Untergang der Titanic

Mit Bernd Pfarr und Chlodwig Poth verliert das endgültige Satiremagazin zwei seiner Besten

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Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der mir die Titanic zu satirisch war. Ich hatte gerade angefangen zu studieren, hatte gerade eine Kneipe entdeckt, die ich in Ermangelung einer besseren Alternative fortan meine Stammkneipe nennen wollte, und da ich niemand kannte und keine Karriere als Jurist oder Betriebswirtschaftler plante, hatte ich viel Zeit, das bedruckte Papier zu studieren, das in meiner "Stammkneipe" zum gefälligen Gebrauch auslag: Spiegel, Stern, Konkret, taz und eben auch die Titanic. Das endgültige Satiremagazin verwirrte mich: zu laut, zu knallig, zu böse. Nicht, dass ich keinen Geschmack an absurdem Humor gehabt hätte. Aber hier war mir manches einfach zu derb. Ich war noch ein guter Christenmensch. Ich fragte mich, ob man auf diese Art Leute verhöhnen darf.

Das gab sich dann später. Ich begann, der Titanic die laueren Scherze zu verzeihen, und konzentrierte mich auf die Gelegenheiten, bei denen sie wenigstens ein paar präzise Schläge unter der Gürtellinie von Kanaillen platzieren konnte, die mehr als nur das verdient hatten.

Manchmal las ich dann in meiner Stammkneipe hintereinander die konkret und die Titanic. Wegen der Überschneidungen bei den beitragenden Autoren war mir dann öfter nicht mehr klar, ob Hermann L. Gremliza nicht doch eigentlich Titanic-Autor war und F.K. Wächter nicht hauptsächlich für die konkret zeichnete. Klar, Spezlwirtschaft im kleinen Markt der lesbaren deutschen Zeitschriften, aber die Nähe fand ich als solche gut. Bei beiden wusste man, was man hatte, genauer als beim Persil-Mann.

Bei Chlodwig Poth wusste ich das allerdings lange nicht. Ich kannte schon flüchtig seine ironischen Abgesänge auf die 68er ("Mein progressiver Alltag") und hatte sie wenig lustig gefunden. Nicht meine Themen, nicht mein Zeichenstil, nicht mein Ding. In Farbe fand ich das Gestrichele nicht viel besser. Und dann blieb ich eines Tages an einem doppelseitigen Tableau hängen, das sich über neueste Vorschläge der "Arbeitgeber" zur Einrichtung der Politik lustig machte.

Da waren zum Beispiel Arbeiter in Blaumännern zu sehen, die Baustellenhelme auf den Köpfen, sie trugen ein Transparent vor sich her, auf dem zu lesen stand: "Jede unbezahlte Schicht schlägt Nippon in das Angesicht." Ich wusste noch nicht, dass das keine Satire war und lachte herzlich. Wenn ich mich recht erinnere, war das eines seiner Hassblätter, und die mochte ich gleich. Zum Beispiel das große Religionenhassblatt. Da waren sie alle versammelt, die religiösen Stützen der Gesellschaft, und Leute, über die ich mir damals noch Illusionen machte, wurden nicht geschont.

Überhaupt der Hass bei Poth. Er mochte schon lange aussehen wie ein milder Opa, aber seine besten Sachen, vor allem "Last Exit Sossenheim", sind von einem unbändigen Hass auf die Verhältnisse motiviert, die sie gar nicht karikieren, jedenfalls nicht im landläufigen Sinn, sondern entspaßen, und zwar radikal. Schluß mit lustig war bei Poth schon lange, bevor der Spruch in den allgemeinen Sprachgebrauch der Gesellschaft eingegangen war.

In einer Folge von "Last Exit Sossenheim" griff zum Beispiel ein Mann seiner neuen Freundin beim Knutschen an den Hintern und wurde dabei von Poth mit einer Denkblase ausgestattet, in der zu lesen stand: "Zu kleiner Arsch. Das is nix für länger." Und weil es so traf, tat es auch weh, und deswegen hört man aus der Stellungnahme des Frankfurter Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff einen komischen Unterton heraus, wenn er sagt, dass Poths Tod ein großer Verlust für die Kulturstadt Frankfurt sei, "in der er einer der kreativsten, aber auch kritischsten Köpfe war".

Es klingt, als sei der Dezernent ein ganz kleines bisschen froh darüber, dass wenigstens der Kritiker nicht mehr ist, wenn der Kreative schon sterben musste.

Bernd Pfarr war zwar eine ganz andere Hausnummer, aber der Weg zur Wertschätzung ging für mich auch zunächst über die Ablehnung: Mit Sondermann, der Titanic-Figur Pfarrs, die sich am meisten beim Publikum eingeprägt hat, habe ich nie etwas anfangen können. Ganz anders die Einzelbilder, in denen immer der Mond schien und die allesamt ein abseitiges Nachtbewusstsein zum Substrat hatten, das von den gestelzten und gewollten Konfigurationen der Sondermann-Reihe genau so weit entfernt war, wie vom Kunstanspruch jedes denkbaren "Surrealismus".

Die schwächeren Sachen waren niedlich, aber immer noch viel besser als zum Beispiel alles von Michael Sowa, die besten demonstrierten einen so natürlichen und zwingenden Zugriff auf den Kern des Absurden, dass sie in Technik und Aussage unbezweifelbar blieben, egal, wie lange man sie prüfte. "Haiku" - auch so eine gern genommene Formel bei Leuten wie Pfarr, aber immer noch besser als das "Surrealismus"-Etikett, das bei Pfarr genau so wenig zutreffen würde wie bei Poth. Und ja, wer bei Pfarr schmunzelt, der hat nun wirklich gar nichts begriffen.

Der satirische Mehrwert eines Namens wie "Titanic" liegt natürlich darin, dass ein Unternehmen, das so heißt, nicht mehr untergehen kann. Die Titanic ist schon untergegangen. Selbst wenn das endgültige Satiremagazin tatsächlich einmal endgültig abtauchen würde, würde es nur die Prophezeiung seines eigenen Namens erfüllen. Etwas Derartiges ist mit dem Tod von Bernd Pfarr und Chlodwig Poth natürlich nicht in bedrohliche Nähe gerückt. Das Schiff wird ab jetzt nur schwerfälliger sein und insgesamt weniger Fahrt machen. Man kann es auch drastischer ausdrücken, wie zum Beispiel der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg in seinem Weblog:

Bernd Pfarr ist gestorben, mit 45, so eine blöde verfickte Scheiße. Und auf der Suche nach Informationen darüber erfährt man dann so nebenbei, dass heute morgen auch noch Chlodwig Poth gestorben ist. Was ist denn nun los, Herrgottsackrament, hä? Ist dir langweilig, "lieber" Gott?

Genau. Vielleicht sollte man mal da oben auf ein Moratorium hinwirken, was das Sterbenlassen angeht. Sonst bleiben wir am Ende noch auf Leute wie Anke Engelke angewiesen. Und das kann ja nun niemand ernsthaft wollen.