Unliebsame Genossen

Nach ihren umstrittenen Äußerungen zur DDR-Vergangenheit hat "Die Linke" Christel Wegner aus der niedersächsischen Landtagsfraktion ausgeschlossen. Doch in Kürze stehen wieder DKP-Mitglieder auf den Wahllisten

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Es könnte alles so schön sein. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen wurde „Die Linke“ Ende Januar in die Parlamente gleich zweier westdeutscher Flächenländer gewählt, und die einst so standhafte SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti beginnt plötzlich doch über eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit nachzudenken. In Hamburg räumten die Umfragen der Linkspartei gute Chancen ein, deutlich über die 5 Prozent-Hürde zu kommen und so auch in der Freien und Hansestadt eine wichtige Rolle zu spielen. Nach dem Fall Zumwinkel, der das Vertrauen in die selbsternannten Eliten hierzulande nicht eben gestärkt hat, wäre vielleicht sogar ein mehrprozentiger Empörungsbonus möglich. Doch vielleicht war doch alles umsonst, denn mittlerweile stecken die Protagonisten des demokratischen Sozialismus selbst in argen Erklärungsnöten.

Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner hat zwar keine Steuern hinterzogen, dafür aber ausgerechnet die Staatssicherheit in die Rubrik verlässliche Wertanlagen eingeordnet. Wenn „man“ eine andere Gesellschaftsform errichte, brauche „man“ wieder so ein Organ, meinte Wegner im ARD-Magazin Panorama. Schließlich müsse „man“ sich davor schützen, „dass reaktionäre Kräfte die Gelegenheit nutzen und so einen Staat von innen aufweichen“.

In der Parteizentrale glaubte „man“ offenbar, nicht recht gehört zu haben, reagierte allerdings so schnell, als sei Ähnliches zu befürchten gewesen. Nachdem sich „Die Linke“ noch am 30. Januar ein - bereits recht unmissverständliches - Interview mit Christel Wegner („Ich verstecke nicht, daß ich Kommunistin bin“) zu eigen gemacht hatte, distanzierte sich der Vorstand zunächst "in aller Form", bevor die niedersächsische Landtagsfraktion die neue Kollegin nach §6 der Geschäftsordnung aus der parlamentarischen Interessengemeinschaft warf.

Für die Häme der politischen Gegner kam freilich jede Reaktion zu spät, und auch in der Medienlandschaft war die Urteilsbildung innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen. Das Etikett klebte und hieß „DDR-Verherrlicherin“ (Die Zeit), „Stasibefürworterin“ (Tagesspiegel), „Stasi-Fan“ (Die Welt) oder - mit einem warmen, persönlichen Zwischenton als kleines Dankeschön für das überraschende Nachrichtenhighlight – ganz einfach „Stasi-Christel“ (stern).

„Auch als 60-jährige Kommunistin muss man noch lernen“

Zu dieser in jedem Fall hilfreichen Erkenntnis kam Christel Wegner, nachdem das Gewitter über sie hereingebrochen war. Doch die persönliche Erklärung, mit der sie den Imageschaden zu korrigieren versuchte, wurde in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Dabei fühlte sich die Aktivistin, die „arglos“ in das Gespräch mit den übel wollenden Journalisten gegangen war, gründlich missverstanden.

Meine Aussage im Interview bezog sich nicht auf die Stasi. Ich habe vielmehr gesagt, dass jeder Staat einen Geheimdienst hat und dies natürlich auch für einen sozialistischen Staat gilt.

Christel Wegner

Das klang schon politisch korrekter, aber immer noch nicht so, wie es die Mehrheit der Öffentlichkeit von ihren Mandatsträgern erwartet. Ein paar Sätze später polierte Wegner deshalb nach. Sie wolle weder die Stasi wiederbeleben, noch die Mauer neu bauen oder gar die niedersächsischen Grundbesitzer enteignen.

Und im übrigen: die DKP hat schon immer die Auflösung der Geheimdienste gefordert.

