Von heißer Luft und Entropie: Ein Bericht vom European Media Art Festival, Osnabrück 1998

Wer braucht noch Festivals für Medienkunst?

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Osnabrück, 8.Mai 1998 - Wrrom!, eine ca. 14 Meter hohe Feuersäule schießt in den dunkelblauen Abendhimmel, gefolgt von einem staunendem Ahh! der anwesenden Menschenmenge. Der niederländische Künstler Erik Hobijn spielt auf seiner computergesteuerten "Dante Orgel", und wir wohnen dem diesjährigen Höhepunkt des European Media Art Festivals (EMAF) bei, Höhepunkt, zumindest was die Präsenz lokalen Publikums und den Spektakelcharakter betrifft.

Szenenwechsel: Ein Seminarraum, der zum Gebäudekomplex der Dominikanerkirche, einer der Schauplätze des Festivals, gehört. Draußen Sonnenschein, Vogelgezwitscher und unbenutztes Betacam SP Aufnahme-Equipment, das sich auf seinen Stativen ausruht. Drinnen Hartmut Winkler, möglicherweise ein angehender Star der deutschen Medien-Theorie-Szene in der akademischen Welt. In wohlgeformten Sätzen, deren feine Verschachtelungen und intellektuelle Klarsichtigkeit durch den leisen aber bestimmten Tonfall noch unterstützt werden, leistet er einen "Durchritt durch einige Theorie-Frames" (Winkler über Winkler).

Winkler spricht über "Phänomene der De-Realisierung". Das war der Titel einer Konferenz in Berlin im vorigen Jahr. Winkler mochte sich dem Ausgangspunkt der Konferenz, daß die Welt (nicht zuletzt durch die Medien) immer stärker immaterialisiert wird, nicht anschließen und de-realisiert nun die De-Realisierung. Französischer Post-Strukturalismus, amerikanische Gender-Studies (Judith Butler) und deutsche Medientheorie werden mit feinem Skalpell vivisektioniert. Sie alle wollen uns erklären, daß es kein eigentliches "Sein" gibt, daß, so.z.B. bei Butler, nicht bloß das Geschlecht eine soziale Konstruktion ist, sondern auch der Sex (also die biologische Ausformung der Geschlechtlichkeit). Und natürlich Baudrillard und dessen "Vive la Simulation".

Worauf Winkler hinaus will, ist, kurz (und wohl auch verkürzend) gesprochen, daß sich Akademia hier in eine Sackgasse hineingeredet hat. Wer das Voranschreiten der De-Realisierung nicht als gegeben voraussetzt und in diesem Sinne argumentiert, verwehre sich selbst das "Eintrittsbillet um da singen zu dürfen" ("da" bedeutet "akademische Konferenzen"). Er hält dem entgegen, daß es auch eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unseren Modalitäten der Wahrnehmung und Erkenntnis existiert. Denn obwohl in zahlreichen akademischen Diskursen die Körper weggeredet werden, hören diese Dinger gemeinerweise nicht auf zu existieren (ähnlich wie die "Orte" übrigens, oder wahlweise "die Stadt"). Die Zeichen, die sich vom Bezeichneten gelöst haben und so frei flottieren wie die Börsenkurse, kommen wieder zum Bezeichneten zurück, werden von den Medien auf den Menschen und vor allem dessen Körper geworfen. Dabei muß auch McLuhans These dran glauben, daß die Medien Extensionen des Körpers seien. Schön daß das endlich mal wer sagt.

Nein, Winkler will ganz gewiss nicht "zurück zu Heidegger", sondern vorwärts, hin zu etwas Neuem, jenseits der Theorien der De-Realisierung. Mit diesen Theorien verhalte es sich wie mit den Figuren in einem Comic-Strip, die über einen Abgrund hinauslaufen und noch eine Weile in der Luft weiterlaufen, bevor sie - erst dann wenn sie bemerken, daß sie den Boden unter den Füßen verloren haben - abzustürzen beginnen. Rund 50 Leute hören diesem konzentriertem Vortrag trotz schläfriger Nachmittagsstimmung aufmerksam zu und am Ende kommt tatsächlich eine Diskussion in Gang.

