Vom Marketinginstrument zum Web-Magazin

Zur historischen Entwicklung der Internet-Zeitung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Deutschland gibt es kaum noch ein Presseerzeugnis, das nicht im WWW vertreten ist. Während viele Redaktionen im Jahr 1995 das Internet noch als Spielwiese betrachtet haben und Erfahrung mit dem neuen Medium sammeln wollten, ging es den Verlagen zwei Jahre später vor allem darum, möglichst frühzeitig in einem zukunftsträchtigen Markt zu agieren, Imagegewinne zu erzielen und neue Zielgruppen zu erreichen. Mittlerweile sind mit den Online-Produkten auch handfeste finanzielle Interessen verbunden.

USA Today 1997

In den USA gibt es schon seit längerem Online-Zeitungen, die - analog zum Finanzierungsmodell im Print-Bereich - ein Abrechnungssystem für ihre Leser- und Leserinnen eingeführt haben. Neben den Werbeeinnahmen gibt es als Einnahmequellen bisher nur die bezahlbaren Premiumdienste und das Service- bzw. Access-Providing. Vor allem die Recherche in ihren Datenbeständen lassen sich die digitalen Zeitungen und Magazine einiges kosten. Bezahlbare Dienste müssen sich aber nicht ausschließlich auf Archive beschränken. Möglich ist auch eine Ausweitung auf bestimmte Teile des redaktionellen Angebots. Beim Service- und Access-Providing bietet die Online-Zeitung dagegen selbst Internet-Zugänge oder -Dienstleistungen an. Vor allem regionale und lokale Tageszeitungen, die sich in vielen Regionen ein Quasi-Monopol als Informationsversorger aufgebaut haben (und darüber hinaus auch den Anzeigenmarkt organisieren), suchen ihre Chance im Dienstleistungsgeschäft. Diese Zeitungen können über den Aufbau eines virtuellen Marktplatzes und mit der Bereitstellung von Internet-Zugängen ein wichtiges Marktsegment besetzen.

Analog zu den sich ändernden strategischen Zielsetzungen der Verlage und Online-Redaktionen hat sich auch das Produkt selbst im Lauf der letzten Jahre gewandelt. Fast jede Online-Zeitung hat mittlerweile (zum Teil mehrere) Versionsüberarbeitungen erfahren, mit denen sie sich Schritt für Schritt vom Ausgangsprodukt entfernt hat. Dass sich die Online-Produkte generell von den gedruckten Zeitungen unterscheiden müssen, ist evident. Viele Online-Zeitungen und besonders -Magazine haben sich die spezifischen Möglichkeiten des neuen Mediums mittlerweile zu eigen gemacht.

Die Veröffentlichung des Online-Spiegel im Oktober 1994 im WWW markiert den Start einer wichtigen Phase in der deutschen Pressegeschichte. Im Frühjahr 1995 stellten die ersten Tageszeitungen ihre digitalen Produkte vor (Schweriner Volkszeitung, tageszeitung. Der Transfer der Zeitungen und Magazine ins Internet ist als ein ganz entscheidender qualitativer Umbruch zu werten. Die Presse löst sich - wie schon bei der Bildschirmzeitung - von ihrem angestammten Publikationsmedium. Die Fixierung im Druck ist jedoch weder für die Zeitung noch für die Zeitschrift ein bindendes Wesensmerkmal. Die Presse ist nicht zwangsläufig an das Publikationsmedium Papier gebunden. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Presse nicht nur den Bereich der gedruckten Informationen umfasst, sondern auch die elektronische Verbreitung von Texten. Für den BDZV weisen beide Medien dieselben Rezeptionsbedingungen als Charakteristikum auf: eine selektive, individuell bestimmte Informationsaufnahme durch den Leser. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Produkt zum Rezipienten kommt oder der Rezipient zum Produkt.

