"Vorsicht, die Tiefsee ist frisch geteert"

Asphaltvulkane am Meeresboden des Golf von Mexico entdeckt

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Die Erde ist zu siebzig Prozent mit Wasser bedeckt und während es überirdisch kaum noch etwas zu entdecken gibt, ist die Welt der Ozeane in weiten Teilen noch Terra Incognita. Jetzt hat ein internationales Team von Meeresforschern im Golf von Mexiko etwas völlig Neues gefunden: Vulkane, aus denen zwar nicht Öl, aber Asphalt fließt.

Eigentlich waren sie auf dem Forschungsschiff Sonne unterwegs, um auf der Fahrt zwischen Balboa, Corpus Christi und Miami im Oktober und November 2003 wie beim Projekt Otega II nach Gashydraten zu suchen. Diese entstehen als Verbindung von Gasen mit Wasser bei geeigneten Druck- und Temperaturbedingungen, ihr Energiepotenzial ist enorm.

Wissenschaftler fotografieren einen Asphaltbrocken aus der Tiefsee. Dokumentation ist ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Arbeit. (Bild: DFG-Forschungszentrum Ozeanränder)

Im südlichen Golf von Mexiko, einer Region, die "Campeche Knolls" genannt wird, kartierten die Wissenschaftler in einer Tiefe von mehr als 3.000 Metern die Beschaffenheit des Meeresbodens. Dort erheben sich Salzdome aus dem Untergrund empor. Sie haben zentrale Krater an ihren Spitzen, aus denen Asphalt fließt. Die Forscher waren darüber sehr überrascht, denn etwas Ähnliches war bisher unbekannt. Nur kleinere Teerflecken waren zuvor immer wieder tief im Meer gefunden worden, aber nie derartige vulkanartige Asphaltquellen.

In einem Wochenbericht des Forschungsschiffes notierte der Expeditionsleiter Gerhard Bohrmann vom Forschungsbereich Ozeanränder der Universität Bremen:

"Kartierung der Meeresbodentopographie, Sedimentechographie und Ventsuche mit dem TV-Schlitten OFOS bestimmten das Programm zum Monatsende am Freitag und Samstag. (...) Mit einer Streifenbreite von 10 km in Wassertiefen zwischen 3.000-3.500 m konnte in wenigen Nächten ein Areal von 7.000 km2 unbekannten Meeresbodens in mexikanischen Gewässern vermessen werden. (...) Drei dieser Tiefseehügel haben wir mit OFOS-Profilen am Meeresboden optisch untersucht, wobei uns wiederum die aus den Satellitendaten bekannten Lokationen von Ölteppichen auf der Wasseroberfläche zur Auswahl dienten. (...) Als spektakulär haben sich allerdings die Gas- und Fluidaustrittsstellen am Meeresboden in 2.900 m Wassertiefe dort dargestellt. So sind in einem mehrere zehn Meter großen Gebiet Seep-Indikatoren zu beobachten. Bartwürmer treten neben recht diversen chemosynthetischen Muschelpopulationen und Bakterienmatten an vielen Stellen auf. Bei der Beprobung haben wir uns dann auch auf dieses höffige Gebiet konzentriert und mit TV-Greifern und TV-kontrollierten Multiautoklavkerngeräten diese Seeps beprobt. (...) kostbares Probenmaterial, das geborgen werden konnte, beinhaltet authigene Karbonate und große Bitumenbrocken. Diese dunklen Asphalt-Gesteine wurden auch mit OFOS am Meeresboden beobachtet, und wir haben daher diesem Tiefseehügel den Namen 'Chapopote' gegeben..."

Jetzt veröffentlicht eine Gruppe von 18 Wissenschaftlern von zehn Forschungsinstituten aus den USA, Deutschland (Universität Bremen und Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Kiel), Mexiko, China und Spanien ihren Bericht "Asphalt Volcanism and Chemosynthetic Life in the Campeche Knolls, Gulf of Mexico" im Wissenschaftsjournal Science. Die gefundenen Asphaltproben zeigt der Hauptautor Ian MacDonald von der Texas A&M University-Corpus Christi zusätzlich online.

Asphalt ist ein natürliches, aus Kohlenwasserstoffen zusammengesetztes Abfallprodukt, das entsteht, wenn Mikroorganismen organisches Material zersetzen. Auf dem Grund des Golf von Mexiko tritt der Asphalt aus den Spitzen von Salzbergen und fließt über große Flächen. Stellenweise bedeckt der natürliche Teer mehr als einen Quadratmeter Meeresboden. Einen dieser Hügel tauften die Forscher "Chapopote" – das ist der aztekische Namen von Asphalt.

Unterwasseraufnahme: Krebse, Bartwürmer und Asphalt - eine ungewöhnliche Kombination. Wovon sich die Organismen ernähren, ist noch unbekannt. (Bild: DFG-Forschungszentrum Ozeanränder)

Die unter Wasser aufgenommenen Bilder erinnern sehr an einen Vulkan und erkaltete Lava. Deshalb die Bezeichnung Asphaltvulkan. Geteerte Flächen gelten über Wasser bekanntlich als extrem lebensfeindlich, umso erstaunlicher ist es deshalb, dass in dem geklüfteten Asphalt eine Vielzahl von Lebensformen existiert: Bakterienkolonien, Bartwürmer, Fische und Krebse. Dabei enthält er kein Methan und Schwefelwasserstoff, die üblichen Grundnahrungsmittel der Tiefsee. Wie sich die Bewohner der Asphaltvulkane ernähren, ist noch völlig unklar. Gerhard Bohrmann ist fasziniert:

"Trotzdem haben wir jetzt ein ganzes Ökosystem gefunden, dass nicht nur auf dem Asphalt lebt, sondern sich anscheinend auch von ihm ernährt. Welche Verbindungen die Organismen an den Asphalt-Vulkanen genau nutzen und wie das Geflecht des Lebens in diesem System gewebt ist, müssen wir jetzt herausfinden. Nur selten hat man als Forscher die Gelegenheit, völlig unbekannte Dinge zu entdecken. Auf der Erde bietet das in diesem Maße nur die Tiefsee."

Das Team vermutet, dass Asphaltvulkane überall im Golf von Mexiko vorkommen, weil dort alle wichtigen Bedingungen vorhanden sind: große Wassertiefe, Salzstöcke am Meeresboden und Erdölvorkommen. Die Teerquellen des Meeres könnten möglicherweise mithilfe von Satellitenbildern aufgespürt werden, denn auf dem Wasser treibende Ölflecken sind ein Hinweis auf ihre Unterwasserexistenz.

Forschungen, in deren Lauf die Asphalt-Vulkane entdeckt wurden, hatten Satellitenradar benutzt: Die dünnen Striche in Bildmitte sind Ölspuren, die von den 3500 Meter tiefen Vulkanen an die Wasseroberfläche gestiegen sind. (Bild: Science)