Von den Schwierigkeiten des virtuellen Musikschaffens

Micafocus 2 über Online-Musik macht deutlich, wie sehr sich die verschiedenen Interessensgruppen nicht verstehen.

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Dringender Handlungsbedarf besteht im Bereich der Online-Musik derzeit auf jeden Fall. Während die EU mit der Neuregelung des Urheberrechts befasst ist, Plattenfirmen fleißig Lobbying betreiben und Metallica tausende Napster-User aussperren will, zeigte eine Podiumsdiskussion in Wien letzte Woche sehr deutlich, dass eine einvernehmliche Lösung für alle an Online-Musik Beteiligten (vorerst) noch in den Sternen steht. Einerseits sind die verschiedenen Sichtweisen allzu divergent, andererseits wird immer deutlicher, wie groß die Schwierigkeiten wirklich sind, vor die sich die Musikindustrie momentan gestellt sieht.

Organisiert wurde besagte Podiumsdiskussion vom MICA, dem österreichischen Ableger eines weltweiten Netzes von Musikinformationszentren. "Musik im Informationszeitalter" ist zentraler Schwerpunkt der institutionellen Arbeit, eine Serie von Micafocus-Konferenzen und Diskussionen soll einerseits den Status Quo erheben und andererseits helfen, konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten. (zu Micafocus 1 siehe Kulturrevolution im Internet)

Das Unverständnis der alten Mächte

"Sie werden die digitale Welt mit analogen Mitteln nicht aufhalten können." Erich Möchels Vorwurf an Dr. Medwenitsch, Chef der österreichischen IFPI, zeigt jenes Dilemma auf, in dem die Plattenindustrie derzeit steckt: Versuche etwa, Musikabgaben auf neue Speicherkarten einzuheben, die sich aber für die Speicherung jeglicher Inhalte - also auch Fotos - eignen, seien symptomatisch für die Power der industriellen Lobby, so der Chef der ORF-Futurezone, die mit allen Mitteln ihre Interessen durchsetzen will, aber damit zwangsläufig scheitern muss.

Angesprochener sieht das ganze naturgemäß etwas anders: So sei die Plattenindustrie sehr wohl daran interessiert, die kulturelle Produktion zu fördern, allerdings ist dazu die Sicherung der Künstlereinkommen vorrangig. Das Prinzip des Copyright stelle die Grundlage jeglichen künstlerischen Schaffens dar. Dem widersprach Peter Tschmuck, Assistent an der WU-Wien, vehement. Der Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt sich mit den ökonomischen Grundlagen von Musik: Künstlerisches Schaffen sei zuerst einmal persönlicher kreativer Ausdruck, während Urheberrechtsschutz kein unveräußerliches Naturrecht, sondern ein bestimmtes, für gewisse Umstände taugliches Instrumentarium darstelle.

Abwesenheit der Politik kann auch gut sein

Wie sich die Kulturpolitik den Umgang mit Musik in neuen Medien feststellt, übermittelte Staatssekretär Morak lediglich per wenig aussagekräftigem schriftlichem Statement, da er seine Teilname aufgrund von Auslandsverpflichtungen absagen musste - möglicherweise ein Mitgrund dafür, warum Europaparlamentarierin Mercedes Echerer gegen Ende der Diskussion ein wenig enttäuscht das Fehlen konkreter Lösungsvorschläge kritisierte. "Die Politik kann lediglich auf Entwicklungen reagieren und Rahmenbedingungen schaffen," von einem dazu unverzichtbaren konstruktiven Dialog sei allerdings wenig zu bemerken. Morak hingegen ließ ausrichten, dass sich das Internet möglicherweise gerade aufgrund des Fehlens von Regulierung so rasant entwickle. Die derzeitigen Rahmenbedingungen müssten aber nun einer veränderten Situation angepasst werden, da sie in der jetzigen Form schlicht und einfach untauglich sind. Zweifellos richtig - bloß wie?

Aufbruchsstimmung in der Szene

Wer die Szene verfolgt, der weiß, dass gerade bei jungen Musikern die Aufbruchsstimmung groß ist - eine nicht gerade einfache Situation für klassische Rechteverwertungsgesellschaften, deren Aufgabe an sich die Förderung und nicht die Behinderung von Musikern ist. Speziell dieser Bereich ist der Beweis, dass sich einstmals taugliche Werkzeuge leicht in Stolperfallen verwandeln können. "Die Personalunion von Musiker, Produzent und Distribtur wird nun erstmals dank dem Internet Realität," so Mag. Christian Jungwirth, Vertreter der Komponistenkurie der AKM. Handlungsbedarf ortet Jungwirth daher vor allem im legistischen Bereich. Wie und in welcher Form die Freiheitsgrade der Musiker vergrößert werden sollen, darauf fehlen allerdings bislang verbindliche Antworten - zumal Künstler nicht die einzigen sind, die sich zukünftig noch stärker eingeengt fühlen könnten als bisher. Stichwort Konsumentenschutz: wenn bereits bestehende Rechte, wie etwas das Anfertigen von Kopien für private Zwecke, weiterhin schleichend eingeschränkt werden, so freut das ohne Zweifel die Verkäufer. Der Kunde wird sich aber irgendwann ganz schön verschaukelt vorkommen, wenn ihm die Major-Labels am liebsten vorschreiben möchten, wann, wie oft, wo und in welchem Format er seine Musik hören darf.

Diskussionsleiter Prof. Hannes M. Schalle, Managing Director der FH Salzburg, wies wiederholt auf konkrete Problembereiche hin - aber auch er konnte den Diskutanten nicht viel mehr entlocken als den mehrfach geäußerten Wunsch nach einer Multimedia-Clearingstelle nach deutschem Vorbild, zumal sich die oben genannten Schwierigkeiten der Rechteabgeltung bei Multimedia-Produktionen noch potenzieren. Nach einer langen und hitzig geführten Diskussion verließen die Teilnehmer das Museumsquartier mit gemischten Gefühlen - denn letztendlich kristallisieren sich die Probleme immer deutlicher heraus, aber weder Politik noch Industrie noch die Musiker selbst können sich scheinbar bisher auf einen für alle befriedigenden Weg einigen.