Von den Ursprüngen der Kooperation und des Betrugs

Kapuzineraffen. Bild: Edymar Hurtado/CC BY-SA-3.0

Kapuzineräffchen, Bakterien und was Gesellschaften zusammenhält

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So geht es in der Wissenschaft. Kaum wurde eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigen sollte, wie auch bei Affen Kooperativität sich durchsetzen kann, gibt es schon eine neue, die demonstriert, dass die berühmten Trittbrettfahrer schon bei den Mikroorganismen keine schlechten Chancen haben. Noch dazu sind die Bakterienbetrüger, die auf Kosten der kooperierenden Artgenossen sich Überlebensvorteile verschaffen, nicht gerade Musterorganismen einer populistischen darwinistischen Theorie, die allgemein davon ausgeht, dass die Fittesten sich durchsetzen werden.

Wer oder was "fit" ist, hängt also ebenso sehr vom Kontext wie die "Entscheidung" zwischen Kooperation oder Egoismus ab. Und wegen der Kontextabhängigkeit ist es auch nahezu unmöglich, aus der "Natur" die Grundlage irgendeiner Ideologie abzuleiten, wie dies immer noch gerne gemacht wird - gerade in Zeiten, in denen wiederum die Genetik dominiert.

Kapuzineräffchen gehören nicht gerade zu den direkten Vorfahren der Menschen. Immerhin haben sie für ihre Körpergröße ein ziemlich großes Gehirn. Gelegentlich jagen die Äffchen in einer Gruppe. Man hat beobachtet, dass derjenige, der die Beute erlegt, diese mit seinen Kollegen teilt. Forscher des Living Links Center im Yerkes Promate Research Center wollten untersuchen, ob es sich dabei um wirkliche Kooperativität handelt, die aus dem gemeinsamen Jagen oder, im Fall des Experiments, aus der gemeinsamen Arbeit entsteht.

Die Frage war, ob sie eher die Nahrung aufteilen, wenn sie nur zusammen ihrer habhaft werden können. Dazu wurden, wie sie in Nature schreiben, jeweils zwei Äffchen aus derselben Gruppe, die sich also kannten, in ihren Käfigen durch einen Draht getrennt, aber nur wenn sie zusammen arbeiteten, konnten sie an Apfelscheiben herankommen. Die aber fielen notwendigerweise zuerst in die Hände eines Affen. Obgleich der zunächst leer ausgehende Affe sich nicht hätte direkt rächen können, wurde die gemeinsam erlangte Beute in aller Regel geteilt. Bei der Testgruppe, in der das Futter von einem Affen ohne Hilfe des anderen erreicht werden konnte, wurde wesentlich weniger geteilt.

Tit-for-tat

Wie sich dieses nicht nur kooperative, sondern auch soziale Verhalten interpretieren lässt, ist natürlich eine andere Frage. Vielleicht haben die Affen eine genetische Veranlagung zur Kooperation, weil sich diese evolutionär als vorteilhaft erwiesen hat. Möglicherweise versichert sich der Teilende auch nur egoistisch der künftigen Mitarbeit des anderen Affen, indem er ihn derart besticht und so der Logik folgt: Wie du mir, so ich dir oder: Tit-for-tat.

"Eine gemeinsame Anstrengung sowie die Aufmerksamkeit und Koordination, die erfordert sind, können eine positive Einstellung gegenüber dem Partner hervorrufen", meinen die Forscher, "die sich in wechselseitiger Attraktion und sozialer Toleranz zum Ausdruck bringt. Wenn diese Toleranz in das Teilen von Nahrung übergeht, dann sorgt dies für eine Motivation für eine fortgesetzte Kooperation. Zusammen funktionieren diese beide Mechanismen wie eine Bezahlung für Arbeit und Arbeit für Bezahlung."

