Vorsicht: viren- und bakterienverseuchter Telefonhörer!

Wo Leben ist, da gibt es allerlei Mitbewohner

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Wenigstens ist es im Cyberspace trotz einiger Viren und Würmer noch halbwegs sauber, aber wenn man schon mit den Schnittstellen zu tun hat, wird's richtig gefährlich. Und je mehr Gegenstände man berührt, desto gefährdeter durch Infektionen ist der Mensch, meint zumindest eine neue Untersuchung - natürlich aus den USA. Allein der Griff an einen Telefonhörer reicht da schon, um Infektionskrankheiten erhalten zu können. Müssen wir uns also mit weißen Handschuhen und Mundschutz wie Michael Jackson schützen, auf jeden Fall unser eigenes Handy benutzen und ansonsten stets ein Desinfektionsmittel mit uns führen, wenn wir uns nicht als Telearbeiter in unsere sichere Burg zurückziehen?

Grippevirus, Foto: www.pfizer.com

Erst kürzlich wurde die steigende Zahl der Allergien darauf zurückgeführt, dass vornehmlich in den reichen westlichen Ländern die Kinder in einer Umwelt aufwachsen, die zu sauber ist. Ihnen fehlen jene Bakterien, die ansonsten unseren Körper als Lebensraum auserkoren haben oder im Hausstaub Endotoxine hinterlassen. Das ungeübte Immunsystem richtet sich dann auf alles Mögliche und Unsinnige. Ansonsten ist der Mensch ein dicht bevölkerter und hoch "infizierter" Lebensraum, der alles andere als keimfrei ist. An die 100 Billionen Mikroorganismen leben auf und im menschlichen Körper, also hat jede menschliche Zelle etwa 10 Mitbewohner, die in aller Regel ungefährlich sind, ohne die wir nicht leben könnten und die uns schon allein durch ihre Präsenz auch vor fremden Erregern schützen. Allerdings werden immer mehr Krankheiten entdeckt, die zumindest unter Beteiligung von Viren und Bakterien entstehen. So wird auch vermutet, dass selbst einige psychische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depressionen von Viren verursacht werden könnten.

Natürlich versuchen permanent Bakterien und Viren, die Krankheiten verursachen können, in uns einzudringen. Sie leben oft auch permanent in uns, ohne etwas zu bewirken. Aber das ist natürlich nicht so mediengerecht wie die Meldung der Forscher von der University of Arizona, die festgestellt haben, dass Viren tagelang auf harten Oberflächen bleiben und schon geringe Mengen eine Infektion bewirken können. Wenn jemand mit einer Erkältung sich in ein Handtuch schnäuzt und dann mit der Hand eine Türklinge berührt, hinterlässt vielleicht 1000 Viren, die dann in Kontakt mit der Hand einer anderen Person kommen. Berührt diese dann mit der Hand Nase oder Mund, kann schon alles gelaufen sein. Bei den Versuchen blieben etwa 39 Prozent der Bakterien und 66 Prozent der Viren auf der Hand auf einem Telefonhörer oder 28 Prozent der Bakterien und 34 Prozent der Viren auf einem Türgriff zurück. 34 Prozent der Viren und Bakterien können wiederum auf die Unterlippe eines Menschen durch einen infizierten Finger geraten.

Die Forscher haben da ganz genau gezählt. Wenn ein Telefonhörer etwa mit 10000 Viren kontaminiert wird, dann können bei normaler Benutzung des Telefonhörers 6580 (!) auf die Hand geraten, und davon wieder 211 auf eine Fingerspitz. Und wenn man den dann in den Mund steckt, können 72 Viren von der Person aufgenommen werden. Bei den Haushaltsschwämmen sieht es natürlich ganz übel aus. Ein durchschnittliches Exemplar von diesem Teufelszeugs kann, so verweisen die Wissenschaftler auf eine andere Untersuchung, 320 Millionen Keime enthalten, die Krankheiten verursachen können. Geht man einer "Transfereffizienz" von 0,0009 Prozent aus, kommen 3000 Bakterien auf die Hand und von der Fingerspitz 32 in den Mund. Alles sauber berechnet: "Diese Forschungsarbeit zeigt", so die Wissenschaftler, "dass alltägliche Aktivitäten in einem kontaminierten Haushalt oder Arbeitsplatz leicht in der Übertragung von Krankheiten münden können." Und die Krankheiten können sogar noch öfter übertragen werden, als die Untersuchungen zeigen, da man viele dieser Gegenstände wiederholt benutzt.

