Viele "Minds" und keine "Hearts"

Immer mehr ausländische TV-Sender ringen um die öffentliche arabische Meinung. Interview mit "Angry Arab"

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Von wegen internationale Finanzkrise: Von Washington über Berlin bis Peking investieren Regierungen weltweit in die Errichtung eigener arabischsprachiger TV-Stationen im Nahen Osten. Dabei halten sich die Kosten und die Einschaltquoten nicht eben die Waage. Telepolis sprach mit dem libanesisch-amerikanischen Medienexperten As’ad AbuKhalil, der internationalen Blogosphäre bekannt als Angry Arab.

Herr AbuKhalil, es scheint eine regelrechte Welle losgebrochen zu sein. Immer mehr ausländische Sender sind in der Region mit arabischsprachigen Stationen vertreten. Wann setzte dies ein?

As’ad AbuKhalil: Es begann im Wesentlichen mit den US-geführten Kriegen gegen Afghanistan und den Irak. Damals, in 2004, lancierte die Bush-Administration einen amerikanischen TV-Sender in arabischer Sprache: Al-Hurra, „Die Freie“. Sie eröffneten auch eine Radiostation, erkannten jedoch bald, dass das Fernsehen reichweitenstärker als Radio ist.

Al-Hurra hat den US-amerikanischen Steuerzahler bislang über 500 Milliarden Dollar gekostet. Das klingt, als bestünde eine enorme Nachfrage beim arabischen Publikum – tatsächlich aber zeichnen die Statistiken ein anderes Bild. So ergab bereits 2007 eine Umfrage des US-Institutes Gallup, dass 30 Prozent aller Saudis den arabischen Sender Al-Jazeera einschalten, aber nur zwei Prozent Al-Hurra. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Zogby International und die Universität von Maryland: 55 Prozent aller 2009 befragten Ägypter entschieden sich für Al-Jazeera. Al-Hurra rutschte unter die 0,5%-Marge. Weshalb also wird dieser Sender aufrecht erhalten?

As’ad AbuKhalil: Weil die zionistische Lobby in den USA nach wie vor glaubt, dass einige Stunden arabischsprachiger Sendezeit die öffentliche arabische Meinung zu ihren Gunsten verändern könnten.

Milliarden Steuergelder, null Einschaltquoten

Kurz zuvor war bereits das iranische Programm Al-Alam an den Start gegangen, 2007 kamen die Russen, 2009 die Chinesen, und auch die Europäer sind längst vertreten – und wollen noch mehr: Von BBC Arabic über die Deutsche Welle bis France24 streben alle die Ausweitung ihres bestehenden arabischsprachigen Programms an. Mit welchen Zielen?

As’ad AbuKhalil: Es sind unterschiedliche Ziele. Die USA suchen eine Bestätigung für ihre Kriege und ihre Politik. Auch die anderen tun das. Zugleich wollen sie – ob sie nun mit den USA konform gehen oder nicht – das Terrain nicht völlig den Amerikanern überlassen. Kurz: es herrscht ein regelrechter Wettbewerb um ‚winning hearts and minds‘. Zudem gibt es verschiedene Arten der Kontrolle. Die kriegerischen und eben die kulturellen. Frankreich und auch Deutschland akzentuieren die Verbreitung ihrer Kultur – vor allem angesichts der von den USA geprägten Globalisierung.

Deutschland setzt auf seine Kultur

Spielt al-Jazeera, das eine englischsprachige Version lancierte, nicht dasselbe Spiel im westlichen Teil des Globus?

As’ad AbuKhalil: Durchaus. Die Regierung in Qatar, die Al-Jazeera finanziert, wollte sich mit einer englischsprachigen Sektion dem westlichen Zuschauer annähern und dessen Meinung über den Sender, der vor allem in den USA mit Al-Qaida in Verbindung gebracht wird, revidieren. Manche vertraten tatsächlich die Ansicht, er gehöre Ussama Bin Laden.

Der Zugang zur Zielgruppe – alle, am Mittleren Osten Interessierte, vor allem Studenten, Akademiker und Journalisten – wurde zudem dadurch erleichtert, dass das politische Niveau von CNN immer mehr verflachte. Er erinnert mich heute an das Niveau von CNN zu Beginn der achtziger Jahre. CNN war damals noch ein seriöser Sender, der der Auslandsberichterstattung viel Platz einräumte. Heute ist er lächerlich. Seine emotionale, mit den US-Soldaten mitfiebernde Haltung während der US-Invasion in den Irak war überaus peinlich. Al-Jazeera English ist zwar auch nicht immer emotionslos, holt aber stets Gegenstimmen ein – sei es von al-Qaida, Taliban, Saddam Hussein, der Baath-Partei im Irak usw. Ebenso bringt das noch professionellere, erfahrenere Al-Jazeera Arabic israelische Stimmen zu Gehör.

Einstieg Rupert Murdochs

Zurück zu den ausländischen Sendern vor Ort: locken sie einheimische Journalisten auch mit höheren Gehältern?

As’ad AbuKhalil: Sie versuchen es. Diese Attraktion via Lohn war allerdings bei Al-Hurra weniger erfolgreich als bei Al-Arabiya, das Scheich Walid al-Ibrahim, dem Schwager des verstorbenen König Fahd gehört und der US-Politik nahe steht. Saudische Medien kompensieren ihre mangelnde Popularität gerne durch Gehälteraufstockungen. Eine syrische Nachrichtensprecherin, die 300 bis 400 US-Dollar monatlich verdient, sollte etwa mit 500 bis 600 US-Dollar angelockt werden und eine Nachrichtensprecherin von Al-Manar, das der libanesischen Hisbollah gehört, sollte statt 700 gleich mehrere 1000 US-Dollar verdienen.

Gerade am saudischen Sektor ist auch der westliche Privatsektor interessiert. So beteiligt sich Rupert Murdoch an Rotana, dem Medienunternehmen des saudischen Milliardärs Walid Bin-Talal: Zwanzig Prozent der Rotana-Aktien kaufte der US-Medienmogul im Dezember auf. Welche Konsequenzen könnte dies Ihres Erachtens haben?

As’ad AbuKhalil: Einige arabische Stationen werden infolge wie Varianten von Murdochs neokonservativem Nachrichtensender Fox News auftreten. Ich gehe davon aus, dass die öffentliche arabische Meinung dadurch derart gereizt werden wird, dass die Kluft zwischen ihr und der politischen Ausrichtung der saudischen Medien immer mehr aufbrechen wird.

Hausgemachte Entpolitisierung

Sind die ausländischen Bemühungen – finanziell wie ideologisch – demnach reine Eigentore?

As’ad AbuKhalil: Es wird zu wenig über die Strategie der einheimischen Sender gesprochen, darüber, wie sie die Zuschauer mit Seifenopern, Musik- und Sportsendungen regelrecht bombardieren, eben mit allem, außer Politik, um sie genau davon zu entfremden.

As’ad AbuKhalil lehrt Politikwissenschaften an der California State University, Stanislaus, und ist Gastdozent an der University of California, Berkeley