Christel Wegner

Für DKP-Chef Heinz Stehr ist die Angelegenheit damit erledigt. Die Genossin habe zwar „Fehler gemacht“, mittlerweile aber auch „selbstkritisch Stellung bezogen“. Stehr sieht das „zusammengestückelte antikommunistische Produkt von ´Panorama´“ als Teil einer Kampagne, die der wahlpolitischen Zweckgemeinschaft schweren Schaden zufügen könnte. Denn „Die Linke“ habe sich schließlich bereits „der Staatsdoktrin Antikommunismus gebeugt“ und nehme den „Verlust an notwendiger linker Solidarität und Souveränität“ billigend in Kauf.

Die DDR als Teil des humanistischen Erbes

Mit dem Vorvorgänger der Linkspartei kam die DKP bekanntlich besser zurecht. Über viele Jahre flossen Millionenbeträge von Ost nach West, und lange Zeit erhielten die von manchem Klassenkämpfer als „legalistisch“ verspotteten Westkommunisten in der Deutschen Demokratischen Republik sogar paramilitärischen Unterricht für den Fall der Fälle. Das aktuelle DKP-Programm, das auf dem 17. Parteitag am 8. April 2006 verabschiedet wurde, bemüht sich durchaus, plausible Erklärungen für das Scheitern des real existierenden Sozialismus zu finden. Doch die gute alte Zeit des besitzlosen Miteinanders ist auch Anlass für nostalgische Schwärmereien, in deren Verlauf die DDR schon mal zum „Teil des humanistischen Erbes in Deutschland“ verklärt wird.

40 Jahre hat es auf deutschem Boden mit der DDR einen sozialistischen Staat gegeben, der eine Alternative zum kapitalistischen System der BRD darstellte. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hatte die Arbeiterklasse die politische und ökonomische Macht des Kapitals gebrochen. Die wichtigsten Produktionsmittel wurden in gesellschaftliches Eigentum überführt. Effizient arbeitende landwirtschaftliche Genossenschaften entstanden. Der Zugang zu Bildung und Kultur sowie zur medizinischen Versorgung hing nicht vom Geldbeutel ab. Wichtige politische und ökonomische Voraussetzungen für die Gleichberechtigung der Frauen wurden geschaffen.

Die DKP stand an der Seite der DDR, jenes Staates, in dem 40 Jahre lang die Macht der Konzerne und Banken beseitigt war, jenes Staates, der als einziger in der bisherigen deutschen Geschichte konsequent für Frieden und gegen Krieg eintrat, der konsequent Solidarität mit den Völkern der Entwicklungsländer übte und der konsequent antifaschistisch war.

Parteiprogramm der DKP – April 2006

Die westdeutschen Kommunisten, die bei den Wahlen der vergangenen Jahre selten über 0,1 Prozent hinauskamen, ließen nie einen Zweifel daran, dass DKP und Linkspartei allenfalls ein kleines Stück ihres politischen Weges würden gemeinsam gehen können. Vor den verschiedenen Urnengängen einigte man sich zwar auf das Wahlprogramm des größeren Partners, betrachtete die Kooperation aber stets als befristete Zweckgemeinschaft und die Zielsetzungen beider Parteien lediglich als bedingt vereinbar. So erklärte Detlef Fricke, Bezirksvorsitzender der DKP in Niedersachsen, im September 2007:

Was uns von der Partei Die.Linke unterscheidet, ist die Antwort auf die Frage: Wie können wir eigentlich reale Veränderungen durchsetzen? Unsere Antwort: Dies geht nur über einschneidende Eingriffe in die Macht der Konzerne und ihrer politischen Vertreter in Berlin und in Hannover. Und dies wird so von der Partei Die.Linke nicht vertreten. Zur Lösung der Machtfrage gehört aus unserer Sicht mehr, als über Regierungsbeteiligung, Koalitionsmodelle oder parlamentarische Opposition nachzudenken. (...) Unsere Aufgabe ist es, zwar unabhängig von Tagesfragen, aber trotzdem an diese anknüpfend, Zukunftsvisionen zu entwickeln. Visionen, die außerhalb der Grenzen des bestehenden Systems liegen – was die Programmatik der Partei Die.Linke nicht hergibt.