Wie gerecht die Teilung stattfand, scheint die Forscher, obwohl sie Parallelen zum sozialen Verhalten der Menschen ziehen wollen, nicht interessiert zu haben. Vielleicht ist bei Primaten durch die Jagd in Gruppen tatsächlich ein erster Ansatz zu kooperativem Handeln entstanden, der dann auch für das soziale Verhalten der Menschen bedeutsam wurde, aber auch in der Gruppe zu neuen Konflikten geführt hat. Bislang hat man nur bei wildlebenden Schimpansen beobachten können, dass sie gelegentlich Nahrung teilen.

Der bekannte Primatenforscher Frans de Waal, Mitglied des Teams, meinte jedenfalls: "Tit-for-tat ist für unsere Wirtschaft entscheidend, und selbst unsere Moral hebt hervor, dass eine gute Tat eine entsprechende Antwort verdient. Unser Leben hängt von unserer Fähigkeit ab, miteinander zu kooperieren und etwas für die Hilfe der anderen zurückzugeben."

Man sollte denn auch meinen, dass Kooperation nach der Devise "Gemeinsam sind wir stark" auch erfolgreicher sein sollte als ein rein egoistisches Verhalten. Das wird vermutlich auch oft in relativ stabilen und überschaubaren Verhältnissen der Fall sein, wenn sich die Individuen aneinander erinnern können und die Betrüger oder Trittbrettfahren ausschließen.

In Massengesellschaften mit viele flüchtigen und anonymen Beziehungen, das wissen wir, sieht die Sache allerdings schon anders aus, weswegen hier ganz andere Regeln und Sanktionen zum Zuge kommen. Natürlich würden alle baden gehen, wenn alle gleichermaßen sich gegenseitig betrügen würden und keiner sich an die Regeln hält, aber wenn es zahlenmäßig immer nur wenige sind, dann können die mitunter ganz gut leben.

Betrüger sind für ein Kollektiv auch nicht notwendigerweise schlecht, denn Parasiten, die sich schon schnell zu Beginn des Lebens, aber auch bei Simulationen im Rahmen einer Evolution des künstlichen Lebens einstellen (Tom Ray: Künstliches Leben), zwingen die Gesellschaft auch zur Innovation, selbst wenn dies zunächst nur als Wettrüsten und als Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen erscheint. Diese Spiele kennen wir zur Genüge auch aus dem Internet, wenn es beispielsweise um das Wettrüsten zwischen Crackern und Sicherheitsexperten oder zwischen Raubkopierern und Eigentümern von geistigem Besitz geht.

Wenn Bakterien aus Luxuskulturen auf solche stoßen, die ums Überleben kämpfen

Bakterienkolonien, von Eshel ben Jacob auch wegen ihrer erstaunlichen Eigenschaften als kreative Netze und von Howard Bloom in seiner Geschichte des globalen Gehirns als "vernetzte Gehirne" bezeichnet, sind auch Massengesellschaften. Gregory Velicer und seine Kollegen von der Michigan State University haben - der Artikel befindet sich in derselben Nature-Ausgabe - das Sozialverhalten des Bakteriums Myxococcus xanthus untersucht, das in Gruppen zusammen im Boden andere Bakterien jagt.

Möglicherweise gibt es auch hier eine Verbindung zwischen dem Jagen und der Kooperativität, jedenfalls entwickeln diese Bakterien ähnlich wie die berühmten plasmodischen Schleimpilze, die von eukaryotischen Amöben gebildet werden, eine erstaunliche Überlebenstaktik, von manchen als Zwischenschritt zwischen einzelligen und vielzelligen Lebewesen gedeutet, wenn die Nahrung knapp wird: An die 100.000 Bakterien schließen sich dann durch Aussenden von Signalen zu sogenannten Fruchtkörpern in der Größe von einem Zehntel Millimeter zusammen. Nur wenige werden inmitten des Fruchtkörpers zu harten Sporen, die lange Zeit überleben können, bis wieder günstigere Zeiten anbrechen, während die meisten bei dieser kollektiven Aktion zur Sicherung der Gruppe in gewissem Sinne selbstlos ihr Leben opfern und eingehen.

