Von der Geistesgeschichte zur Hirnforschung

"Auf der Suche nach dem Gedächtnis" schwankt zwischen ZDF-Reenactment und Wissenschaftsdokumentation

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Der Neurobiologe Eric Richard Kandel erhielt vor neun Jahren den Medizin-Nobelpreis für seine Entdeckungen dazu, wie das Gedächtnis funktioniert. Die Idee, diesen Erinnerungsforscher beim Erinnern zu dokumentieren, war verlockend naheliegend - das nun in Form von Petra Seegers Film Auf der Suche nach dem Gedächtnis in die Kinos gekommene Ergebnis überzeugt jedoch nur sehr bedingt.

Sehr häufig werden Filme durch von der Produktionsfirma oder anderen Stellen angeordnete Kürzungen schlechter als die Fassungen, welche ihre Autoren eigentlich geplant hatten. Manchmal sind die längeren Fassungen aber auch schlechter - und man ist versucht, den unbesungenen Kürzungskünstlern nachzuspüren, die ihre undankbare Aufgabe mit so ungewöhnlich viel Gespür ausführten. In einer dritten Kategorie schließlich, hat man den Eindruck, dass es nicht Kürzungen waren, die das Werk verschandelten, sondern erzwungene Hinzufügungen. Bei Jacques Tourneurs Night of the Demon ist dies das am Schluss doch noch sichtbare Monster, das einen eigentlich ausgezeichneten Horrorfilm durch Augsburger-Puppenkiste-Ästhetik schwächt. Und in Auf der Suche nach dem Gedächtnis, sind es ZDF-artige Reenactment-Szenen, die innerhalb der Dokumentation wie Werbeunterbrechungen für Guido Knopp wirken.

Petra Seegers Film weist aber auch Symptome einer weiteren Krankheit auf, die bei Film- wie Fernsehdokumentationen heute häufiger auftritt als früher: Es fehlt ihm an Struktur. Nicht nur im Filmablauf, sondern auch in der Erklärung des Gegenstandes der dokumentiert werden soll. Tatsächlich sind seine strukturiertesten Momente kurze Ausschnitte aus einem Amateurfilm zweier Kinder, die mittels des Dornröschen-Märchens und Plastilin-Neuronen die Entdeckungen Kandels in einem Grad veranschaulichen, den das über weite Strecken aus Trivialem und Interessantem wild zusammengewürfelt wirkende Rahmenwerk selten erreicht.

Zu den interessanteren Momenten des Films zählen vor allem Szenen aus Kandels Institut, in denen Mitarbeiter über ihre Arbeit sprechen und beispielsweise erklären, wie wenig Anreiz Geld für Forscher darstellt. Kandel selbst ging einen in Bologna-Zeiten geradezu unvorstellbar verschnörkelten Weg in das Fachgebiet, in dem er schließlich wirklich Bahnbrechendes entdecken konnte:

Nach der Flucht in die USA interessierte sich der in Wien geborene Jude erst für die europäische Literatur und Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, weil er darin mögliche Erklärungen für die Ereignisse zu finden hoffte, die zu seinen emotional aufgeladenen Blitzlichterinnerungen an das von Hitler besetzte Österreich führten, welche ihn sowohl ängstigten als auch faszinierten.

Seine Abschlussarbeit an der Harvard-Universität schrieb er über die Haltung von Carl Zuckmayer, Hans Carossa und Ernst Jünger zum Nationalsozialismus. Aber schon während dieses Studiums war er über die Eltern einer Freundin mit der Psychoanalyse in Berührung gekommen, die ihn durch ihre Systematik in der Erklärung von Denk- und Erinnerungsprozessen faszinierte. Diesen neuen Interessen folgend beschloss er Psychoanalytiker zu werden und wechselte an die New York University um das dafür notwendige Medizinstudium zu absolvieren. Während dieses Studiums stellte Kandel schließlich fest, dass die Biologie ihm interessantere Antworten auf die Fragen geben konnte, für die er sich hauptsächlich interessierte, und wechselte zum Neurologien Harry Grundfest an die Columbia University.

Grundfest empfahl Kandel 1957 Wade Marshall, dem damaligen Leiter des Neurobiologie-Labors am National Institute of Mental Health, was dem jungen Wissenschaftler den Dienst bei der Army ersparte. Am NIMH konnte er sich stattdessen mit elektrophysiologischen Messungen am Hippocampus beschäftigen. Um die für das Erinnern relevanten Vorgänge besser untersuchen zu können, spezialisierte sich Kandel nach dem Ausprobieren von Krabben, Hummern, Fliegen, und Nematodenwürmern auf die Meeresschnecke Aplysia als Versuchstier. Diese hatte aber nicht nur extrem große Neuronen, sondern auch ein sehr einfach aufgebautes Nervensystem. Mit den in den Schnecken freigelegten Ganglien ließen sich vor allem die einfachen Formen des Lernens wie die operante Konditionierung gut erforschen. 1962 ging Kandel dafür nach Frankreich, wo die beiden damals wichtigsten Aplysia-Kapazitäten lehrten.

Drei Jahre später entschied er sich gegen eine Psychiatrie-Professur in Harvard und für den Aufbau einer Neurobiologie-Abteilung an der New York University. Dort untersuchte man unter anderem die Veränderung von Synapsen durch Lernvorgänge und die Rolle von Botenstoffen wie dem zyklischen Adenosinmonophosphat (cAMP). 1974 verlegte Kandel sein Labor schließlich an die Columbia Universität, wo er viel über die Rolle des Neurotransmitters Serotonin und des cAMP-abhängigen Schlüsselenzyms Proteinkinase A (PKA) bei Lernvorgängen herausfand. Als Höhepunkte seines wissenschaftlichen Schaffens gelten seine Entdeckungen um den Transkriptionsfaktor CREB (cAMP Response Element Binding Protein). Zusammen mit David Glanzman und Craig Bailey zeigte er, wie damit synaptische Verbindungen vermehrt und auf diese Weise Kurz- in Langzeiterinnerungen verwandelt werden.