Der medienspezifische Wandel des Produkts

Zeitungen und Magazine haben im WWW nicht nur das Publikationsmedium gewechselt, sondern verändern sich selbst in noch nie dagewesener Geschwindigkeit. Die Möglichkeiten der Kommunikation sind so neu, dass die Online-Produkte in der Zeit von 1994 bis 2000 gleich mehrere Entwicklungsstadien durchlaufen haben: von der bloßen Zweitverwertung bereits vorhandenen Materials hin zu exklusiven Online-Angeboten, die sich die medienspezifischen Bedingungen des Internet zu eigen gemacht haben. Der kommunikative Handlungsspielraum des multimedialen WWW erweitert die Darstellungsoptionen der gedruckten Zeitung um ehedem medienfremde Kommunikationsmittel wie Musik, Ton, Video und Animation. Die Multimedialität der Repräsenationssysteme eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation und verwischt die traditionellen Grenzen etwa zwischen Hörfunk, Fernsehen und Presse. Auch die Art und Weise, wie der Rezipient Informationen abruft und mit dem Medium interagiert, ändert sich im WWW grundlegend. Hörfunk, Fernsehen und Film bieten nur wenig Möglichkeiten der Interaktion. Der Informationsfluss ist linear und kontinuierlich. Bei der Rezeption einer Nachrichtensendung im Fernsehen hat der Zuschauer keinen Einfluss auf die Reihenfolge der Beiträge. Wenn der Zuschauer nur an der Sportberichterstattung interessiert ist, kann er die anderen Beiträge nicht mit der Fernbedienung "wegklicken" oder den Ablauf der Sendung beschleunigen. Er muss warten. Herkömmliche Radio- und Fernsehsendungen sind also Medien, die eng an der vorgegebenen Konzeption rezipiert werden. Printmedien weisen gegenüber dem Rundfunk ein Mehr an Interaktivität auf. Sie bieten im Gegensatz zum Rundfunk die Option der Wiederholung und durchbrechen das lineare Zeitschema des Rundfunks. Die Rezeption ist individuell: Wenn der Leser einen Zeitungsartikel nicht auf Anhieb versteht, kann er ihn noch einmal lesen, er kann ihn sogar am nächsten Tag noch lesen. Und wenn er einen Beitrag uninteressant findet, kann er ihn ohne Zeitverlust überspringen. Diese selektiven Möglichkeiten der Rezeption und Interaktion werden im WWW noch viel stärker genutzt - etwa bei der Recherche in elektronischen Archiven.

Spiegel Online 1995, 1996

Auch in der Art und Weise, wie Daten strukturiert und miteinander verknüpft werden, unterscheiden sich die traditionellen Medien vom neuen Medium Internet. Das dem WWW zugrundeliegende Hypertextmodell durchbricht die lineare Datenstruktur der herkömmlichen Medien. Das Hypertextmodell beruht auf der Annahme, menschliches Wissen im Gehirn sei als ein komplexes Netzwerk von Daten gespeichert. Die Verarbeitung von Gedanken kann nach diesem Modell über Assoziationen gesteuert werden. Menschliche Kommunikationsformen wie Lesen oder Schreiben entsprechen demnach der Konstruktion und Reproduktion von Wissen. Die dokumentenbasierte Wissensvermittlung in ihrer herkömmlichen Form bedient sich dagegen linearer (z.B. gedruckte Zeitungen) oder hierarchischer Dokumente (z.B. Wörterbücher). Hypertext bzw. Hypermedia basiert auf einer nicht-linearen Informationsverkettung und soll den Arbeitsschritt der Linearisierung bzw. Delinearisierung überflüssig machen. Dabei wird das assoziative Moment der Wissensvermittlung betont. Im WWW können alle in den traditionellen Medien verwendeten Kommunikationsmittel eingesetzt und in teillineare und teilsimultane Fragmente zerlegt werden. Bei Videoclips etwa kann eine bestimmte Einstellung gezielt abgerufen werden, Ablaufrichtung und -geschwindigkeit sind frei wählbar, und die Rezeption kann zeitunabhängig und mehrfach erfolgen. Bilder können ihre visuellen Merkmale ändern (z.B. Form, Farbe, Helligkeit), oder längere Textstrecken können in kleinere Häppchen aufgeteilt werden, die der Leser je nach Bedarf abrufen kann. Der Wandel der Repräsentationssysteme, der Rezeptions- und Interaktionsmöglichkeiten und schließlich der Datenaufbereitung bzw. -strukturierung erweitert den kommunikativen Handlungsspielraum in den neuen Medien deutlich. Die damit zusammenhängenden Umbrüche haben einen weit größeren Einfluss auf die Entwicklung der Online-Zeitung als der bloße Wandel des Publikationsmediums.