Die Dante Orgel feuert Kaskaden von Feuersäulen in den nun rauchgeschwärzten Nachthimmel. Die insgesamt 12 mit Druckluft arbeitenden Flammenwerfer geben ein choreographiertes Ballett der Flammen von sich, musikalisiert durch die Verstärkung der Ventilklappengeräusche und des Zischens der Feuerlöscher über eine Soundanlage am Vorplatz der Caprici-Kaserne. Ein kleiner Atari steuert die Feuersalven diskret im Hintergrund. Doch ansonsten ist an dieser Konfiguration nichts digital. In ruhigen Momenten zwischendurch kommt immer wieder Szenenapplaus auf. Nur wenn mehrere Flammenwerfer gleichzeitig einige Sekunden brennen, schlägt die ästhetische Begeisterung kurzfristig in Besorgnis ums eigene körperliche Wohl um (vielleicht doch einige Schritte zurück treten, vor dem nächsten Ausbruch).

Die Dante Orgel ist weder besonders innovativ (kein Wunder, ist sie doch schon rund 10 Jahre alt), kaum digital und schon gar nicht interaktiv. Hobijn macht es auch "nur mehr zum Geldverdienen", wie er schon vor Jahren zugestanden hat. Und dennoch setzt diese infernalische Maschinerie einen Punkt im Kontext des EMAF-Festivals. Gerade so, als würde sie Winklers Gegenrede zum Gerede von der De-Realisierung unterstützen wollen: Wer sich die Haut verbrennt, hat sich die Haut verbrannt, ganz unabhängig davon, ob die Theorie das Problem der Körperlosigkeit genügend besungen hat.

Abends in der Dominikanerkirche. Margarete Jahrmann, Pop~Tarts Kolumnistin, gibt ihre Traceroute Performance. Sie sitzt hinter dem Mischpult am Podium, links und rechts zwei große Monitore, eine kleine Computer-Projektion unter ihr und eine große Computer/Videoprojektion über und hinter ihr. Der Aufbau erinnert mehr an ein kombiniertes DJ/VJ-Set als an eine Vorlesung. Immer wieder startet sie ein Traceroute hin zu mehreren Servern. Je nachdem, wie lange es dauert, bis die Server erreicht werden, werden verschiedene Audiosignale ausgelöst. Abwechselnd zu den Soundkurven huschen ASCII-Grafiken von weiblichen Körpern über die Projektionsflächen, das fe.mail dataset. Zugleich spricht Jahrmann von dem, was sie da tut, von den Netzwerkprotokollen, welche die Identitätsbildung im Netz vor-formatieren und von den unsichtbaren Gender-Stereotypisierungen im IRC und in 3D-Chat-Umgebungen. Nicht alles ist (akustisch) verständlich, was sie da sagt und manches wohl auch (absichtlich) schwer verstehbar. Theorie als technikgestützte Pop-Art Performance und umgekehrt, ist das der neue Geek-Chic?

Ein betrunkener Alt-Experimentalfilmemacher, der scheinbar zum Inventar des Festivals gehört, sosehr hat man sich an seine besoffenen Provokationen bereits gewöhnt, versucht Jahrmanns Multimedia-Auftritt zu stören. Mit unendlicher Geduld versucht sie ihn sogar in die Präsentation einzubinden, anstatt ihn einfach vom Podium zu schmeissen. Er solle auf einem der Monitore mit der Maus auf jene Buttons drücken, die zwischen Soundkurve und ASCII-Körpern umschalten. Doch für den Filmemacher, der plötzlich folgsam wie ein Kind gehorcht, sind die Buttons wohl zu klein, er trifft nicht. Als er wieder randaliert, wird er von der Grrls-Power-Possie (Kathy Rae Huffman, Diana McCarthy, Vali Djordevic, Sabine Seymour) endlich von der Bühne geschmissen.

Es mag ein Zufall sein, dass das sechziger Jahre Künstlerfossil ausgerechnet bei Jahrmanns Auftritt zu randalieren beginnt. Es scheint wohl ungefähr die Tageszeit zu sein, bei der sein Alkoholspiegel die Kontrollmechanismen überwindet und "Performance" angesagt ist. Jene Art von Performance, die nichts will, als sich selbst in Szene zu setzen und dazu auf das altbewährte Mittel der Provokation um jeden Preis zurückgreift. Man könnte das ganze aber auch Gender-spezifisch und generationspolitisch interpretieren: Junge Frau entert die Domäne der alten Männer, der Fluxus- und Happening Pioniere, der Kunst-Paradigmen-Zerstörer ("memento mori" flüsterte mir Tilman Baumgärtel dabei ins Ohr) und der organisierten Renitenz. Alter Mann will sich das nicht gefallen lassen und inszeniert sich zum x-ten Mal als Störfaktor. Und wieder läuft ein Comic-Männchen in der Luft weiter, obwohl es die Kante des Abgrunds längst hinter sich gelassen hat.

