Von Filtern und Verbänden

Das AOL-Urteil kann deutschen Providern teuer zu stehen kommen.

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Deutsche Provider können schon mal zu sparen beginnen, denn bis zu 200.000 Mark (!) kostet die Installation einer von der IFPI favorisierten Zensorware. Dank eines Urteils gegen AOL werden möglicherweise 700.000 MP3-Site weltweit aus .de nicht mehr erreichbar sein.

Schon mehrmals haben die Pläne der deutschen IFPI zur erzwungenen Einführung einer umstrittenen Filtersoftware für Aufruhr gesorgt. Obwohl zahlreiche Interessensgruppen, die sich für freie Meinungsäußerung und Zensurverbote im Internet einsetzen, lautstark Zweifel an der Angemessenheit eines derartigen Vorgehens äußerten, ebnet ein aktuelles Urteil der Interessensvertretung der Musikwirtschaft den Weg.

1998 hatte die Hit Bit Software GmbH eine Klage gegen den Provider AOL angestrengt, da in dessen Foren copyrightgeschützte Songs öffentlich zugänglich waren. Beanstandet hatte man damals unter anderem den Backstreet-Boys-Song "Get Down". AOL wurde nun der Urheberrechtsverletzung schuldig gesprochen - unter Berufung auf den 5. Paragraphen des deutschen Telediensgesetzes:

"Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur dann verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern."

Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft begrüßte dieses Urteil. Allfälligem Missbrauch will Verbandschef Martin Schaefer immerhin vorbeugen: Geschädigte Unternehmen sollen Anträge zur Sperrung unliebsamer Sites einbringen, bei falscher Nennung drohen Schadenersatzzahlungen - in welcher Höhe und Form ist allerdings unklar. Naturgemäß hält Schäfer die gesalzenen Kosten, welche die Provider für die Installation der entsprechenden Hard- und Software zu berappen hätten, für "zumutbar". Konkret geht es um Zwangsinvestitionen in der Höhe von schätzungsweise 50.000 bis 200.000 DM.

AOL will auf jeden Fall Berufung einlegen, wie Unternehmenssprecher Alexander Adler gegenüber dem Computermagazin c't erklärte. Die Begründung des Urteils sei absurd, AOL betreibe weltweit tausende Foren und könne nicht alle ständig überwachen. Außerdem habe man sich konform zu §5 verhalten, da das beanstandete Material sofort nach Bekanntwerden entfernt worden sei. Denn es ist keineswegs klar, ob sich aus dem Gesetzestext eine Begründung für präventive Zensur ableiten lässt.

Beim kritisierten System handelt es sich um ein sogenanntes "RPS" (Rights Protection System) - ein Euphemismus für eine Blacklist von gesperrten Netzadressen. Viele Experten sind ob der Funktionalität einer solchen Firewall rund um Deutschland mehr als skeptisch. Denn gerade illegale Sites wechseln schneller ihre Adressen als Einbrecher auf der Flucht. Zudem ließen sich durch Verpacken in *.zip-Files und ähnliche "Tarnmechanismen" die verwendeten "Negativen URL-Listen", so der Fachausdruck, leicht austricksen. Außerdem sei Clients wie Napster und der in den Startlöchern scharrenden Konkurrenz (z.B. Gnutella) auf diese Weise sowieso nicht beizukommen. Das führt somit zur Frage, ob die Installation des Systems angesichts der Problematik wirklich angemessen ist: Immerhin lässt sich, ist das RPS erst einmal an Bord, jede beliebige, oder besser missliebige, Adresse sperren.

In dieses Bild fügt sich auch die Gründung einer gemeinsamen europäischen Plattform zur Vertretung der Musikindustrie. So seien bei der Verabschiedung der europäischen Urheberrechtsrichtlinien die Standpunkte der Musikindustrie nicht eingeflossen, beschwerte sich Simon Bazalgette, Geschäftsführer von "Music Joice", einem Joint Venture von EMI, Sony, Warner und BskyB. Music Joice wird die "European Music Service Providers Association" noch diese Woche launchen. In Zukunft sollen weitere Unternehmen zur Finanzierung beitragen, damit speziell auf europäischer Ebene erfolgreiches Lobbying betrieben werden kann.