Grenzüberschreitungen

Spiegel Online hat sich schon recht früh vom Marketinginstrument zum eigenständigen Web-Magazin entwickelt, bei dem die Beiträge der Print-Ausgabe hinter ein breit gefächertes Exklusivangebot zurückgetreten sind. Das Magazin hat eine eigene Online-Redaktion, und namhafte Autoren schreiben für die digitale Ausgabe. Ganz ähnlich sieht es bei anderen WWW-Magazinen aus, etwa Focus Online oder Stern Online. Auch hier gibt es viel Exklusives, und neben den redaktionellen Beiträgen hat sich ein umfangreicher Nutzwert- und Servicebereich als zweites Standbein der Online-Ableger entwickelt. Den hier genannten Magazinen ist auch gemeinsam, dass sie Trends gesetzt haben und Experimente eingegangen sind. Der digitale Stern ging beispielsweise mit seinem Cockpit neue Wege bei der Gestaltung der Benutzeroberfläche, und Focus Online hat es auf bemerkenswerte Weise geschafft, die Stärken des gedruckten Pendants im neuen Medium auszubauen, indem Ratgeberdatenbanken in die Site implementiert wurden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Online-Magazinen und -Zeitungen lag in den Anfangsjahren des Online Publishing zum einen in der Art der Berichterstattung (schwerpunktmäßige Hintergrundberichterstattung bei den Zeitschriften und universale, tagesaktuelle Berichterstattung bei den Zeitungen), zum anderen konnten die Online-Magazine mit ihren großen Internet-Redaktionen netz-exklusive Inhalte produzieren, ohne auf bereits vorhandenes Material zurückgreifen zu müssen.

Die Online-Zeitungen konnten da nicht mithalten, bestanden ihre Redaktionen doch in der Regel nicht mehr als aus ein, zwei Mitarbeitern. Trotzdem haben sich auch diese Produkte den Bedingungen des neuen Mediums angepasst. Während sich die großen elektronischen Magazine im Netz mittlerweile als eigenständige Produkte etabliert und stark von den Kernprodukten emanzipiert haben, verfolgen etwa die Online-Ausgaben der tageszeitung oder der Frankfurter Rundschau von vornherein ein ganz anderes Konzept. Verwertet wird grundsätzlich nur das, was bereits vorhanden ist - aber in der Art der Aufbereitung der Daten und des Informationszugriffs wird den Möglichkeiten des Mediums zusehends Rechnung getragen. Mittlerweile haben aber auch Online-Zeitungen wie etwa die Süddeutsche Zeitung exklusive Inhalte und einen breit gefächerten Serviceteil im Angebot. Seit dem letzten Relaunch vom Februar 2000 steht der online-spezifische Teil weit mehr im Vordergrund als die zweitverwerteten Beiträge aus der Print-Ausgabe. Dass überregionale Zeitungen und Nachrichtenmagazine im Internet enger zusammenrücken, liegt nicht zuletzt auch an der Ausweitung der tagesaktuellen Berichterstattung bei den großen Online-Magazinen. Die digitalen Ausgaben von Focus und Spiegel bieten nicht nur Hintergrundbeiträge und Serviceleistungen an, sondern mittlerweile auch hochaktuelle Nachrichten und Beiträge. Die Grenzen zwischen Online-Magazin und Online-Zeitung wurden beispielsweise bei Spiegel Online überschritten, als das tagesaktuelle Angebot im April 1999 auf die Ressorts Politik, Wirtschaft, Netzwelt, Panorama, Kultur, Wissenschaft und Sport ausgeweitet wurde.