Ähnlich wie diesen Comic-Männchen - und das ist die Grundthese dieses Artikels - geht es vielleicht auch dem ganzen Genre der spezialisierten und doch so allgemeinen Festivals der Medienkunst. Sie haben sich überlebt, aber noch hat das kaum jemand so richtig bemerkt. Das soll keineswegs ein Angriff gegen EMAF sein. Das Festival in Osnabrück ist weder schlechter noch besser als die meisten anderen derartigen Festivals. Sicherlich, allgemein wurde dieses Jahr eine gewisse Erschlaffung von den Teilnehmern konstatiert. Das muß aber nicht die Schuld der Organisatoren sein. Denn das Programm hatte durchaus einiges zu bieten.

David Blair, der mit WaxWeb bekannt geworden war, zeigte die Weltpremiere seiner neuen Arbeit, "The Telephatic Motion Picture of the Lost Tribes", in VRML 2.0 geschrieben und noch nicht im Netz anklickbar. Blair enthält sich jeder theoretischen Begleitkommentare. Mit WaxWeb habe er vielen Leuten nicht bloß die Struktur seiner Arbeit sondern das Internet an sich vermittelt und nahegebracht, ja nahebringen müssen. Nun wolle er sich aber auf seine Rolle als Gestalter beschränken und die Möglichkeiten der Verbindung von Film, 3D und Internet ganz praktisch erkunden. Für September 1998 ist eine endgültige Version von WaxWeb im Internet sowie auf CD angekuendigt. Hier gibt es eine Vorabversion.

Matthew Fuller präsentierte den Web-Stalker von I/O/D, ein in Director geschriebener Browser, dessen Funktionsweise die Art, wie wir gewöhnlich über das Web denken - als eine Anzahl von durch Links verbundenen "Seiten" - unterminiert und auf dessen rohe Datenstrukturen zurückgreift. (Der Web-Stalker wurde auf dieser Festplatte bereits mehrfach gewürdigt.)

Simon Penny und Gerhard Lischka lieferten weitere Theorie-Bits, ebenso wie ein Telepolis-Panel über Netzkultur mit Frank Hartmann, Cornelia Sollfrank und padeluun, moderiert vom Autor eben dieses Artikels.

In der Lagerhalle flackerte wie immer eine beachtliche Zahl von Filmen und Videos über die Leinwand, darunter z.B. "Hacks" von Christine Bader, Hamburg, die sich mit sozial engagierten Projekten, die aus der Hackerszene kommen, auseinandersetzte. Der Body-Count im Kinosaal kam aber gerade mal auf 6 Zuschauer.

Die sogenannten "Installationen" im Hauptsaal der Dominikanerkirche huldigten überwiegend dem Paradigma der "Single-Channel" und "Multi-Channel" Videoinstallation. Diese Form, und auch die dazugehörige Begrifflichkeit, entstand, als das Medium Video sich von seinen rauhen, revoltierenden Anfängen verabschiedete und eine Form zu finden suchte, mit der Videokunst in die Museums- und Galerienszene Eingang finden konnte. Namen wie Gary Hill und Bill Viola (die aber in Osnabrück beide nicht dabei waren) stehen dafür, daß dieser Wechsel aus dem Medienghetto in die hohe Institutionskunst auch gelang. Nun werden sich wohl auf Jahre hinaus neue Künstler finden, die mit Single- oder Multi-Channel in die Fußstapfen von Hill, Viola, Lafontaine usw. treten wollen. "Ab ins Museum", läßt sich dazu nur sagen. Doch aufwendige Medieninstallationen waren ohnehin noch nie die Stärke von EMAF, obwohl es Versuche in diese Richtung immer wieder unternahm.

