Ursachenforschung des bisherigen EXPO-Misserfolges beginnt

Schuld sind immer die anderen

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Bisher verlieren sich die wenigen Besucher auf dem Gelände und in den Hallen der ersten Weltausstellung "EXPO 2000" in Hannover. Die ersten 523 Mitarbeiter sind entlassen worden. Schuld haben beispielsweise die Medien mit ihrer Miesmacherei.

Prognostiziert und als Einnahmequelle genau geplant wurden für den 1. Tag der Weltausstellung in Hannover 250.000Besucher. Nur wenige Tage vor der offiziellen Eröffnung hat man diese Zahl ganz schnell schon einmal auf 150.000 Besucher reduziert. Der Vorverkauf blieb dann aber schon bei 56.000 verkauften Karten stecken. Die Landesregierung lud kurzer Hand mal eben 28 EXPO-Schulen zum Besuch der EXPO ein. Die Deutsche Bahn sprang auch noch schnell mit 5.000 kostenlosen Karten ab 19 Uhr ein, damit das Gelände am Abend nicht ganz so öde aussah. Mehr Freikarten soll es nach Angaben der Generalkommissarin Birgit Breuel wirklich nicht mehr geben. Doch auch die Akkreditierungen der ca. 6.000 Bauarbeiter wurden mal eben um einen Tag verlängert. Definiert hat man das nicht als Freikarten, sondern als Dankeschön an die vielen fleißigen Hände. Trotzdem schien sich zunächst ein Flop anzubahnen, doch die Besucher kamen dann einfach doch spontan. So flanierten letztlich doch über 150.000 Besucher auf dem Gelände der Weltausstellung. Sorgen um die Besucherzahlen soll man sich auch nicht machen, denn "Die Expo ist kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Marathonlauf", meinte EXPO-Sprecher Lampersbach dazu.

Außer der Überraschung, dass es am Eröffnungstag doch noch viele Besucher zum hannoverschen EXPO-Gelände getrieben hat, gibt es derzeit aber nicht viel Positives über den Erfolg der Weltausstellung zu berichten. Durchschnittlich 70.000 Besucher pro Tag reichen bei weitem nicht, einen Teil der eingeplanten Einnahmen zu erzielen, zumal immer noch viele Besucher mit Freikarten auf dem Gelände verweilen.

Nun beginnen die Spekulationen, wer denn wohl die Schuld an diesem Desaster trägt.

In den Hallen ist die gähnende Leere förmlich zu spüren und so nutzen einige Länder noch die Gelegenheit, ihre Präsentationen einzurichten bzw. zum Teil auch noch aufzubauen. Für die unvollständigen Stände tragen nicht die Betreiber die Verantwortung, oft liegt der Verzug auch an der deutschen Bürokratie. So kann die Dominikanische Republik in Halle 21, die gestern ihren Nationentag feierte und spritzige Fröhlichkeit verbreitete, ihre Präsentation noch nicht aufbauen, weil noch einiges beim Zoll festliegt. Die Verantwortlichen zeigten sich tief enttäuscht, zumal sie gestern ihren Minister für das Präsidialamt S.E. Juan Temistocles Montás zu Gast hatten.

Insgesamt sind 2,5 Millionen Mark investiert worden, aber so konnte man das Vorhaben nur unvollständig zeigen. Trotzdem brachten die Musiker am Abend die EXPO-Plaza zum Schwingen. Auch ohne Besucher amüsierten sie die bunte Mischung aus internationalen Ausstellern und EXPO-Mitarbeitern. Die ca. 1.000 Konzertbesucher nutzten die Gelegenheit zu ausgiebigen Tänzen und so ganz nebenbei erschien noch eine marokkanische Gruppe in ihren traditionellen Gewändern und tanzte nach karibischen Weisen. An den Gastgebern aus den über 170 Nationen kann dieser Flop nicht liegen. Sie versprühen geradezu überschäumende und ansteckende Lebensfreude.

Feiertage

Schuld an den wenigen Besuchern sollen auch die Feiertage sein. Der Eröffnungstag lag an Himmelfahrt und das kommende Wochenende sind die Pfingstfeiertage. Hier wird vermutet, dass diese Feiertage zwar ein paar Spontanbesucher wie am Eröffnungstag anziehen, aber viele EXPO-Besucher eher abhalten. Vielen seien die typischen Stau-Bilder zu solchen Feiertagen in allzu guter Erinnerung. Sich dann noch auf eine Anreise zur Weltausstellung einzulassen, erschiene vielen als zu großes Staurisiko. Dem entgegen halten könnte man jedoch, dass wahrscheinlich gerade viele den arbeitsfreien Himmelfahrtstag genutzt hatten, um zur EXPO zu fahren. Warten wir es also ab, wie es zu Pfingsten aussieht.

Preise

Generell verbreitet ist eine eher abwartende Haltung, man will erst einmal sehen, ob sich der Besuch der Weltausstellung überhaupt lohnt. Doch bislang hat man nur hören und lesen dürfen, dass alles ziemlich teuer sei. So wurden auf dem Gelände Bratwürste doch tatsächlich für je 9,50 DM verkauft. Inzwischen haben einige Händler reagiert und die Preise deutlich gesenkt.