Tagesspiegel 1997, taz 1997, SZ 1997, focus 1997

Entwicklungsphasen

Alle Online-Typen, ob Dienstleister, Zeitung oder Magazin, haben mittlerweile mehrere Stufen der Entwicklung durchschritten. Die Online-Ausgaben der ersten Generation sind nahezu reine Umsetzungen der Print-Ausgaben. In den nachfolgenden Generationen werden medienspezifische Darstellungsformen entwickelt und Präzedenzien geschaffen (Werbebanner, Dossiers, Archive, Benutzerforen etc.). Die Online-Ausgabe emanzipiert sich vom Print-Produkt. Schließlich erfolgt eine erste Phase der Etablierung. Diese Entwicklungsphasen verlaufen nicht bei allen Produkten gleich. Generell kann man beobachten, dass sich die Magazine viel schneller vom Medium Print lösen als die Zeitungen.

Phase 1: Der einfache Medientransfer

Bei den ersten Online-Produkten handelt es sich noch weitgehend um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der gedruckten Ausgabe: Design, Produktimage, Navigationsmöglichkeiten und Textgestaltung orientieren sich an dem, was das gedruckte Pendant ausmacht. Die frühen Versionen sind als reine Marketinginstrumente zu begreifen, bei denen es vor allem um die Zweitverwertung der Print-Beiträge geht. Nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf gestalterischer Ebene wird das bewährte Konzept des gedruckten Magazins oder der gedruckten Zeitung nahezu eins zu eins auf das Medium Internet übertragen. Lediglich die unterschiedlichen Spielarten des Informationszugriffs und der Navigationsmöglichkeiten, die das auf dem Hypertextprinzip beruhende WWW bietet, werden auf relativ einfache Art genutzt. Die Kommunikationsmittel der ersten Online-Produkte entsprechen weitgehend denen des Referenzproduktes.

Phase 2: Entwicklung medienspezifischer Darstellungsformen

In der zweiten Phase ist ein erster vorsichtiger Loslösungsprozess vom Mutterprodukt auszumachen. So werden etwa online-spezifische Inhalte publiziert oder neue Rezeptionsbedingungen und Interaktionsmöglichkeiten geschaffen. Das Layout wird insgesamt aufgewertet und professioneller. Einerseits ist die Modifikation bewährter Schemata auszumachen, andererseits werden erste Präzedenzien geschaffen — etwa die Einführung von Bannerwerbung oder bestimmten Navigationskonzepten. Die hier erprobten medienspezifischen Darstellungs- und Interaktionsformen werden in der nächsten Generation zu konventionellen Mustern der Informationsaufbereitung ausgeformt.

Phase 3: Trendsetting

In der dritten Phase ist bei einigen Produkten das Bemühen zu spüren, mit den elektronischen Zeitungen Trends zu setzen. Diese Online-Zeitungen und -Magazine orientieren sich nun an der obersten Grenze des technisch Machbaren und übernehmen dabei viele Neuerungen, die das Medium hervorbringt, z.B. animierte Werbebanner, Newsticker, Warenkorbsysteme, Datenbankanbindung etc. Auch die Einführung der Frameset-Technik fällt in diese Phase. Mit der neuen Technik ändern sich die Navigationsmöglichkeiten vieler Online-Zeitungen grundlegend.