Am Arbeitsplatz, den man mit anderen teilt, aber auch Zuhause lebt man also weit gefährlicher, als man sich vorstellen mag. Gleichwohl scheint die Vorstellung da einen Streich zu spielen, den die Wissenschaftler aufmerksamkeitsökonomisch gerade im bakterienphobischen Amerika gerne ausspielen. Schließlich sind die paar Viren oder Bakterien nichts gegen unsere Gesamtbevölkerung, und wir stolpern in aller Regel auch nicht gerade von einer Krankheit in die andere.

Trotzdem, was ist schon das Internet mit den paar lächerlichen ILOVEYOU-Würmern oder anderen Viren gegen die vernetzte biologische Welt? Wenn die Schuld für die Virenverbreitung auf die Monokultur der Programme geschoben wird, was kann man dann erst der Natur für ein DNA-Monopol vorwerfen, das übrigens keineswegs für Monotonie sorgt, sondern eine üppige Vielfalt an Leben hat entstehen lassen? Und wenn heute in Analogie zum biologischen Immunsystem ein Anti-Virenschutz für Computersysteme entwickelt wird, dann sollte man vielleicht auch bedenken, dass zum Leben Bakterien und Viren gehören, während man immer glaubt, man könne eine virtuelle Lebenswelt schaffen, die ganz sicher, also keimfrei, ist.

Zumindest die biologischen Bakterien wissen sich im Wettrüsten so gut zu wehren, dass wohl bei gleichzeitiger Raffinesse die wechselseitige Aufrüstung niemals enden wird. Zumindest haben sie ja auch schon ein paar Milliarden Jahre überlebt und kennen sich mit der Gentechnologie ganz gut aus. Schließlich basiert auch unsere Gentechnik oft genug auf Viren und Bakterien.

Bakterien werden nicht nur relativ schnell resistent gegen Antibiotika, sondern sie gewinnen auch Stärke durch den Versuch der Menschen, eine möglichst keimfreie Umgebung herzustellen. Vornehmlich in den USA fidnen sich in Seifen und Haushaltsreiniger immer mehr antimikrobiell wirkende Mittel. In einer Studie, die Wissenschaftler der Colorado State University während der 100. Tagung der American Society for Microbiology Ende Mai veröffentlicht haben, stellte sich heraus, dass die Bakterien nicht nur gegen diese Biozide in Reinigungsmitteln für Küche, Klo oder Bad Resistenzen entwickeln, sondern dass der Angriff gleichzeitig auch ihre Abwehrkräfte allgemein erhöht. Je mehr zugeschlagen wird, desto schneller entstehen bei den derart Verfolgten Schutzmechanismen, überdies haben die untersuchten Pseudomonas-Bakterien nicht nur eine Resistenz gegenüber dem Biozid Trichlosan entwickelt, sondern auch gegen Antibiotika.

Wenn die Bakterien nicht sofort abgetötet werden, haben sie Zeit, bestimmte Pumpen zu verstärken, mit denen sie dann Gifte, die in ihre Zelle eindringen, wieder durch die Hülle hindurch herausspülen können, so dass sie ihnen nicht schaden. Und diese molekularen Pumpen helfen nicht nur gegen die Substanzen, gegen die sie ursprünglich entwickelt wurden, sondern können auch noch andere schädliche Wirkstoffe wie etwa Antibiotika abpumpen.