Detlef Fricke

Ähnlich äußerte sich Frickes Parteifreundin Christel Wegner in dem mehrfach zitierten ARD-Magazin.

Das Programm der DKP geht in der Zielsetzung über das der Linken hinaus. Weil wir ganz klar sagen: Wir wollen den Sozialismus haben für dieses Land. Die Linke möchte mit Reformen Veränderungen erreichen, und wir sind der Auffassung: Das reicht nicht. Wir wollen den Umbau der Gesellschaft.

Christel Wegner

Aussichtsreiche Listenplätze

Die Entrüstung mancher Spitzenpolitiker der „Linken“ wirkt vor dem Hintergrund dieser klaren programmatischen Aussagen wenig überzeugend. Der Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag hielt sich mit kritischen Anmerkungen denn auch nicht zurück. Die westdeutschen Landesverbände hätten keine DKP-Mitglieder auf ihren Listen kandidieren lassen sollen, meinte Gregor Gysi.

Ich hätte es anders entschieden, weil ich weiß, dass die Positionen haben, die mit unseren nichts zu tun haben. Es gibt für uns keinen Weg zurück zur DDR. Es gibt für uns keinen Weg zur Verstaatlichung der Produktionsmittel. Und wenn einer eine andere Meinung hat und in der Fraktion ist, dann muss er eben überstimmt werden. Punkt um.

Gregor Gysi

Wenn der „Punkt um-Gregor“ der vorlauten „Stasi-Christel“ einfach so über den Mund fahren könnte, wäre das Thema hier beendet. Doch die Realität sieht anders aus, als es der smarte Vorzeigesozialist gerne hätte. Mittlerweile ist der DKP vor allem mit Hilfe der „Linken“ der Einzug in rund 20 Kommunalparlamente gelungen, und auf der Stadtratsliste für die Kommunalwahl in München am 2. März stehen schon wieder ausgewiesene DKP-Aktivisten. Die Industriekauffrau Sonja Schmid, der Dekorationsmaler Walter Listl oder der demoerprobte, auf Rang 8 platzierte Grafiker Claus Schreer sollen die Bayern auf einen Weg bringen, „der zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung führen kann“. Der anvisierte Koalitionspartner ist von diesem Ansinnen wenig erbaut. „Eine Liste voller Chaoten“ habe die Linkspartei zusammengestellt, befand der grantelnde SPD-Oberbürgermeister Christian Ude.

Auch in Hamburg, wo am Sonntag eine neue Bürgerschaft gewählt wird, trübt die Frage nach der DKP das Stimmungshoch der Linkspartei. Zehn erklärte Kommunisten kandidieren in den verschiedenen Bezirken - von der 46jährigen Tischlerin Ulrike Grotehusmann und der 57jährigen Drogistin Margrit Klingforth über den 37jährigen Literaturwissenschaftler Ivar Lethi und den 32jährigen Journalisten André Lenthe bis zum 73jährigen Schmied Franz-Josef Peine sind die gängigen Berufs- und Altersklassen vertreten.

Die besten Chancen darf sich allerdings Olaf Harms ausrechnen. Der 47jährige Versicherungskaufmann lernte schnell aus dem Fall Wegner und schrieb in einem Brief an die Genossen der Linkspartei:

Von begangenen Menschenrechtsverletzungen und von erfolgter Verletzung geltender Rechtsnormen durch das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der früheren DDR distanziere ich mich deshalb ausdrücklich.