Phase 4: Emanzipation und Etablierung

Bei vielen elektronischen Magazinen (nicht bei den Zeitungen) überwiegt nun die exklusive Online-Berichterstattung. Mit der Ausweitung des redaktionellen Angebots gehen auch die verbesserten Möglichkeiten der Navigation und der Orientierung einher. Mehrere Alternativen des Informationszugriffs werden zur Verfügung gestellt. Dabei werden ganz unterschiedliche Anwendertypen berücksichtigt, etwa der erfahrene Online-Leser, der an hochspezifischen Informationen interessierte Benutzer oder der Erst- bzw. Gelegenheitsbesucher. Der vollzogene Emanzipationsprozess manifestiert sich nun nicht mehr durch den Anspruch, um jeden Preis Trends zu setzen und immer in der Spitzengruppe mitmischen zu wollen, sondern durch ein besseres Verständnis des Mediums selbst und dessen Möglichkeiten, die Stärken des eigenen Produkts herauszuarbeiten.

Phase 5: Stärkung der journalistischen Kompetenz

Die Grenzen zwischen Online-Zeitung und -Magazin verschwimmen. Einige Magazine überschreiten die Grenze zur Online-Zeitung, indem in allen klassischen Zeitungsressorts tagesaktuelle Beiträge angeboten werden. Gleichzeitig weiten ehedem klassische Zeitungen ihre Hintergrund- und Schwerpunktberichterstattung im Internet aus. Darüber hinaus ändert sich das Design: Viele deutsche Magazine und Zeitungen lehnen sich nun deutlicher an US-amerikanische Vorbilder an und verzichten auf Frames. Der nicht modulare Seitenaufbau hat den Vorteil, dass jeder Beitrag in das Corporate Design des Produkts eingebettet ist. Appetizer auf der Einstiegsseite verweisen auf die interessantesten Beiträge der aktuellen Ausgabe.

Die hier skizzierte Entwicklung ist idealtypisch zu verstehen und teilweise eng auf die deutsche Online-Zeitungslandschaft zugeschnitten. Wirft man dagegen einen Blick auf den US-amerikanischen Online-Zeitungsmarkt, so fällt auf, dass dort die beiden letzten Phasen (Emanzipation und Etablierung bzw. Stärkung der journalistischen Kompetenz) schon vor Jahren begonnen haben. In der Tat haben sich viele große US-Online-Zeitungen schon seit 1996 oder 1997 in Bezug auf Design, Informationsaufbereitung und Inhalte kaum verändert. Die überaus erfolgreiche und mit vielen bedeutenden Preisen versehene Online-Ausgabe von USA Today etwa hat ihr Gesicht seit 1996 nicht wesentlich verändert. Vergleicht man das Design und die Gliederung der Homepage etwa mit den Online-Versionen der Süddeutsche Zeitung oder der Welt, so fallen viele Gemeinsamkeiten auf: keine Frames, ein modularer Seitenaufbau mit Tabellenspalten, eine Link- bzw. Rubrikenspalte am linken Rand, und in der zentralen Mittelspalte werden aktuelle Beiträge angerissen. Fast nach demselben Prinzip sind auch die Online-Ausgaben der Chicago Tribune, der Washington Post, der New York Times oder das Mercury Center des Knight-Ridder-Medienkonzerns aufgebaut. Zusätzlich gibt es bei diesen Zeitungen noch eine weitere Spalte mit Inhalten aus oder Verweisen auf den Servicebereich. Diese Servicespalte ist auch bei den oben genannten deutschen Online-Zeitungen oder Online-Magazinen wie Focus Online, Stern Online oder Spiegel Online zu finden.

