Von den Eltern lernen

Ein Viertel aller Grundschüler im Alter von sieben bis neun fühlt sich "regelmäßig gestresst"

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Er sei viel beschäftigt, sagte mir neulich ein Achtjähriger, auf die Frage, wie es ihm ginge. Drei Mal in der Woche spiele er Tennis, zwei Mal Fußball, dazu zwei Mal Geigen- und ein Mal Klavierunterricht. Er lächelte mich an. "Nein, gestresst bin ich nicht. Nur manchmal müde."

"Fast zwei Drittel der befragten Kinder wollen sich häufiger einfach mal ausruhen". Dieser Satz findet sich in einer Studie, die von Grundschülern Fragen zur Gesundheit stellte. Dazu hatte das PROSOZ-Institut für Sozialforschung "fast 5.000 Kinder zwischen 7 und 9 Jahren befragt; nach Angaben der Auftraggeber die größte repräsentative Studie in dieser Altersklasse.

Manche Antworten sind sehr vernünftig. Etwa auf die Frage: "Was gehört für dich dazu, damit du dich gesund fühlst?" 62 Prozent der Kinder antworten mit "gesunde Ernährung", Obst, Gemüse usf. 34 Prozent nennen Sport und Bewegung; Spielen kommt erst sehr viel weiter hinter bei der Prozenttabelle, mit elf Prozent. Die Studie stellt obendrein fest, dass Kinder "im Großen und Ganzen" davon überzeugt sind, dass sie das selbst mit beeinflussen können, wie auch die Genesung, wenn sie einmal krank sind.

Wenn es um die Gesundheit geht, ähneln die die großen Dynamiken bzw. "Spiralen" denen von uns Älteren, so könnte man das Große und Ganze umschreiben. Je gesünder die Kinder leben, wenn sie also viel an der frischen Luft sind, sich mit Freunden zum Spielen treffen, regelmäßig Frühstück und Abendessen zu sich nehmen, dabei Obst und Gemüse essen, genügend Schlafen, dann sind sie weniger anfällig für zuckerhaltige Getränke, bevorzugen ungesüßtem Tee und Wasser, zeigen einen "positiven Zusammenhang zum Vorsorgebewusstsein" spielen idealerweise vor allem Computerspiele, bei denen sie sich bewegen müssen und teriben auch häufiger Sport im Verein. "Sie finden es auch wichtiger, etwas gegen Stress zu tun und kennen mehr Entspannungsmethoden."

Das Verhalten der Kinder, die viel am Computer spielen, ist in Bezug auf gesundes Essen schlechter

Weichen sie von dieser Spirale ab, dann werden auch andere Korrelationen beobachtet, die die Erwachsenen in der um einiges härteren Version kennen (wenig Schlaf, viel Kaffee, Zigaretten, schlechtes, schnelles Essen, viel Sitzen, viel Zeit vor Bildschirmen als Arbeits- wie als Entspannungsmethode, wenig Lust auf Spaziergänge oder gar Sport an der frischen Luft, Treffen mit Freunden via Mail oder soziale Netzwerke).

Bei den befragten Kindern wird beobachtet, dass, wenn die guten Ernährungstipps der Mütter und der Schule keine große Rolle spielen, die Werbung im TV oder im Internet mehr Einfluss hat, der Griff zur Limonade öfter erfolgt, die Mahlzeiten, vor allem das Frühstück, nicht ganz so regelmäßig vor der Schule eingenommen werden, andere Computerspiele außer denen, die Bewegung erfordern, etwas häufiger gespielt werden etc. - wohlgemerkt, das sind alles Korrelationen und die Ergebnisse werden von der Studie in aller Vorsicht formuliert und hier auch nur in Tendenzen wiedergegeben.