Dem Geist des Festivals schon eher entsprach der Grrl Power Workshop von Kathy Rae Huffman, mit Margarete Jahrmann, Diana McCarthy, Sabine Seymore und Vali Djordevic. Die fünf Frauen, die an den verschiedensten Netzprojekten (u.a. pop~Tarts, Faces, IS, Old Boys Network) beteiligt sind, hatten eine Ecke des EMAF-Cafes eingenommen und saßen meist konzentriert arbeitend vor ihren Rechnern. Wer sie davon weglotsen wollte, bekam Dinge zu hören wie, "wir chatten gerade mit Sadie Plant im IRC". (Berichte von Margarete Jahrmann und von Kathy Rae Huffman fassen die Arbeitsergebnisse des Grrl Power Workshops zusammen).

Seitdem EMAF 1988 vom Experimentalfilm- zum Medienkunstfestival mutierte, war es nicht die repräsentative Hochkunst des Genres, wofür Orte wie Ars Electronica oder ZKM stehen, die das Festival interessant machten, sondern Workshops, Diskurs und öffentlich ausgetragene Experimente, die auch schon mal scheitern oder kein greifbares Ergebnis bringen konnten. Doch abgesehen vom Grrl Power Workshop war dieses Jahr in dieser Hinsicht wenig los.

Medienkunst ist keine Massenkunst

Neben dem Festivalleiter Alfred Rotert, dessen Engagement allgemein Anerkennung findet, ist im Hintergrund die Präsenz von Jochen Coldewey als ehemaliges Mastermind von EMAF spürbar. Im Rahmen der Veranstaltung ergab sich die Gelegenheit zu einem ausfürhlichen Gespräch mit ihm.

Jochen Coldewey hatte noch 1988 EMAF mit begründet, war dann aber auf die "andere Seite" gewechselt und ist nun im Kultusministerium Niedersachsen für Filmförderung zuständig. Aus dieser Position heraus fördert er nun u.a. EMAF, aber auch andere Brennpunkte der Medienkultur in Niedersachsen, wie Ponton und Van Gogh TV (die seit zwei Jahren getrennte Wege gehen). Er betonte, daß Land und Stadt als Förderer hinter dem Festival stehen, weil es den künstlerischen Charakter innerhalb der neuen Medien hervorhebt. Als ältestes Festival dieser Art in Deutschland habe es dazu beigetragen, daß auch im Umkreis Projekte entstanden sind, wie z.B. das Medienhaus Osnabrück. Er sieht weiterhin gute Entwicklungschancen für das Festival.

"Medienkunst ist keine Massenkunst", meinte Coldewey, "von daher bin ich auch mit der Frequentierung des Festivals zufrieden".

Doch als er wenige Sätze später auf die Vergangenheit zu sprechen kam, schien im pragmatischen Kulturpolitiker Coldewey plötzlich wieder der Idealismus von einst wach zu werden.

"Das Festival war früher attraktiver, in den Zeiten, in denen es auch eine große Subkultur gab, zum Beispiel als noch Super 8 Filme gemacht wurden, da war dieses Festival sehr viel lebendiger als heute. Das liegt aber auch daran, daß wirklich die Zeit über die Kunst hinweggeht und daß wir heute auch nicht mehr diese klaren Subkulturen haben, die sich über die Medien ausdrücken. Damals waren das relativ wenig Medien, heute sind es extrem viele Medien, die man nutzen kann. Früher gab es eine relativ überschauhbare Szene, heute sind das viele, viele Szenen, die alle ihre eigenen Aktivitäten entfalten, aber nicht alle am selben Strang ziehen. 1988 war noch so ein Jahr, da waren die neuen Medien noch wirklich neu, da hats gebrummt. Die Leute haben sich verändert. Nehmen wir mal so einen Ort wie die Lagerhalle, unser soziokulturelles Zentrum, wo früher die Filme liefen, heute auch noch, da gab es früher Pinwände, und heute gibt es Plakatwände. Das heißt, heute plakatiert man seine Ideen, die man zu Hause gedruckt hat, früher hat man seine Zettel an die Pinwand gehängt und hat irgendwelche Kooperationen gesucht und irgendwelche Proteste vermittelt. Die Art der Kommunikation war auch noch eine andere, es ist alles ein bißchen saturierter heute. Einen Super 8 Film in einem knackvollen Cafe zu zeigen, wo nachher alle ihren Spaß haben, ist eben eine ganz andere Art von Kulturereignis. Wir haben eine Kommerzialisierung in den Medien. Das drückt sich natürlich auch darin aus, wie an den Hochschulen ausgebildet wird. Heute sind Filmstudenten ganz anders drauf als vor 10, 20 Jahren, die haben ganz andere Berufsbilder. Früher wollte man Künstler sein, man wollte sich selbst verwirklichen. Heute will man Produktionen möglichst so in den Markt bringen, daß man davon leben kann. Das ist natürlich auch etwas, was so ein Festival, das von dieser Lebensfreude lebt, beeinflußt. Früher gab es klare Feindbilder, es gab Dinge, welche die Subkultur vereinten und das ist heute alles derartig auseinandergelaufen..."