Washington Post 1997, Chicago Tribune 1997

Dass sich in Bezug auf Form und Inhalte bei den großen US-Online-Zeitungen schon seit längerem nichts wesentliches mehr getan hat, kann man durchaus positiv bewerten. Die Produkte haben sich sowohl den medienspezifischen Besonderheiten als auch den wirtschaftlichen Zwängen gleichermaßen gut angepasst. Dabei ist ein Modell entstanden, dass sich über Jahre hin als sehr erfolgreich erwiesen hat. Diesem mittlerweile konventionellen Modell standen in der Entwicklungsgeschichte aber auch einige Experimente gegenüber. Die Online-Ausgabe der Chicago Tribune etwa gestaltete 1997 ihre Homepage als interaktives Display. Dabei wurden in bestimmten Zeitabständen automatisch Appetizer in den Hauptframe geladen. Ein Klick auf einen der Teaser genügte, um den entsprechenden Beitrag aufzurufen. Die Benutzerschnittstelle der 97er Tribune war sicher etwas gewöhnungsbedürftig, und aus heutiger Sicht verwundert es nicht, dass sich dieses Modell nicht durchsetzen konnte. Zum einen war es zu verspielt, und zum anderen konnte der Anwender zu wenig Informationen auf einen Blick erfassen. Im Gegensatz zum Design und zur Benutzerführung setzt die Chicago Tribune Online aber schon seit 1996 Maßstäbe. Das Redaktionsteam hatte schon vor vier Jahren knapp 20 Mitarbeiter, und die Online-Reporter mussten nicht nur schreiben und recherchieren können, sondern auch mit der Videokamera und Multimedia-Tools umgehen können. Dabei bot die journalistische Arbeit für exklusiven Web-Content von vornherein die Chance, schon während der Recherche und der Produktion der Beiträge die spezifischen Besonderheiten des Mediums - etwa die Hypertextualität - zu berücksichtigen. Videoclips, Soundclips, Animationen und interaktive Präsentationen waren dementsprechend in die Berichterstattung eingebettet und nicht bloßes, Effekte erheischendes Beiwerk.

Auch die Online-Ausgabe der New York Times hat in der Vergangenheit viel mit der multimedialen Aufbereitung von Beiträgen experimentiert. Im Sommer 1997 wurde sie mit dem Digital Edge der Newspaper Association of America (NAA) ausgezeichnet.. Die Auszeichnung des amerikanischen Verlegerverbands geht vor allem auf einen Beitrag über AIDS zurück, bei dem die User mit Hilfe eines interaktiven Simulationsprogramms testen konnten, wie viele Menschen sich bei bestimmten sexuellen Praktiken über einen gewissen Zeitraum hinweg mit dem Immunschwächevirus anstecken konnten. Während die Homepage der digitalen Times stark am Design der Print-Ausgabe ausgerichtet war und geradezu altbacken wirkte, wurden die multimedialen Fähigkeiten des WWW im Bereich Web Specials bis an die Grenze des Machbaren ausgenutzt. Bis heute hat sich das Erscheinungsbild der New York Times Online kaum gewandelt. Noch immer wird die Gestaltung der Homepage von der Dreiteilung Rubriken-Teaser-Service bestimmt. Einzig die multimedialen Essays im Bereich Web Specials basieren jetzt auf der aktuellen Flash-Technologie statt einige Jahre zuvor noch auf zum Teil exotischen Plugins.

Vergleicht man abschließend einige deutsche Web-Angebote wie Welt, Süddeutsche, Stern oder Spiegel mit den großen US-Online-Zeitungen hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung, so fällt in erster Linie auf, dass sich die deutschen Produkte erst in den letzten ein, zwei Jahren in Bezug auf Design, Navigationskonzept und Inhaltsstruktur angeglichen haben. Zwar gibt es auch heute noch diverse abweichende Online-Konzepte (tageszeitung, Frankfurter Rundschau, doch der Trend zur Angleichung ist deutlich auszumachen. Mittlerweile haben auch viele regionale Zeitungen ihr bisheriges Konzept aufgegeben und sich den US-amerikanischen Vorbildern angepasst (etwa die Online-Ausgaben des Tagesspiegel, der Rheinischen Post oder des Internet-Pioniers Schweriner Volkszeitung. Im Gegensatz zur deutschen Entwicklung war der Angleichungsprozess in den USA schon 1997 im wesentlichen abgeschlossen. Zwar gab es auch dort Experimente wie etwa bei der Chicago Tribune, doch durchsetzen konnten sich die alternativen Konzepte nicht.