Verpasste Chance?

Otto Schily lehnt Kaufangebot von Rock-Nord vorerst ab

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Das Angebot klingt verlockend: Für zwei Millionen Mark könnte Bundesinnenminister Otto Schily einen 51-prozentigen Anteil an Rock-Nord, dem größten Vertrieb rechtsradikaler Musik, kaufen. Und was macht das Ministerium? Es kneift - und lässt von einem Sprecher erklären, dass der Vorschlag ein "absurdes Ansinnen" sei. Obwohl gleichzeitig aus Kreisen des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes ständig betont wird, was für ein gefährliches Propagandamittel die rechtsradikale Musik sei, besonders wenn es um die Rekrutierung von Jugendlichen geht.

Das ungewöhnliche Angebot an den Minister kam von Christoph Schlingensief, der zusammen mit prominenten Theatermachern und den Neonazi-Aussteigern seines Hamlet-Projekts (www.naziline.com) vergangene Woche den Verein "Rein" gegründet hat. Dieser soll sich um die Integration von ehemaligen Neonazis in die Gesellschaft kümmern, und die Hälfte des Erlöses aus dem erhofften Verkauf sollte "Rein" gestiftet werden. Die andere Hälfte hätte dann Rock-Nord-Betreiber Torsten Lemmer erhalten, der an Schlingensiefs Theaterprojekt beteiligt war und der zu den prominentesten Rechtsradikalen Düsseldorfs zählt oder genauer zählte. Glaubt man zumindest Lemmers Beteuerungen und Aufrufe an seine ehemaligen Mitstreiter aus der Nazi-Szene auszusteigen - wie sie unter anderem auf seiner Netzseite nachzulesen sind.

Ungewöhnliche Unterstützung erhielt "Rein" jetzt vom rechtsextremen Infodienst www.nit.de. Einerseits, heißt es dort in einem längeren Kommentar, warne Schilys Geheimdienst ständig vor dem Rechtsrock als "Einstiegsdroge" und dessen gewaltaufputschende Wirkung, andererseits weigere man sich, durch Aufkauf der Lemmer-Produktionen den Markt auszudünnen. Und weiter schreibt nit.de:

"Für einen Aussteiger sollen (vom Ministerium) bis zu 100.000 DM aufgewandt werden, für mehr als 100 Produktionen will man aber keine 2 Millionen Mark aufbringen. Dabei haben diese Produktionen das Potential für viele hundert neuer Einsteiger. Da Schilys Geheimdienst jedoch lieber durch eingeschleuste Agenten im Rechtsextremismus mitmischt, braucht man ständig neues Rekrutierungsmaterial und hat schon aus Gründen der Sicherheit des Arbeitsplatzes wenig Interesse an einem Versiegen von Rassismus und Gewalt. Darum geht es vor allem "Rein", wo man bewußt auf Dialog anstatt auf Verrat setzt. Niemand soll mit Geheimdiensten paktieren oder Spielobjekt von Sozialpädagogen werden, sondern angeregt werden, durch eigenes Nachdenken für sich persönlich Rassismus und Gewalt zu überwinden. Rechts sein kann man durchaus auch ohne diese Attribute, auch wenn es Medien und linke Zeitgeistler nicht wahr haben wollen."

Hehre Worte, deren Ehrlichkeit man gewiss bezweifeln kann. Dennoch ist die von nit.de kritisierte widersprüchliche Reaktion des Bundesinnenministeriums auf das Verkaufsangebot tatsächlich mehr als seltsam. Oder will man allen Ernstes die große Chance nicht nutzen, als Mehrheitsteilhaber Rock-Nord entweder trocken zu legen oder in Richtung Toleranz umzustrukturieren?