Unsere Interessen, unsere Werte und der Ukraine-Krieg

Seite 3: Welche Friedenswerte?

In diesem Debattenklima, das offenbar eine große Mehrheit der teilnehmenden Öffentlichkeit mit der Politik und den Medien vereint, war es wahrscheinlich nicht zu vermeiden, dass das Manifest der Feministin Alice Schwarzer und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht trotz der mehr als 600.000 Unterschriften weitgehend negativ wurde.

Friedensverhandlungen seien sinnlos, da Russland nur die Sprache der Gewalt verstehe. Ähnlich haben sich auch die Ansichten zu China und der Taiwan-Frage entwickelt, und das, während die wirtschaftliche Verflechtung mit beiden Ländern für Deutschland um mehrere Dimensionen wichtiger ist als mit der Ukraine und mit Russland zusammen.

Die Pentagon-Leaks haben an diesem Meinungsklima nichts verändert, wenigstens bei diesem Thema bleibt Deutschland der wichtigste Verbündete der USA in Europa und der französische Präsident Macron muss völlig daneben liegen.

Bei dieser Bestandsaufnahme bleibt die Frage, ob es politisch und ethisch verantwortbar ist, allein auf die Bestrafung und eine militärische Niederlage des Aggressors Russland zu setzen, die selbst von US-amerikanischen Militärs wie dem Generalstabschef Mark Milley in Zweifel gezogen wird.

Verhandlungen als sinnlos auszuschließen, kann nur mit einer Verengung der wertebasierten Politik erklärt werden, die laut Koalitionsvertrag auch dem "Schutz von Frieden und Menschenrechten weltweit" verpflichtet sein sollte.

In Anbetracht von Hunderttausenden von Kriegsopfern auf beiden Seiten und der materiellen Zerstörungen in der Ukraine, einschließlich der Umweltschäden, wäre vielmehr eine Auslotung aller denkbaren Ansätze für Kompromisslösungen notwendig, die dem Sterben und Zerstören zu einem Ende bringen könnten.

Im Hinblick auf die deutschen Medien, ihre Leserbriefseiten und die sozialen Medien fällt auf, dass kaum über die auf beiden Seiten propagandistisch geschönten oder übertriebenen Verluste an Menschenleben diskutiert wird.

Emotional sind offenbar Klimaziele, Tierschutz oder Minderheitenrechte wichtigere Ziele als ein Ende des Mordens in der Ukraine. Zu den Menschenrechten gehört an erster Stelle das Recht auf Leben, aber offenbar haben wir uns durch die ständigen blutigen Konflikte weltweit so an das Sterben anderer Menschen gewöhnt, dass die wertebasierte Politik auf Friedensinitiativen verzichten und die Bestrafung des Aggressors zur obersten Priorität erklären kann. Die Mehrheit der Deutschen ist damit offenbar einverstanden.

Sterben lassen?

Der US-amerikanische Militärpsychologe Dave Grossman hat in seinem zuerst 1996 erschienen Buch "On Killing" die Mechanismen beschrieben, wie man Soldaten dazu bringt, die natürliche Tötungshemmung zu überwinden und welche psychischen Belastungen daraus entstehen.

Er beschreibt aber auch die Gewöhnung der gesamten Gesellschaft an alltägliche Gewalt, nicht zuletzt durch Filme und Computerspiele, denen bereits Kinder ausgesetzt werden. Das Resultat nennt er "acquired violence immune deficiency", also eine erworbene Abstumpfung gegenüber dem Töten von Mitmenschen.

Wie weit auch Deutschland davon betroffen ist, wäre eine Debatte wert.

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