Auch wenn diese Beschreibung der Zustände inklusive der möglichen Ursachen einiges für sich hat, so ist Coldewey dabei möglicherweise noch in den Denkschemata der achtziger Jahre befangen. Die exklusive der Medienkunst gewidmeten Festivals stecken in einer inhaltlichen Krise, während "die Medien" boomen und expandieren wie nie zuvor und andauernd neue Medien entstehen (Stichwort Konvergenz).

Anstatt als Feindbild nun ein Klima der Kommerzialisierung auszumalen, täte es besser, auch über eigene Versäumnisse nachzudenken. EMAF hat (hatte noch nie) ein Thema, das über die Addition von Medien und Kunst inhaltlich hinausgeht. Andere Festivals, wie die Ars Electronica, nennen zwar Themen, zeigen aber bei deren Auswahl keine sehr glückliche Hand .

Weder die zugrunde liegenden Technologien, noch die großen Metaphern können heute den Kleister liefern, der ein Festival zusammenhält und nicht nur ein geschäftiges, sondern auch ein inhaltliches Summen erzeugt. Ebenso wie sich die Medien diversifizieren, tun es auch die Szenen, die sie benutzen. Wer sich hauptsächlich mit Email- und News-Client im Netz bewegt, wird wenig Interesse an VRML-Kunst im WWW haben und umgekehrt. Andauernd gibt es neue Mailinglists, neue Radiostationen im Netz, neue Avatar-Brütststationen für 3D Welten. Innerhalb der Szenen, die diese Technologien benutzen, gibt es weitere Ausdifferenzierungen. Die einen stehen mehr auf puristische Kunst, die anderen suchen das Crossover mit Design-, Geek- oder Popkultur, manche organisieren sich in lokalen Gruppen, andere diskutieren lieber global, usw.

Innerhalb dieser Szenen gibt es sehr wohl ein lebhaftes Interesse an Austausch, Zusammenarbeit und Diskussion. So wäre es vielleicht zeitgemäßer, anstatt eines Festivals für Medienkunst wesentlich differenziertere Festivals zu veranstalten: Festivals für Mailinglists, Grrl Power Festivals, Künstler programmieren Browser Festivals, usw. Die Intensität des Austauschs, das "Brummen", würde dem der Super 8 Szene bei solchen Events sicher nicht nachstehen.

Und Events, die in diese Richtung gehen, gibt es ja. Sie finden allerdings nicht bei den altbekannten Festivals statt, die nur mehr einen überkommenen Begriff von Medienkunst perpetuieren, sondern organisieren sich selbst, meist mit kleinen oder keinen Budgets, in einer spontanen ad-hoc-Strategie (ganz nach dem Vorbild des ad-hocism der Großen wie IWF oder WTO in der Wirtschaft).

Niemand interessiert sich heute mehr für "das Netz" im allgemeinen (außer der Telekom) oder "die Medien" (außer Medientheoretikern der Kittler Schule). Die Festivals müssen dieser Entwicklung Rechnung tragen, ansonsten werden sie wohl bald Geschichte sein, ebenso wie die großen Namen, welche sie in den Medienmuseen und Prunkpublikationen repräsentieren.

Und leise fauchen die Lüfter der Netzgeräte im Mediencafe, während die Dante Orgel Feuersäulen in den Himmel schießt. Beides erzeugt ebensosehr Wärme, wie es einen kalt lassen kann. Wird nun demnächst wieder die Entropie zum neuen (alten) Modewort werden? Dann haben wir wenigstens eine "wissenschaftliche Erklärung" dafür, warum alles immer langweiliger werden muß.