie-Förderverein.