Viel Trouble um einen Peacemaker

Wegen Kritik am Krieg wurde ein Lehrer vom Schuldienst suspendiert und ermittelt die Staatsanwaltschaft

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Der Siegener Lehrer Bernhard Nolz ist nicht nur in der nordrhein-westfälischen Stadt ein bekannter Mann. Der schon im Outfit bekennende Alt-68er versteht sich als Friedenspädagoge und Konfliktmanager. Unter Schülern wird der 57-Jährige ironisch Peacemaker oder abwertend Friedensheini genannt. Mit seinem Streitschlichtungsprogramm war er lange Zeit ein Aushängeschild der Bertha-Suttner-Gesamtschule. Bei ihm waren die politischen Visionen der Namensgeberin bestens aufgehoben. Doch seit mehr als fünf Wochen sorgt ausgerechnet der Friedenspädagoge Nolz für heftigen Streit, der dem pazifistischen Pädagogen seinen Job kosten könnte.

Stein des Anstoßes war eine Rede, die Nolz am 17.09.01 auf einer "Schülerkundgebung gegen Gewalt, Trauer und Krieg" gehalten hatte. Die Initiative für diese Aktion ging von der Schülerselbstverwaltung aus. Die engagierten Jugendlichen wollten damit ihre Betroffenheit über die Anschläge in den USA zum Ausdruck bringen, gleichzeitig aber deutlich machen, dass ein Krieg keine Antwort darauf sein kann.

In seiner sehr persönlich gehaltenen Rede, in der auch mehrfach auf die Pazifistin Bertha von Suttner Bezug nahm, verurteilte Nolz Terrorismus, aber auch staatliche Gewalt und Krieg. "Wir wissen nichts über die Glaubens- oder Religionszugehörigkeit der Opfer des Terroranschlags in New York. Die Täter sollen Islamisten sein. Im Tod sind alle Menschen gleich, sagt man. Und in allen Religionen findet sich das Gebot: Du sollst nicht töten! Es gilt für alle Menschen. Auch für Terroristen und Politiker."

In der ganz klassisch mit "Give Peace a Chance" beendeten Rede rief Nolz die Schüler zu verstärktem politischen Engagement auf. Als Beispiele nannte er die Mitarbeit bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Betätigung in interkulturellen Friedensgruppen und die Verweigerung des Militärdienstes für junge Männer. Die Jugendlichen quittierten die Rede mit Applaus. Schließlich hatten sie ihn ja wegen solcher Worte als Redner ausgewählt.

Doch schon am nächsten Tag geriet der Lehrer in die Schusslinie der konservativen Siegener Zeitung, in der ihm Antiamerikanismus vorgeworfen wurde. Kurz darauf hatte die Bildzeitung das Thema entdeckt und feuerte Breitseiten gegen den angeblichen Terrorismusverteidiger. Siegens Bundestagsabgeordneter Paul Breuer (CDU) griff die Kampagne gemeinsam mit seinen Parteifreunden aus der Region auf. Jetzt wurde dem Pädagogen Missbrauch einer Trauerkundgebung zu politischen Zwecken vorgeworfen. Auch einige Schülervertreter, die von den Ereignissen überrollt wurden, distanzierten sich von der Rede.

Höhepunkt der Angelegenheit waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Siegen und des Staatsschutz Hagen. Nolz habe sich mit seiner Rede unter Umständen der Billigung von Straftaten schuldig gemacht; hieß es. Obwohl Juristen sicher sind, dass das Verfahren eingestellt wird, hat es für Nolz schon existentielle Folgen. Er wurde Ende September von der Arnsberger Bezirksregierung vorläufig vom Schuldienst suspendiert. Die ursprünglich bis zu den Herbstferien befristete Maßnahme wurde jetzt auf unbestimmte Zeit verlängert. Im Mittelpunkt stehen nun nicht mehr irgendwelche strafrechtlich relevanten Vorwürfe. Vielmehr sei das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Kollegen in den letzten Wochen durch die öffentliche Diskussion empfindlich gestört worden.

Doch nicht nur Nolz ist den Konservativen ein Dorn im Auge. Mit ihm sollen gleich Gruppen und Initiativen abgestraft werden, in denen er mitarbeitet. Dazu gehört das Siegener Zentrum für Friedenskultur (ZFK), dessen Leiter Nolz ist. Auf Druck der CDU sollen der bisher in der Region angesehenen Organisation die Fördergelder gestrichen werden, schon geplante gemeinsame Kooperationstermine mit städtischen Organisationen wurden storniert. Anders als in der Bertha von Suttner Gesamtschule, wo sich selbst die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft noch nicht zu einer Solidaritätserklärung für ihr Mitglied Nolz aufraffen konnte, die Schulleitung das Thema möglichst schnell vom Tisch haben will und ihren engagierten Mitarbeiter zu opfern bereit sind, regt sich beim ZFK Widerstand gegen die Suspendierung von Nolz. "Hier soll jemand abgestraft werden, der nicht im politischen Mainstream argumentiert", heißt es dort. Man will mit öffentlichen Veranstaltungen Solidarität mit Nolz organisieren.

Der aber kann sich jetzt an die bleierne Zeit des Deutschen Herbst erinnern fühlen, als er im Zuge der Fahndung gegen Mitglieder und Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF) ins Visier des Staatschutzes geriet, weil er eine Demonstration für den Erhalt eines Schwimmbades engagierte. Auch daran hatte Nolz in der inkriminierten Rede fast prophetisch erinnert.

"Es darf kein Klima des Hasses und des Misstrauens entstehen. Solche Zeiten hatten wir öfters in Deutschland. Ich habe so die siebziger Jahre erlebt. Da waren es die RAF-Terroristen, die mit ihren Gewalttaten die Herrschaftsverhältnisse in Deutschland ändern wollten. Wie heute schlug der Staat auch damals mit Gesetzesverschärfungen und harten Strafen zurück - und traf auch viele Unschuldige. Ich gehörte zum Kreis der Verdächtigten, weil ich mit meinen Schülerinnen und Schülern genau das gemacht hatte, was wir hier gerade machen: Wir hatten auf dem Marktplatz demonstriert. Ich wurde angezeigt und als Verfassungsfeind bezeichnet. Erst Wochen später fanden Kriminalpolizei und Verfassungsschutz - eine Art Geheimdienst - heraus, was in unserer Stadt jeder schon wusste: Wir hatten für den Bau eines Schwimmbades demonstriert, damit die Schüler in der Schule schwimmen lernen können. Die Zeit der Verdächtigungen und Beschuldigungen, ein Terrorist zu sein, war furchtbar für mich. Ich möchte so etwas nicht wieder erleben."