Ungarn: Angefüllt mit Asbest

Kommt die EU-Erweiterung für manche Länder zu spät?

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Auch wenn nicht jeder die EU lieben mag, so räumen manche Osteuropäer auf jeden Fall ein, dass sie einige Vorteile mit sich bringt. Vor allem was die strengen Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze betrifft, die regeln, wie Produkte verkauft und ausgezeichnet werden müssen, haben den Vorteil, die Länder, die sich der EU anschließen wollen, zu zwingen, ihre Anforderungen anzuheben.

Bislang war das in den postkommunistischen Ländern Osteuropas mehr oder weniger kostenlos für alle, da Unternehmen mangelhafte oder gefährliche Produkte an Gesellschaften weitergeben konnten, die von einem gierigen Konsumismus besessen sind. Manchmal wurden Industrieprodukte und Verfahren in Westeuropa aufgegeben, die dann im Osten ungehindert florieren konnten.

Mit an vorderster Stelle steht als Beispiel die Verwendung von Asbest, eine Bezeichnung für eine Reihe von Silikatmineralien, die in der Natur als flexible, nichtleitende Fasern vorkommen. Asbestfasern sind gegenüber Hitze und Chemikalien weitgehend unempfindlich, was sie für viele Branchen, vor allem für die Bauindustrie, die Schiffs- und Autohersteller wichtig macht. Um die 5.000 Produkte enthalten (oder enthielten) Asbestfasern.

Das New England Journal of Medicine bestätigt, dass alle Asbestarten krebserregend sind. Asbest wurde bereits als der hauptsächliche Grund für arbeitsplatzbedingte Krebserkrankungen bezeichnet. Die Einatmung von Asbeststaub ist, unabhängig von Dauer und dem Grad der Aussetzung, mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden. Asbest verursacht Asbestose, ein unheilbare und oft tödliche Lungenschädigung und kann, nach einer Latenzzeit von 20 Jahren und mehr, verschiedene Krebsarten hervorrufen, besonders Lungenkrebs und Mesotheliom. Die EU berichtet, dass "bislang noch kein Schwellenwert erkannt worden ist, unter dem Chrysotil-Fasern keine Krebsrisiken darstellen".

In den ungarischen Massenmedien wurden unlängst neue Regeln für die Verwendung von Asbest bekannt gegeben. Von nächsten Januar an wird es nicht mehr möglich sein, Baumaterialien, die Asbest enthalten, herzustellen oder zu importieren. Ab 2005 wird das Umweltministerium verbieten, dass die noch in den Lagern verbliebenen Produkte verkauft oder verwendet werden dürfen. Die Artikel über die neuen Bestimmungen wiesen auch auf die Tatsache hin, dass das Einatmen von Asbeststaub zu schweren Erkrankungen und selbst zum Tod führen kann. Nicht erwähnt wurde allerdings, dass die Verwendung von Asbest in den meisten westeuropäischen Ländern schon seit Jahren verboten ist.

Problem bleibt auch nach dem Verbot das existierende Asbest

Seit über einem Jahrzehnt hat sich Europa von der Asbestverwendung abgelöst. 1991 hat die EU ein permanentes Verbot über 5 Asbestarten verhängt. Allerdings kam erst am 26. Juli 1999 das wirkliche Ende für die weit verbreitete Verwendung des Materials. Dann verhängte eine erweiterte Richtlinie über gefährliche Substanzen und Verfahren ein vollständiges Verbot für den Verkauf und die Verwendung von Chrysotil oder Weißasbest in allen EU-Mitgliedsstaaten. Weißer Asbest stellt 95 Prozent des Asbestarten dar, die weltweit hergestellt und vorwiegend in Schornsteinen aus Zement, Dachziegeln, Brems- oder Kupplungsbelägen, Isoliermaterialen oder Dichtungen enthalten ist.

Auch wenn die EU-Richtlinie erst am 1. Januar 2005 vollständig in Kraft tritt, haben die meisten Mitgliedsländer bereits ein Verbot eingeführt. Frankreich hatte beispielsweise den Import praktisch aller Asbestarten schon 1996 verboten. Nur Irland, Luxemburg, Griechenland, Portugal und Spanien müssen noch ein Asbest-Verbot einführen.

