Vermögenssteuer: Norwegens Reiche fliehen in die Schweiz – und nehmen den Wohlstand mit

Ole Gjems-Onstad
Roter Koffer mit weißem Schweizer Kreuz und Postkartenmotiven

Bild: Zarya Maxim Alexandrovich /shutterstock.com

Norwegens Superreiche stimmen mit den Füßen ab, seit 2021 die Vermögenssteuer erhöht wurde. Die Auswirkungen sind dramatisch. Gastbeitrag.

Norwegen ist nahezu das einzige Land in der OECD und weltweit mit Vermögenssteuer. Kritiker meinen, dass wir einen hohen Preis dafür bezahlen.

In Europa gibt es in der Schweiz eine Vermögenssteuer, die jedoch weitaus niedriger ausfällt als in Norwegen. In einigen Gebieten in Spanien gibt es eine gewisse Vermögenssteuer. Ansonsten gibt es in Argentinien, Kolumbien und Uruguay eine Vermögenssteuer – Länder, mit denen sich Norwegen ansonsten nicht vergleicht. Unklar ist auch, wie die Vermögensteuer in diesen Ländern ausgehen wird.

Der Autor Ole Gjems-Onstad ist emeritierter Professor für Steuerrecht an der Norwegian Business School, wo er von 1985 bis 2017 lehrte. Er hat etwa 40 Bücher veröffentlicht. Zehn Jahre lang war er Gründungsherausgeber der norwegischen Steuerrechtspublikation Skatterett und 30 Jahre lang Gründungsherausgeber einer jährlichen norwegischen Sammlung von Steuergesetzen und -vorschriften.

Die norwegische Vermögenssteuer ist darüber hinaus im Vergleich zu dem, was in vielen Ländern üblich ist, sehr anstrengend gestaltet: Sie befreit unternehmensgebundene Vermögenswerte nicht, verknüpft sie für die meisten Vermögenswerte mit dem Marktwert (nicht nur gemäß Gesetz, sondern auch in der Praxis) und reduziert die Aktien nur um 20 Prozent.

Es gibt keine Höchstgrenze für die Besteuerung im Verhältnis zum Einkommen. Die Vermögenssteuer ist nicht an das Einkommen oder einen Cashflow gekoppelt, sie kann erhebliche Liquiditätsprobleme verursachen und den Verkauf von Vermögenswerten, typischerweise Aktien, erzwingen.

Einige Steuerzahler in Norwegen haben eine Gesamtsteuerrechnung, die ihr Einkommen übersteigt.

Emigration, um keine Vermögenssteuer zu zahlen

Ein wesentlicher Grund dafür, dass die überwiegende Mehrheit der Länder keine Vermögenssteuer hat oder sie abgeschafft hat, ist, dass Auswandern der einfachste Weg ist, die Steuer zu umgehen.

In Norwegen ansässige Personen werden mit ihrem gesamten Vermögen besteuert, unabhängig davon, wo auf der Welt sich das Vermögen befindet. Das gilt aber nur, solange die Personen in Norwegen leben.

Sie können also in fast alle Länder der OECD und der Welt ziehen und so der Vermögenssteuer entgehen. Selbst die kulturell, ideologisch und sprachlich sehr nahen Nachbarländer Dänemark und Schweden sind ohne Vermögenssteuer.

Ein Problem bei der Umsiedlung ist, dass die Vermögenssteuer in Norwegen drei Jahre lang anhält, wenn man nicht in ein Land zieht, in dem es Vermögenssteuer gibt. Dies ist ein zentraler Grund, warum die Schweiz das bevorzugte Ziel norwegischer Steuerflüchtlinge ist. In allen Jahren gab es aufgrund der Vermögenssteuer einen kleinen, aber stetigen Zustrom von Menschen, die aus Norwegen zuzogen.

In Norwegen liegen die Steuerzahlen für Privatpersonen vor. Typischerweise, so hat man gesehen, könnten Menschen, die laut Vermögenssteuerzahlen auf die Liste der zehn Reichsten Norwegens kommen, im nächsten Jahr weg sein. Steuerberater sagten häufig, dass es eine Schmerzgrenze von rund einer Milliarde Norwegische Kronen (ca. 86 Millionen Euro, d. Red.) Vermögen gebe.

"Tolles Klima in der Schweiz"

Diejenigen, die umgezogen sind, gaben in der Regel andere Gründe als Steuern für ihren Umzug an: "Tolles Klima in der Schweiz usw.". Es bestand kein Konsens darüber, dass die Vermögenssteuer die Ursache für die Auswanderung sei.

Dies änderte sich 2021, als eine rot-grüne Regierung eintrat, die die Steuerlast aus der Vermögenssteuer fast verdoppelte. Sie erhöhten den Satz und reduzierten den Reduktionsfaktor für Aktien. Überdies erhöhten sie die Besteuerung von Dividenden und Aktiengewinnen.