Fruchtkörper von Myxococcus xanthus, Bild: Kaiser Lab

Die Forscher haben sechs verschiedene Bakterienkulturen über 1000 Generationen lang in einer nährstoffreichen Flüssigkeit kultiviert. Das Leben unter diesen Bedingungen war so üppig, dass die Bakterien die Fähigkeit weitgehend eingebüßt haben, sich zu Fruchtkörpern zusammenzuschließen, wenn plötzlich harte Zeiten ausbrachen. Gegenüber den durch widrige Lebensumständen gestählten, waren sie also weniger fit.

Doch wenn man nur wenige dieser durch Luxus geschwächten Bakterien mit den anderen zusammentat, zeigte sich etwas Erstaunliches: Bakterien aus drei der sechs vom Leben verwöhnten Kulturen waren, wenn es um die Sporenbildung in Fruchtkörpern ging, wesentlich erfolgreicher als die vom harten Leben dafür trainierten Artkollegen. Bakterien aus zwei der Kulturen konnten die chemischen Signale nicht mehr aussenden, die für die "wildlebenden" Bakterien zur Kommunikation dienen, um sich zu einem Fruchtkörper zusammen zu schließen. Möglicherweise kannten sie auch nicht mehr die Signale zur Sporenbildung, aber wenn sie diese einmal von den anderen wahrgenommen hatten, können sie offensichtlich einen Vorteil erlangen und die anderen abhängen. Möglicherweise fressen sie die anderen Bakterien, die zugunsten des Kollektivs Selbstmord begehen, oder sie teilen sich fleißig weiter, während sich der Fruchtkörper bildet, wodurch sie zahlenmäßig einfach mehr werden.

Die Bakterien der Luxuskulturen beuten in diesem Fall die anderen selbstlosen Bakterien aus und betrügen sie, obgleich sie für sich eigentlich weniger überlebensfähig sind. Und weil sie anteilsmäßig mehr Sporen bilden, reproduzieren sie sich auch mit ihren Eigenschaften inmitten der anderen Bakterien, solange diese - dumm, wie sie sind - ihr Verhalten beibehalten. Velicer nimmt an, dass die Bakterien wohl nicht zwischen Trittbrettfahrern und Kooperativen unterscheiden können und so die an sich geschwächten Betrüger zurückdrängen können, weswegen "Betrüger vermutlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zahlreich in der Natur vorkommen".

Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass auch Betrüger nur dann in Saus und Braus leben können, wenn sie ihre Wirte nicht überfordern, also nicht überhand nehmen. Für Velicer ist der Konflikt zwischen den normalen und den betrügerischen Bakterien ein "wichtiger Faktor in der Entwicklung aller kooperativen sozialen Systeme". Gibt es zu viele Betrüger, so kann womöglich der Übergang zu vielzelligen Organismen nicht zustande kommen, die intern auf starke Kooperation und Selbstlosigkeit angewiesen sind. Aber das ist nur ein möglicher Blick von der Evolutionsgeschichte nach rückwärts. Den Myxobakterien haben die Betrüger, sofern es sie denn wirklich so zahlreich in der Wildbahn gibt, offensichtlich nicht geschadet, denn sie haben ja überlebt.

Was also zahlt sich beim Blick auf die Natur aus: Kooperativität oder Betrügerei? Beides funktioniert offensichtlich, und dass auch Affen betrügen, hat man schon länger feststellen können, weswegen manche auch meinen, dass diese komplizierten sozialen Verhältnissen gerade erst das soziale Gehirn hervorgebracht haben, das uns intelligent macht. Zumindest aber ist eines klar: Betrug kommt nach Kooperation und ist somit das "fortgeschrittenere" Verhalten ....