Doch die Händler haben nach Angaben der Neuen Presse aus Hannover inzwischen auch schon 523 Mitarbeiter entlassen. Betroffen sollen vor allem Mitarbeiter aus den Souvenirshops sowie Hostessen und Prominentenbetreuer sein. Doch noch will man nach Angaben der EXPO-Geschäftsführung nicht die Eintrittspreise senken. "An der Preisschraube zu drehen, ist immer die erste und primitivste Maßnahme", so Geschäftsführer Volk.

Die Medien

Schuld sollen auch die Medien mit ihrer negativen Berichterstattung sein. Die verbreiteten das Horrorszenario von möglichen Staus bei der Anfahrt, von überfüllten Parkplätzen, von überteuerten Hotels und einem zu vollen EXPO-Gelände. Warteschlangen von mehreren Stunden wurden prognostiziert. Die EXPO-Widerständler wurden mit ihren angekündigten Protestaktionen zu Ernst genommen.

Kurzum, jedes erdenkliche Schreckensgespenst wurde aufgegriffen und in allen Medien breit getreten. So hört man von Freunden in anderen Bundesländern dann auch nur besorgte Fragen, in denen aber immer eine gehörige Portion Hohn und Spott mitschwingt.

Größenwahn

Manche Besucher sind enttäuscht, dass sie bei ihrem Besuch längst nicht alles gesehen haben. So sprechen sich 70 Prozent der Besucher nach EXPO-Befragungen dafür aus, die Weltausstellung wieder besuchen zu wollen. Eine 69-jährige begeisterte Monatskartenbesitzerin aus Hannover-Laatzen drückt es anders aus: "Mein Mann und ich kommen jeden Tag für ein paar Stunden auf die EXPO, schauen uns ein bisschen um und trinken Kaffee. Den ganzen Tag auf der EXPO würden wir alten Leute überhaupt nicht durchhalten". Sie bedauerte, dass sie mit ihrem Monatsticket nicht für zwei Stunden am Vormittag und vielleicht am Nachmittag oder Abend wiederkommen dürfe. Auch mit einer Monatskarte darf man das Gelände nämlich nach Verlassen nicht wieder betreten.

Das Angebot auf dem riesigen Gelände ist so vielfältig, dass es schwer ist, sich ein Tagesprogramm zusammen zu stellen. Die vielen Kulturveranstaltungen (15.000 während der gesamten EXPO-Laufzeit) leiden aber auch deshalb unter Besucherschwund, weil keine Infotafeln auf das aktuelle Tagesprogramm verweisen. So spielte BAP in der Beatbox (Halle 11) zunächst vor ganzen 200 Zuhörern, später hatten sich wenigstens 1000 eingefunden. An BAP hat das sicher nicht gelegen, die am Tag vorher noch von 20.000 Menschen in Münster begeistert gefeiert wurden.

An der Plaza-Bühne steht überhaupt kein Hinweisschild, wann welche Veranstaltungen starten. Die meisten Besucher wollen etwas sehen bzw. unterhalten werden. Für die vielen Monitore oder Plakate nimmt sich kaum jemand Zeit. Dennoch ist der Themenpark ein Erfolg, denn es scheint bei vielen Besuchern dennoch ein Bedürfnis nach Information zu geben. Doch auch hier sind zum Teil Klagen zu hören, denn die Inhalte der Präsentation der Themengebiete erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Hier fehlen zweifelsohne doch ein paar Erläuterungen oder ein Flyer als Handreichung.

EX-Treuhand-Chefin Frau Breuel

Von einigen ostdeutschen Besuchern war ein ganz anderes Argument zu hören. Das mangelnde Besucherinteresse liege auch an Frau Breuel, der ehemaligen Treuhandchefin. "Das ist die Quittung für ihre Politik der Arbeitsplatzvernichtung im Osten", so die einhellige Meinung einer kleinen Gruppe aus Sachsen. Nach ihrer Meinung darf nicht immer nur die Wirtschaft dominieren und alles dem Preisdiktat unterliegen. "Für die meisten Ossis ist die EXPO doch nicht zu bezahlen, schauen Sie sich doch die Arbeitslosenzahlen an", bekam man noch zu hören und "dann gibt es nicht einmal vergünstigte Karten für Arbeitslose".

Konsequenzen? Vielleicht wird es bald verbilligte Karten nur für bestimmte Geländeteile geben. Dann kann man für wenig Geld nur das Ost- oder das Westgelände besuchen. Ohne eine abgestimmte Verkaufspolitik werden die EXPO-Macher dem bevorstehenden Kollaps der Weltausstellung nicht begegnen können. Sie werden verstärkt Werbung machen müssen. In dieser Werbung müssen sie aktuelle Bilder der EXPO einbauen, denn nur mit der bislang futuristischen Werbung erreicht man wohl nicht die erwünschten 40 Millionen Besucher. Spontanbesuche müssen leider stärker gefördert werden, selbst wenn es dann das gefürchtete Verkehrschaos gibt und die Grünen sich politisch bestätigt wissen. Doch nicht nur die EXPO-Verantwortlichen sollten über einschneidende Konsequenzen nachdenken, auch die privaten Vermieter und die Hotels müssen durch drastische Preissenkungen zeigen, dass sie ihre Rolle als Gastgeber für die Welt verinnerlicht haben.