Verwirrende Zeiten: Wenn Deutschnationale auf Rache für Stalingrad pfeifen

Deutsche Soldaten in Stalingrad, 1942. Foto: Berliner Illustrierte Zeitung / Wikimedia Commons

Müssen anständige Menschen schon deshalb einen großen Krieg mit Russland riskieren wollen, weil die AfD aus egoistischen Gründen dagegen ist? Ein provokanter "Friedensplan" und gefährliche Umkehrschlüsse.

Ist es jetzt eigentlich das Schlimmste an der AfD, dass sie aktuell keinen großen Krieg mit Russland riskieren will? – Große Teile der Berichterstattung über ihren "Friedensplan" für die Ukraine und Reaktionen darauf erwecken schon fast diesen Eindruck.

Der Vorschlag ihrer Bundestagsfraktion, dass die umkämpften Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson erst einmal unter UN-Verwaltung gestellt werden könnten, die russischen Truppen sich schrittweise zurückziehen und westliche Sanktionen schrittweise aufgehoben werden sollen, wurde jedenfalls im Parlament und in diversen Medienberichten über die Debatte als besonders skandalös empfunden.

Als wäre es tatsächlich besser, wenn die ultrarechte AfD auch noch maximale Konfrontation mit Russland und Rache für Stalingrad wollen würde. Einigen scheint genau das zu fehlen. Und da es in Zeiten wie diesen keinerlei Zwischentöne geben darf, gilt die deutschnationalste aller Parteien im Bundestag nun endgültig als fünfte Kolonne Moskaus.

"Propagandazwerge" nannte sie der Grünen-Politiker Jürgen Trittin. Der AfD-Fraktion dürfte klar gewesen sein, dass ihr Antrag für eine "Friedensinitiative" keinerlei Aussicht auf Erfolg hat – abgesehen von der Aufmerksamkeit, die sie dafür bekommt.

Die CDU-Abgeordnete Serap Güler vermutet, dass dieser Plan der AfD bei ihrem letzten Kreml-Besuch zugeschoben worden sei. Von "Ausverkauf ukrainischer Interessen" ist in einem Bericht auf n-tv die Rede.

Dass die Interessen ukrainischer Wehrpflichtiger und sämtlicher Zivilpersonen im Kampfgebiet pauschal mit denen der Regierung in Kiew übereinstimmen, wird hier einfach mal vorausgesetzt – aber geschenkt, die AfD hat hier sicher auch keine Klassenanalyse vorgenommen.

Vielleicht ist die Aufregung nun gerade deshalb so groß, weil etliche Menschen, die vor 30 Jahren die Grünen gewählt haben, in diesem Plan gar keinen Skandalwert sehen könnten, wenn es nicht die AfD wäre, die hiermit das Thema "Frieden" vereinnahmt.

Wäre da nicht ihr Kerngeschäft – rassistische Ausfälle, das Leugnen und Verharmlosen der Klimakatastrophe sowie egomanischer Standort-Nationalismus und Kampfansagen gegen den "Genderwahn" – würden wohl etwas mehr klassische "Gutmenschen" über diesen Plan diskutieren wollen.

Vielleicht auch über einen anderen Plan, wenn sie schon danach gefragt werden, was denn die Alternativen zu immer mehr Waffenlieferungen seien. Denn diese Frage wird ihnen ja oft genug gestellt – allerdings gilt dann jede Antwort außer "Ich weiß nicht" als Anmaßung gegenüber der Ukraine, während "Ich weiß nicht" natürlich ein triumphierendes Grinsen auslöst.

Im Grunde können es "Lumpenpazifisten", wie Sascha Lobo sie nennt, sowieso nur falsch machen. Nun wird ihnen auch noch pauschal AfD-Nähe unterstellt – selbst wenn sie sich seit Jahren gegen Rassismus und für effektiven Klimaschutz einsetzen. Der AfD-Vorstoß ist jedenfalls ein gefundenes Fressen für Bellizisten, die Wert auf ein menschenfreundliches Image legen.

So tragen den Schaden letztendlich Friedensbewegte, die den Namen verdienen, weil sie sich im Gegensatz zur AfD für globale Gerechtigkeit, die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen und die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten einsetzen. Sie werden in einem zunehmend hysterischen Social-Media-Diskurs einfach mit der AfD in einen Topf geworfen.

Die von der AfD genannten Gründe, warum Deutschland keine Kriegspartei im Ukraine-Krieg werden soll, sind je nach Sichtweise pragmatisch oder egoistisch: "Wir dürfen keine Kriegspartei werden, alleine schon, weil wir nicht verteidigungsfähig sind", begründete der AfD-Politiker Thomas Seitz schon während der Debatte um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine diese Position.

Es geht also ganz wesentlich um das für Deutschland ungünstige Kräfteverhältnis – nicht darum, dass die AfD grundsätzlich ein moralisches Problem mit militärischer Gewalt hätte, wenn sie aus ihrer Sicht deutschen Interessen dient.

"Germany first" oder "Ukraine first" ist die falsche Frage

Aber was ist mit der banalen Erkenntnis gewonnen, dass die AfD ihren "Friedensplan" nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit vorlegt? – Bedeutet das im Umkehrschluss, dass jeder anständige Mensch nur dafür sein kann, dass Deutschland Kriegspartei wird und die Konfrontation mit Russland sucht?

Der "woke" Teil der Befürworter weiterer Waffenlieferungen argumentiert, es gehe schließlich um Solidarität mit der Ukraine und Empathie für die Opfer des russischen Angriffskrieges.