In der Praxis ist die Dividendensteuer Teil der Vermögensteuer. Die größeren Vermögenswerte bestehen in der Regel aus Aktien und der Eigentümer muss Dividenden abheben, um liquide für die Zahlung der Steuer zu sein. Bei einem Dividendensteuersatz von 37,84 Prozent bedeutet dies, dass die Vermögenssteuer um fast 60 Prozent steigt.

Eine Körperschaftsteuer

Weil Gewerbetreibende dem Unternehmen Geld entnehmen müssen, um die Vermögenssteuer zu bezahlen, ist die Vermögenssteuer in Wirklichkeit eine Körperschaftsteuer. Das betrifft aber nur Unternehmen mit norwegischen Eigentümern. In der Debatte ist dies nach und nach zu einem gewichtigen Argument gegen die Vermögenssteuer geworden.

Dies diskriminiert norwegische Eigentümer, die gegenüber ausländischen Eigentümern benachteiligt werden. Nach Steuern erzielen norwegische Eigentümer eine geringere Rendite auf ihre Investitionen als ausländische Eigentümer.

In der Wirtschaftstheorie gibt es keine unterstützenden Argumente dafür, inländische Investoren schlechter zu behandeln als ausländische. Diese Diskriminierung gilt als zufällige, unbeabsichtigte, aber gleichzeitig unvermeidliche Folge der Vermögensteuer.

Die deutliche Verschärfung der Vermögenssteuer ab 2021 führte schließlich zu einer großen Steuerflucht in die Schweiz. Wenige, wenn überhaupt, würden gegenwärtig daran Zweifel äußern, dass der Grund für den Umzug vieler Menschen in die Schweiz in der Vermögenssteuer liegt. Doch über die Antwort der Frage, inwieweit dies schädlich für Norwegen ist, herrscht Uneinigkeit.

Mehr Gleichheit – weniger Sozialhilfe

Gefördert wird insbesondere die Vermögensteuer als Instrument der Gleichstellung. Paradoxerweise besteht kein Zweifel daran, dass insbesondere der Auszug zu mehr Gleichberechtigung führt.

Als Norwegens damals reichster Industrieschaffender Kjell Inge Røkke im September 2022 nach Lugano in der Schweiz zog, wurden in seiner norwegischen Gemeinde alle verbliebenen Einwohner pro Kopf um 500.000 NOK (etwa 43.000 Euro) gleicher.

Aber sie wurden auch ärmer und erhielten weniger Sozialhilfe, weil Røkke viel mehr als jeder andere an Steuern gezahlt hatte.

Wenn es um die Steuern wohlhabender Menschen geht, wird ihre Steuer oft als Prozentsatz des Einkommens hervorgehoben, aber Røkkes Schritt hat gezeigt, dass für die öffentlichen Haushalte ihr Steuerbeitrag in absoluten Zahlen von zentraler Bedeutung ist.

Steuerflucht und fehlende Informationen

In einem Artikel in Telepolis vom 10. Januar 2025 unterstützt Andreas von Westphalen nach Auffassung des Autors dieses Gastbeitrags diejenigen, die die norwegische Steuerflucht verharmlosen wollen.

Man muss unterscheiden zwischen den Norwegern, die heute außerhalb ihres Landes leben, und der Zahl derer, die nach den starken Erhöhungen der Vermögens- und Dividendensteuern im Jahr 2021 weggezogen sind.

Es gibt keine verlässlichen öffentlichen Statistiken, aber die neuesten Zahlen der norwegischen Wirtschaftspresse zeigen, dass nach 2021 500 Menschen mit einem Vermögen von etwa 50 Milliarden Norwegischen Kronen (ungefähr 4,3 Milliarden Euro, d. Red.) in die Schweiz gezogen sind. Für ein kleines Land ist das eine beträchtliche Zahl an Fachkräften, und es geht um zwei Prozent der Aktien in norwegischem Besitz.

Die norwegische Regierung hat nicht zuverlässig zur Klärung der Zahlen beigetragen. Es erregte große Aufmerksamkeit, als der Finanzminister im Parlament erklärte, der Steuerexodus sei kein Problem, da die Auswanderer weniger steuerpflichtiges Vermögen hätten als die Einwanderer in Norwegen (Dokument Nr. 15:430 2022-2023, Antwort vom 23. November 2023).

Der überraschend grundlegende Fehler bestand darin, dass Personen, die Norwegen verlassen, nicht der allgemeinen Vermögenssteuer unterliegen, wenn sie aus Norwegen vor dem 1. Januar des nächsten Jahres verlassen haben. Die falschen Zahlen des Finanzministers wurden jedoch an mehreren Stellen wiederholt.

Jungunternehmer: Reisen Sie, bevor Sie sichtbar werden

Es ist außerdem unmöglich, genaue Zahlen zu erhalten, da es aufgrund einer neuen norwegischen Wegzugssteuer (exit-tax) vorteilhaft geworden ist, umzuziehen, bevor man Erfolg hat und "sichtbar" ist.

