Viele Freunde, viel Einfluss?

Wie sich Netzwerke jeder Art am effektivsten beeinflussen lassen: Den größten Einfluss hat nicht, wer die meisten Verbindungen aufbaut

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Netzwerke sind überall. Menschen bilden soziale Netzwerke, manchmal werden sie Facebook genannt, ein andermal Familie und dann wieder ehrenwerte Familie. Die Wirtschaft bildet Netzwerke, die globale Ökonomie ist ein riesiges, erdumspannendes Netzwerk. Der Mensch baut Netzwerke: Das Verkehrsnetz, das die Entfernungen verkürzt hat, das Telefonnetz und schließlich das Internet, das eine Voraussetzung für die Globalisierung war. Die Natur bildet Netzwerke, Netze sich regulierender Gene, Geflechte von Nahrungsketten, auch die Wechselwirkungen der Klimafaktoren lassen sich in Netzwerkform aufschreiben.

All diese Netze haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick annimmt. Beschrieben werden sie von eigenen Theorien. Gebildet werden sie, allgemein gesehen, von Knoten, die durch Kanten miteinander verbunden sind. In den Knoten finden Entscheidungen statt, die über die Kanten weitergeleitet werden. Dabei sind die meisten realen Netzwerke dynamischer Natur: Die von einzelnen Knoten getroffenen Entscheidungen beeinflussen auch die Struktur des Netzes. Welcher Art die Informationsübermittlung ist, ob nun elektrisch, chemisch, materiell oder immateriell, das spielt für die Theorie keine Rolle. Interessant ist jedoch die Frage, über welche Knoten sich die Struktur eines Netzwerks am leichtesten beeinflussen lässt.

Gesucht sind also die Multiplikatoren, die ihren Zustand, ihre Entscheidung, besonders effizient weitergeben. Das dürften auf den ersten Blick die Knoten sein, die am stärksten mit ihrer Umgebung wechselwirken, an denen also die meisten Kanten enden. Wer hat die meisten Facebook-Freunde? Wenn ich nur diese Person von meinem Projekt überzeuge... Welches Klimaphänomen taucht in den meisten Prognoseformeln auf? Wenn ich nur an dieser Stellschraube drehe, kann ich das Klima am billigsten in die gewünschte Richtung beeinflussen. Leider verhält es sich aber nicht so einfach, wie ein Team um den Netzwerk-Theoretiker Albert-László Barabási in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature zeigt.

Die Steuerbarkeit

Die Forscher gehen dabei, wie es ihr Kollege Magnus Egerstedt in einem begleitenden Beitrag formuliert, vom Begriff der Steuerbarkeit aus. Er kennzeichnet, welche Menge an Zuständen ein Netzwerk von einem Anfangszustand aus überhaupt erreichen kann. Als praktisches Beispiel zeichnet Egerstedt Bilder von Autos mit und ohne Lenkrad: Die lenkradlosen Autos können viele der Zustände von lenkbaren Fahrzeugen nicht einnehmen.

Die Steuerbarkeit hängt dabei, das zeigen Barabási und Kollegen, von der Struktur des Netzwerks ab. Den Wissenschaftlern gelingt es aber auch, nach den so genannten Treiber-Knoten zu fahnden: Den Knoten, die Änderungen am einfachsten durchsetzen. Diese liegen, und das ist überraschend, nicht unbedingt in der Nähe der Hubs, also der bestverlinkten Knoten.

Die Forscher wenden ihre Analyse auf mehrere soziale Netzwerke an, etwa das Genregulierungsnetz, das die zellulären Prozesse steuert, große Datennetze wie das WWW, neuronale Netze, das Stromnetz von Texas, elektronische Schaltkreise, Vertrauensnetze wie Slashdot und soziale Netze. Am einfachsten, und das ist nachvollziehbar, sind dabei ingenieurtechnisch entworfene Netze wie Strom- oder Verkehrsnetz zu steuern.

Danach schon kommen die sozialen Netzwerke: Wer hier die komplette Kontrolle übernehmen will, muss die Treiber-Knoten beherrschen, das ist etwa ein Fünftel aller Knoten. Ein Netzwerk wie Facebook ist also relativ robust gegen eine komplette Übernahme. Andererseits zeigt sich das Vertrauensnetz von Slashdot als besonders anfällig: Nur 4,5 Prozent aller Knoten müsste man steuern können, um das komplette Netz im Griff zu haben. Besonders widerspenstig zeigen sich biologische Netzwerke, obwohl man eigentlich das Gegenteil annehmen müsste, sollten sie doch geradezu darauf geeicht sein, schon kleinste Einflüsse aufnehmen zu können. Tatsächlich müssen vier von fünf ihrer Knoten zu den Treiber-Knoten gehören.