Schätzungen gehen davon aus, dass in Ungarn 150 Quadratkilometer Dachfläche aus asbesthaltigen Materialien bestehen. Über 60.000 Menschen leben in asbestbelasteten Häusern. Seit Jahren haben Bewohner und Umweltgruppen versucht, die Behörden zu einem Verbot der Verwendung asbesthaltigen Baumaterialien zu bewegen. Die Regierung hatte bereits für den Juli geplant, Maßnahmen zur Begrenzung der Verwendung von Asebest einzuführen. Aufgrund des Drucks von Kanada, der führende Exporteur von Weißasbest, ebenso wie von inländischen Produzenten und der Bauindustrie wurde der Termin zum letztmöglichen Datum verschoben, nämlich dem Termin, an dem Ungarn der EU beitritt. Selbst wenn die Regierung die Verwendung von Asbest noch verlängern wollte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass Brüssel dies zugelassen hätte.

Doch die gegenwärtige Regelung ist nur ein halber Sieg, da ein vollständiges Verbot niemals verhängt wurde. Es wird noch immer anderthalb Jahre dauern, bis asbesthaltige Materialien in Ungarn nicht mehr zugelassen sein werden. Überdies gibt es keinen Plan, was mit den vorhandenen Tonnen an Asbest geschehen soll, die sich auch an öffentlichen und staatlichen Gebäuden wie Schulen und Krankenhäusern befinden.

Das allerdings ist, was man gerechtigkeitshalber sagen muss, ein Problem, vor dem alle EU-Mitgliedsländer stehen. Auch wenn die EU-Richtlinie die Verwendung von Asbest nach 2005 verbietet, enthält sie keinen Hinweis auf die Frage, was mit dem vorhandenen Asbest geschehen soll, da das Verbot nicht die Entfernung des Asbest aus den Gebäuden vorsieht.

Zusammenbruch des Gesundheitssystems?

Die einzige Handlung der ungarischen Regierung bestand bislang aus einer Warnung, nicht die vorhandenen asbesthaltigen Baumaterialien zu entfernen. Die Regierung sagte allerdings nicht, dass solche Gebäude auch ein Gesundheitsrisiko darstellen, sondern erklärte nur, dass Gebäude mit asbesthaltigen Dächern oder Isolierungen gefährlich seien, wenn Asbeststaub in die Luft gelangt. Hausbesitzer sollen bei Renovierungen Asbest von Fachleuten entfernen lassen. Es gibt aber noch immer keine Pläne, was man langfristig mit dem ganzen Asbest machen soll, das sich in Tausenden von Häusern im ganzen Land befindet und zweifellos in den verbleibenden anderthalb Jahren noch im Häuserbau verwendet wird. Tausende von Menschen sind von Krankheiten und Krebs, die mit Asbest zusammenhängen, gefährdet, da Feuer und Naturkatastrophen unzweifelhaft Asbeststaub freisetzen werden, der sich in den Dächern und Mauern befindet.

Am meisten Sorgen macht, dass die Regierung nicht nur den Konzernen erlaubt hat, fortzufahren und ihre gefährlichen Produkte im Land abzuladen, sondern dass auch keine Verbindung mit dem allgemein schlechten Gesundheitszustand und der Existenz und der weit verbreiteten Verwendung von gefährlichen Materialien wie Asbest. Ungarn hat unter den Industrieländern einen der schlechtesten Gesundheitszustände, einige Statistiken sind mit denen von Dritte-Welt-Ländern vergleichbar. Beispielsweise werden im Hinblick auf die Lebenserwartung die Hälfte der ungarischen Männer zwischen 30 und 60 Jahren nicht das Rentenalter erreichen. Asthma und Allergien haben inzwischen bei Kindern epidemische Ausmaße angenommen.

Da die Gesundheit der Bevölkerung allgemein weiter schlechter wird und diese zunehmend vergreist, wird die Regierung die Aufgabe, die öffentliche Gesundheitssystem zu finanzieren, fast unmöglich lösen können. Der jetzt gemacht Vorschlag, diesen Sektor vollständig zu privatisieren, ist keine Lösung, da dies bedeuten würde, dass nur diejenigen, die es sich leisten können, die erforderliche Behandlung erhalten. Der Rest wäre dazu verurteilt, das Ende ihres kranken Lebens in einer Umwelt zu führen, die mit Asbest und anderen gefährlichen Materialien angefüllt ist.