Für einen Start-up-Unternehmer kann eine zukünftige Steuersituation unmöglich erscheinen. Wenn ein Unternehmen mit vielversprechender Technologie, aber geringen Einnahmen und keinen Gewinnen, mit einem Wert von 200 Millionen NOK (17,2 Millionen Euro) veranschlagt wird und der Gründer über 100 Millionen NOK (8,6 Millionen Euro) verfügt, kann er nach der Notierung eine Vermögenssteuer von 0,88 Millionen NOK (68.700 Euro) auferlegt bekommen.

Doch das Unternehmen verfügt nicht über die Mittel, Dividenden auszuschütten. Verkauft es Aktien, um die Steuer zu bezahlen, wird eine neue Aktiengewinnsteuer von 37,84 Prozent fällig.

Sollte der Innovator versuchen auszuwandern, erhält er sofort eine (Exit-)Auswanderungbesteuerrechnung in Höhe von 37,84 Millionen NOK (3,25 Millionen Euro). Sie kann über zwölf Jahre gezahlt werden, verfällt aber auch bei einer Insolvenz des Unternehmens nicht (was schließlich bei der überwiegenden Mehrheit der Start-ups üblich ist).

Die Steuerberatung für solche Leute läuft darauf hinaus: Umziehen, bevor sie externe Investoren hinzuziehen. So weiß kein Außenstehender, was das Unternehmen wert ist, und man kann wahrscheinlich einfach umziehen, ohne dass es gesehen wird.

Niemand kennt die Zahl der vielversprechenden jungen Unternehmer, die umgezogen sind, aber einige mit Kenntnissen der relevanten Geschäftsumgebungen sagen, dass die Zahl beunruhigend sei.

Die norwegische Vermögens- und Auswanderungsbesteuerung ist international so einzigartig, dass es zudem als nahezu unmöglich gilt, ausländische Partner aus den Bereichen Technologie und Biowissenschaften zum Umzug nach Norwegen zu bewegen.

Globale Vermögenssteuer: Vision oder Illusion?

Der französische Ökonom Gabriel Zuchman hat gemeinsam mit dem brasilianischen Finanzminister für eine globale Vermögenssteuer von zwei Prozent plädiert. Der Vorschlag wurde beim letzten G20-Treffen von mehreren Ländervertretern mündlich unterstützt.

Man kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass eine solche Steuer niemals eingeführt wird. Sogar die Finanzministerin unter dem vormaligen US-Präsidenten Biden, Janet Yellen, lehnte den Vorschlag rundweg ab. Präsident Donald Trump wird das niemals unterstützen.

Für seinen engen Anhänger Elon Musk würden zwei Prozent Vermögenssteuer eine jährliche Steuerrechnung von etwa acht Milliarden US-Dollar oder 21 Millionen US-Dollar am Tag bedeuten. Eine globale Vermögenssteuer, ohne die amerikanischen Giga-Milliardäre einzuschließen, macht keinen Sinn.

Kein Land hat konkrete Schritte zur Einführung einer solchen Steuer unternommen. Es ist paradox, dass Brasilien, das sich stark für eine globale Vermögenssteuer eingesetzt hat, selbst keine nationale Vermögenssteuer eingeführt hat.

Sollte Europa Schritte in Richtung einer globalen oder europäischen Vermögenssteuer unternehmen, würde dies dem Draghi-Bericht über geringfügige Regelungen zur Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zuwiderlaufen.

Eine globale Vermögenssteuer ist somit lediglich eine Floskel, aber keine praktische Politik.

Mauer der Schande

Orthodoxe norwegische Sozialisten verharmlosen die Steuerflucht weitehin und vertreten dabei die traditionelle Auffassung, dass es die Arbeiter und nicht die Kapitalisten seien, die Werte schaffen. Als Kjell Inge Røkke, der größte norwegische Industrielle der Nachkriegszeit, in die Schweiz übersiedelte, hätte ihn die Vorsitzende des norwegischen Gewerkschaftsbundes, Peggy Hessen Følsvik, beinahe als Dieb bezeichnet.

Kirsti Bergstø, Vorsitzende der norwegischen Sozialistischen Linkspartei, rief den weggehenden Geschäftsinhabern "verpisst euch" zu und errichtete in ihrem Büro im Storting eine "Mauer der Schande" mit Bildern von ihnen.

Ein nicht unerheblicher Anteil der norwegischen Bevölkerung scheint dagegen die Steuerflucht ganz anders zu betrachten und sie als großen Verlust für das Land anzusehen. Die Steuerflucht könnte zu der zunehmend negativen Haltung gegenüber der amtierenden rot-grünen Regierung beigetragen haben.

Der ehemalige Nato-Chef und frühere norwegische Premierminister Jens Stoltenberg kehrte am 4. Februar 2025 zur Überraschung vieler als norwegischer Finanzminister zurück. Bei den Wahlen am 8. September 2025 wird dies höchstwahrscheinlich zu Gunsten der Rot-Grünen ausfallen.

Stoltenberg hat bereits erklärt, dass er für die Vermögenssteuer ist. Somit dürfte Stoltenberg bereits dazu beigetragen haben, die norwegische Steuerflucht zu verstärken, zumindest nicht zu schwächen.