Aber "Germany first" oder "Ukraine first" ist die falsche Frage. Keine dieser beiden Positionen ist wirklich internationalistisch und menschenfreundlich. Abgesehen davon wird mit diesen scheinbar einzig logischen Alternativen suggeriert, der Ukraine sei automatisch geholfen, wenn Deutschland voll auf deren militärischen Sieg setzt.

Wenn an einem Krieg zumindest indirekt zwei Atommächte beteiligt sind – in diesem Fall Russland und westliche Unterstützer der Ukraine, die sich bisher nicht als Kriegspartei bezeichnen – stellt sich die Frage, ob dieser Krieg überhaupt mit konventionellen Waffen militärisch gewonnen werden kann.

Tatsächlich dürfte er früher oder später durch Verhandlungen enden, wenn weder Russland noch die Nato riskieren wollen, dass Europa unbewohnbar wird. Da muss angesichts der vielen Toten auf beiden Seiten zumindest die Frage erlaubt sein: Warum nicht früher?

Schließlich geht es nicht darum, der Ukraine ungefragt etwas vorzuschreiben, sondern darum, einen ganz bestimmten Kurs der Ukraine aktiv mitzutragen oder sogar zu befeuern – und dadurch auch selbst als Kriegspartei wahrgenommen zu werden – oder eben nicht.

Es ist zwar grundsätzlich anmaßend, wenn Deutsche in einer Region, die einmal von deutschen Truppen verwüstet und mit Blut getränkt wurde, heute Schiedsrichter spielen und sich als Friedensstifter profilieren wollen – vor allem, wenn dies auch noch eine Partei wie die AfD tut, die selbst NS-Nostalgiker in ihren Reihen hat. Aber sie kommt ja damit ohnehin nicht zum Zug.

Ist eskalierende Einmischung weniger anmaßend?

Nach Aussage des israelischen Ex-Premiers Naftali Bennett gab es auch eine andere, eskalierende Form der Einmischung, die nicht nur als anmaßend bezeichnet werden kann, sondern möglicherweise auch sehr viele Menschenleben gekostet hat.

Demnach waren es "im Grunde" die westlichen Verbündeten der Ukraine – wie die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich –, die Friedensverhandlungen zu einem frühen Zeitpunkt blockierten – im März 2022, als sowohl Russlands Präsident Wladimir Putin als auch die ukrainische Regierung in Kiew dazu bereit gewesen seien.

Dergleichen vor Bennetts Aussage als Vermutung zu äußern, wäre nicht nur als Verschwörungstheorie abgetan worden, sondern vermutlich auch über drei Ecken als strukturell antisemitisch. Dass der Israeli hier als Vermittler auftrat, sprengt alle gängigen Narrative.

Deutschnationale und Transatlantiker – das Ende einer Freundschaft

Was sich nach Ende des Kalten Krieges verändert hat und die "Bescheidenheit" der AfD im Vergleich zu geschichtsrevisionistischen Alt- und Neonazis früherer Jahrzehnte erklärt, ist der Wegfall der Sowjetunion als Hauptfeind, gegen den sich deutschnationale und transatlantische Rechte nach Kriegsende sehr schnell verbündet hatten.

Altnazis wie Hans Filbinger und Carl Carstens machten vor, während und nach der Wiederbewaffnung im Rahmen der Nato Karriere bei bürgerlichen Parteien wie der CDU. Transatlantische Parteifreunde, die keine Nazis gewesen waren, tolerierten das. Immerhin waren die Altnazis von Haus aus stramme Antikommunisten. Mit der Sowjetunion konnten sie alle nicht.

Mit dem Wegfall dieses gemeinsamen Feindes endete auch die Verbundenheit von Deutschnationalen und Transatlantikern – seit in Russland Kapitalismus herrscht, ist es für einen Teil der Rechten kein Feind mehr. Besonders nicht, wenn sie seit Jahren neidvoll auf den unverblümten Führungsanspruch der USA blicken und sich in der transatlantischen Partnerschaft benachteiligt fühlen. Auch das sind Gründe für die Positionierung der AfD.

Deshalb gibt es noch lange keinen Grund, jeden Appell für Frieden und Deeskalation in die rechte Ecke zu stellen. Wenn der UN-Generalsekretär sagt: "Ich befürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg hinein – ich befürchte, sie tut dies mit weit geöffneten Augen", dann ist das zur Bewertung der Lage ein bisschen wichtiger als einer von vielen Profilierungsversuchen der AfD.

Sich durch reflexhafte Behauptung des Gegenteils von ihr abzugrenzen, hieße in diesem Fall auch, die Gefahr einer Ausweitung des Krieges als rechte Schwurbelei zu negieren und sich für die zukünftige Stationierung von Atomwaffen in der Ukraine auszusprechen, weil die AfD laut ihres Antrags dagegen ist. Antifaschismus ginge dann quasi nur noch nuklear und wäre nicht mehr mit dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen vereinbar. Auch das wäre aber letztendlich eine Orientierung an AfD-Positionen.

Wer nicht von der AfD beeinflusst werden will, darf sich in keiner Weise an ihr orientieren und auf die Frage "Ukraine first" oder "Germany first" nicht einlassen. UN-Generalsekretär António Guterres hat oft genug Prioritäten eingefordert, die weitestmöglich von der AfD entfernt sind – zum Beispiel internationale Kooperation zur Begrenzung der Klimakatastrophe.

Letztere wird von der AfD ganz offiziell nicht ernst genommen, während die Nato-Bellizisten gerne so tun, als würde sie freundlicherweise pausieren, bis die Ukraine den Krieg gegen Russland gewonnen hat.