Olaf Harms

Harms steht auf Platz zehn der Bürgerschaftsliste und könnte mit einem Wahlergebnis von etwa 8 Prozent den Sprung in das Stadtparlament schaffen. Er wäre hier der erste Kommunist seit 1956 – sein Vorgänger, der einstige KPD-Funktionär Kurt Erlebach, starb am 11. Januar dieses Jahres. Wie im Süden der Republik stößt dieses Personalangebot auch in Hamburg auf den energischen Widerspruch der Sozialdemokraten. SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann positionierte sich gegenüber der Linkspartei noch kurz vor dem Urnengang als kerniger Lutheraner, der mit „Maoisten und Trotzkisten“ nichts zu tun haben will.

Dies ist immer noch die Partei von Helmut Schmidt, Dohnanyi, Voscherau. Das heißt, da wird nicht mit dem linken Flügel gewackelt. Da gibt es nix. Die können machen, was sie wollen.

Michael Naumann

Linkes Sammelbecken

Der Hamburger Landesverband der Linken lässt sich davon nicht beirren und verteidigt den umstrittenen Versuch, auf der Bürgerschaftsliste ein linkes Zweckbündnis zu versammeln, mit Nachdruck.

Die LINKE ist eine pluralistische Partei, auf deren Wahllisten auch BürgerInnen kandidieren können, die sich als Kommunisten definieren oder einer entsprechenden Organisation angehören, soweit sie das Wahlprogramm und das Sofortprogramm für ein soziales und solidarisches Hamburg für ihr politisches Handeln akzeptieren.

Die Linke Hamburg

Seit dem Fall der Mauer hat die einstige SED gleich mehrere Metamorphosen hinter sich gebracht, um die personellen, programmatischen und ideellen Gemeinsamkeiten von gestern und heute tunlichst aufzukündigen. Mit der Neugründung der Partei „Die Linke“ und der erfolgreichen Ausbreitung in den Westteil der Republik sollte schließlich nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern auch ein Schlussstrich markiert werden.

Doch der Versuch, die Aktivitäten der gesamten linken Szene zu bündeln und unter dem Dach der eigenen Organisation zusammenzufassen, ist immer wieder zum Scheitern verurteilt. Die Kommunistische Plattform umfasst nach neusten Zählungen zwar nur 842 Mitglieder, vertritt aber Zielsetzungen, die durchaus von der offiziellen Parteilinie abweichen und vom Verfassungsschutz explizit als „linksextremistisch“ eingestuft werden. Über das „Marxistische Forum“, in dem etwa 60 Personen aktiv sein sollen, wurden ebenfalls entsprechende Erkenntnisse gesammelt. Auch das Netzwerk Marx21 sorgt seit einiger Zeit für erhebliches Aufsehen. Rund 300 Marxisten arbeiten hier daran, „die Macht der Konzerne zu brechen“ und den „Kampf der Lohnabhängigen aller Nationen“ voranzubringen. „Marx21“ versteht sich als Nachfolger der trotzkistischen Organisation „Linksruck“, die sehr eigenwillige Vorstellungen von der näheren Zukunft der Bundesrepublik pflegte.

Der Staat muss „zerschlagen“ und durch demokratische Institutionen von unten ersetzt werden.

Volkhard Mosler / Linksruck, April 2006

Mittlerweile haben mehrere „Marx21“-Mitglieder Einfluss in der Linkspartei gewonnen. Mit Christine Buchholz und Janine Wissler, die gerade in den Hessischen Landtag gewählt wurde, sitzen gleich zwei Unterstützerinnen des „Netzwerks für den internationalen Sozialismus“ im Parteivorstand der Linken. Personelle Verbindungen existieren überdies zur innerparteilichen Gruppierung Sozialistische Linke, zum Studierendenverband Die Linke.SDS oder zur Linksjugend solid.

Für „Die Linke“ gibt es in den kommenden Wochen und Monaten also noch einiges zu organisieren. Vor allem aber steht die Partei vor der Frage, ob sie in den wichtigen Bereichen der programmatischen Ausrichtung und der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit nicht noch erheblich nachbessern muss. Die ziellose Einladung zum linken Mitmachen hat ganz offenbar unerwünschte, kaum kontrollierbare Nebeneffekte.