Das Verhalten der Kinder, die viel am Computer spielen, ist in Bezug auf gesundes Essen schlechter, denn je mehr am Computer sie spielen, desto weniger wichtig finden sie gesundes Essen (r=-.11). Daher essen sie auch häufiger Süßigkeiten (r=.20) oder trinken Limonaden (r=.31). Im Gegensatz dazu essen sie weniger gesundes Obst und Gemüse (r=-.12)

Offenbar wird ein Zusammenhang, der sich in diesem Satz zeigt: "Je mehr sie sich mit ihren Freunden und Freundinnen treffen, desto häufiger essen sie Obst und Gemüse". Gesundes Sozialleben fördert gesunde Einstellungen, wie frische Luft gesunde Bewegung fördert und so weiter.

Je häufiger Kinder sich mit ihren Freunden und Freundinnen treffen, desto häufiger spielen sie mit ihrer Spielkonsole Spiele, bei denen sie sich bewegen müssen (r=.13) und sie bewegen sich bzw. spielen häufiger draußen (r=.25). Dann spielen sie zum Beispiel fangen, fahren Fahrrad oder vieles mehr. Kinder, die sich häufiger mit ihren Freunden treffen, geben häufiger an, dass sie zurzeit in einem Verein Sport machen (r=.18).

Die Studie zeigt, wie der Arzt Dietrich Grönemeyer, Bruder des bekannten Sängers, hervorhebt, dass die Grundschulkinder "überwiegend großen Wert auf Gesundheit legen und bereits viel über Gesundheit, gesunde Ernährung und Bewegung wissen".

Warum ist dies später nicht mehr so?

Seine Sorge ist, warum dies später - offenbar am Problem vieler übergewichtiger Schüler - verloren geht. Er plädiert dafür, dass Familien mehr auf gemeinsame und gesunde Mahlzeiten achten und die Schule noch stärker Wissen zur Gesundheit und zur gesunden Ernährung vermittelt.

Doch zeigt die Studie auch Grenzen der Schulen, der Eltern und der Kinder auf. Diese sind im Kapitel "Stress"1 zu erfahren. Ein Viertel aller befragten Kinder fühlen sich "regelmäßig gestresst", ist dazu lesen.

Außer in Berlin, wo "Ärger und Streit" als Stressfaktor Nummer 1 angegeben wird, ist dies in den anderen zehn Bundesländern (leider fehlen fünf) überall die Schule, "besonders die Überforderung durch z.B. Hausaufgaben, Diktate, Lehrkräfte oder Noten." Und es ist gewiss kein Zufall, dass der Übergang von der zweiten zur dritten Klasse erwähnt wird: "Interessanterweise nennen Kinder der dritten Klasse doppelt so häufig den empfundenen Erfolgsdruck als Stress."

Ab der dritten Klasse wird im deutschen Regelschulsystem auf den Übertritt zum Gymnasium hingerabeitet, die Nachhilfeschulen reiben sich die Hände und Eltern wie Kinder haben den Erwartungsdruck als neuen Gast am Tisch und einen Haufen Reibereien. Viele können mit dem Druck, der dem bekannten Konkurrenzdruck aus dem Berufsleben zum Verwechseln ähnlich ist, nur auf ihre Art umgehen: indem sie sich gestresst fühlen. Was wiederum eine bekannte Spirale in Gang setzt: Stress erzeugt Stress.

Es zeigt sich, dass die verschiedenen Angaben zum Stressempfinden in engem Zusammenhang miteinander stehen: Kinder, die sich insgesamt gestresst fühlen, fühlen sich auch eher in der Familie, der Schule und im Freundeskreis gestresst. Ein hohes Ausmaß an erlebten Stress hängt mit einem schlechten Wohlbefinden zusammen.

Dies ist, was Lernziele angeht, offensichtlich kontraproduktiv: So gaben zum Beispiel die Kinder, die häufiger lesen, an, nicht von der Schule gestresst zu sein. Und ob die Kinder von der Schule gestresst werden, hängt entscheidend auch von den Eltern ab.