Vampirismus unter Sternen

Die so genannten Blauen Nachzügler haben sich ihre Jugend dadurch bewahrt, dass sie vampirgleich Materie von ihren Begleitern abgezogen haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon vor vielen Jahren ist Astronomen ein bestimmter Sternentyp aufgefallen, den es eigentlich gar nicht geben dürfte: die so genannten "Blauen Nachzügler" findet man gewöhnlich in Clustern gleichartiger, zur selben Zeit entstandener Sterne (im Mai ergab eine erneute Auswertung von älteren Bildern des Weltraumteleskops Hubble, dass auch im Zentrum der Milchstraße ein paar davon "leben"). Sie sind heller und ihr Spektrum ist blauer als das ihrer Nachbarn, deshalb wirken sie unter ihren Geschwistern wie später geborene Babys, eben Nachzügler.

Künstlerische Darstellung der Entstehung eines Blauen Nachzüglers: Der eigentlich kleinere Stern entzieht dem älteren und größeren Roten Riesen Materie, wächst dadurch selbst und wird scheinbar jünger.

Denn sie können, analysiert man ihre physikalischen Daten, nicht zur selben Zeit geboren sein - sonst müssten sie sich längst von der Hauptreihe des Hertzsprung-Russel-Diagramms entfernt und zu Roten Riesen entwickelt haben. Denn gerade die besonders schweren, hellen Sterne der Hauptreihe verschießen ihr Pulver (Helium) zuerst. Bereits 1953 ist das dem US-Astronomen Allan Sandage aufgefallen, als er ein Hertzsprung-Russel-Diagramm des Kugelsternhaufens M3 konstruierte.

Diesen Widerspruch versuchen zwei unterschiedliche Theorien zu erklären. Zum einen könnten die Blauen Nachzügler durch die Kollision von zwei Sternen entstanden sein. Binär- und insbesondere Dreiersysteme sind dafür besonders anfällig, weil sie ein besseres Ziel abgeben. Das Ergebnis ist dann meist ein großer blauer Stern mit einem Weißen Zwerg als Begleiter. Tatsächlich zeigen Beobachtungen, dass die unmöglichen Himmelsobjekte relativ häufig kleinere Begleiter aufweisen.

Allerdings sinkt die Wahrscheinlichkeit für derartige Zusammenstöße, je lockerer die Mitglieder des Sternhaufens gruppiert sind. Eine zweite, konkurrierende Theorie versucht deshalb eine andere Erklärung. Binärsysteme, in der Sternenwelt recht häufig, bestehen meist aus Objekten verschiedener Größe. Wenn ein Zwilling des Pärchens besonders groß ist, vollzieht er die Entwicklung zum Roten Riesen zuerst.

In diesem Prozess dehnt er sich stark aus, seine Dichte sinkt. Das wirkt sich für ihn fatal aus: Wenn die beiden Sterne sich nah genug umkreisen, kann ihm nun sein Nachbar allein durch die Gravitation Material entziehen. Je mehr davon auf den anderen Stern übergeht, desto stärker beschleunigt sich der Prozess. Am Ende haben wir einen für sein Alter ungewöhnlich heißen und großen Stern vor uns, der wegen seiner Eigenschaften von den Astronomen für jung gehalten werden muss. Begleitet wird er erneut von einem Weißen Zwerg.

Die Befragung der Begleiter

Da das Ergebnis in beiden Fällen dasselbe ist - alter Sternen-Kerl in seiner zweiten Jugend, der von einem blonden Sternchen umkreist wird - reicht allein die Beobachtung weißer Zwerge nicht, um die wahre Herkunft der Blauen Nachzügler zu klären. Die Astronomen Aaron Geller und Robert Mathieu von der University of Wisconsin haben deshalb etwas genauer hingesehen - im Wissenschaftsmagazin Nature berichten sie von ihren Erkenntnissen. Wenn der alte Kerl nichts verrät, kommt man manchmal durch Befragung seiner Begleiter zum Ziel - konkret haben sich die Forscher die Massenverteilung der Weißen Zwerge angesehen, die die Blauen Nachzügler umkreisen.

Als Studienobjekt diente ihnen der offene Sternhaufen NGC 188 im Sternbild Kepheus, der 6,4 Milliarden Jahre alt ist und aus rund 5000 Mitgliedern besteht. Zwei Beobachtungen sind dabei interessant: Zum einen haben die meisten der betrachteten Systeme sehr kurze Umlaufzeiten. Zum anderen sind gerade die hier beobachteten Weißen Zwerge mit weniger als einer Sonnenmasse sehr leicht. Beide Fakten können, meinen die Forscher, gut als Unterscheidungskriterium dienen: Die wenigen durch eine Kollision entstandenen Blauen Nachzügler drehen sich mit ihrem relativ schweren Begleiter langsam um den gemeinsamen Schwerpunkt, während die durch Vampirismus verjüngten Sterne ihre leichten Begleiter schnell um sich wirbeln.