WAP-Realitycheck

Klein, mangelhaft und immer wieder verspätet - die neuen Designer-Taschentelephone.

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Immer kleiner und damit in Wirklichkeit immer schlechter zu bedienen, das ist die neue Generation der Mobiltelephone. Bei WAP kommt die Industrie enorm verspätet, dafür aber mit unausgereiften Geräten auf den Markt: der Verbraucher sozusagen als Beta-User - Microsoft-Stil bei Handys.

Klein

Die Mobiltelephone sind in den letzten Jahren in mehreren Entwicklungssprüngen erstaunlich leistungsfähig geworden. Siebzig, achtzig und mehr Stunden Bereitschaft, oder ein bis zwei Stunden Telephonieren mit gerade 100 Gramm schweren Miniaturgeräten, das hätte sich vor ein paar Jahren noch niemand träumen lassen - da reichten klobige Akkus gerade mal für 10 oder 12 Stunden Stand-by, sofern damit nicht gesprochen wurde.

Noch kleiner: hoch-designed und miniaturisiert

Allerdings hat der Miniaturisierungsfetischismus in eine Sackgasse geführt. Ergonomisch sind die neuen kleinen Geräte zusehends missraten. Sie sind nicht mehr sicher bedienbar, die Tastaturen sind zum Wählen viel zu klein, zu wenig griffsicher, teilweise auch "billig" gemacht, wie man früher gesagt hätte, schlapp oder scheppernd, ohne Druckpunkt usw. Um noch kleiner zu werden und unter 100 Gramm zu kommen, wurden mittlerweile die Akkus wieder abgespeckt, etwa beim Ericsson T28 und man landet erneut bei den alten Standby-Zeiten von einem Tag. Nur halt kleiner.

Mittlerweile unfunktional

Die Miniaturisierung und schlechte Bedienbarkeit verhindert auch die Nutzung jener Funktionalitäten, die in die Geräte hineinentwickelt wurden. Konferenzgespräche herzustellen ist mit Zwergtasten mühsam, die Fehlbedienung ein Regelfall, und nach einigen missglückten Versuchen lässt es der Anwender meist ganz bleiben. Kommen solche Winziggeräte wie das Nokia 8850 oder 8210 dann noch antennenlos daher, sind sie wohl mehr als ein Accessoire gedacht, das auf Zuruf (mit Sprachbefehl) ein paar Nummern wählen kann. Aber nicht nur die Eingabe ist mühsam, die Geräte lassen sich auch nicht mehr sicher einer anderen Person in die Hand geben, die Oberflächen sind zuwenig griffig und die Gehäuse einfach zu klein.

Auch die Integration des Internets in das Funktelephon mithilfe der WAP-Technik ist bislang wenig überzeugend. Überhaupt ist im Zusammenhang mit WAP offenbar recht viel ins Stottern gekommen. So hatte etwa Nokia im Frühjahr 1999 sein 7110 angekündigt, erhältlich war das Gerät, nachdem es jedes Monat erneut angekündigt wurde, aber erst in den letzten Dezembertagen. Bei Ericsson gab es ebenfalls Ankündigungen und schöne Fotos, die Geräte sind aber bis heute nicht greifbar, immerhin Motorola- und Siemens-Geräte gibt es nun.

Murrende Freaks

Eigenartig ist nicht nur die Ankündigungspolitik, rätselhaft ist auch, dass es Großkonzerne nicht zu schaffen scheinen, einigermaßen sauber programmierte Geräte anzubieten. Aber das kennen wir schon von Microsoft. Beim Nokia 7110 sind die Softwaremängel micht nur Legende, es gibt auch keine ebensolche, verzweifelt suchen die Freaks etwa in der Newsgroup de.comm.mobil.geraete.misc oder im WAP-Forum bei Heise über die rasch folgenden Updates etwas herauszufinden. Bei Motorola weiß man an der Beratungsfront offenbar nicht mehr ein oder aus, benötigt aber 14 Tage dazu. Eine Anfrage vom 28.April wurde am 12.Mai schließlich folgendermaßen beantwortet:

Zur Zeit ist es noch nicht möglich den Wap-Browser offline zu nutzen. Wann und ob es in Zukunft möglich sein wird, diese Information liegt uns leider noch nicht vor. ...

Teure Mitwirkung an Experimenten

Nicht nur die Geräte sind ein Ärgernis, auch das Informationsangebot ist mickrig und die Nutzung überdies teuer, 0,39 DM pro Minute in Deutschland, rund 0,30 in Österreich, eine Fahrplanabfrage dauert gut und gerne drei Minuten, kommt man mit den Knöpfchen nicht zurecht, auch länger (vgl. auch c't). Abgesehen von Fahrplänen, Wetterberichten oder Nachrichten von zuhause dann, wenn man grade keinen Internet-Anschluß zur Verfügung hat, lässt sich mit WAP wenig anfangen. Zwar ist es möglich, wenn die Tatstatur mitspielt, längere Emails zu schreiben, was etwa bei einer Bahnfahrt eine gewisse Beschäftigungstherapie sein kann, aber eine teure Angelegenheit wird - beim Motorola P7389 zum Beispiel geht Emailschreiben nur online. Die von den Mobilfunkbetreibern unabhängigen WAP-Portale, die es mittlerweile gibt, etwa WapJag , bieten darüberhinaus wenig Nutzen.

Immerhin - kommt das Handy als regelmäßiges Jahresgeschenk?

Zwar ist bei der Einführung von WAP die Marketingpolitik bei den Technikinteressierten völlig danebengegangen - Geräte mit höchsten Lobestönen und unterstützt von den einschlägigen Medien - z.B. Connect - anzukündigen und sie dann ein Jahr nicht zu liefern bzw. nicht liefern zu können, vergrault auch die verfreaktesten "Early Adopters" nachhaltig. Das scheint aber für das Breitengeschäft wenig Belang zu haben, denn es gibt ja diese merkwürdige Absatzstrategie, die Netzkunden mit Billigstgeräten zu ködern. Fast könnte man ja von einer Verbundstrategie zwischen Herstellern und Funknetzbetreibern reden, die darauf hinausläuft, zum Netzabonnement dem Kunden jährlich oder zweijährlich das allerneueste Gerät (scheinbar) zu schenken. Der Mehrzahl wird es dann vermutlich egal sein, ob so ein Gerät mit fehlerhaft programmierten Funktionen vollgestopft ist. Auch bei den Videorecordern nützen nur sehr wenige das volle Repertoire: man braucht es einfach nicht, trotzdem werden sie mit einer Überfülle von Features ausgestattet. Sinnvoll ist diese konsumistische Entwicklung nicht, ökologisch ohnedies nicht, - außerdem bezahlt letztlich dann doch alles der Verbraucher (den Gerätepreis halt gut versteckt in den Netzgebühren).

ao Univ Prof Ing Dr .Karl Kollmann unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist Gerichtssachverständiger u.a. für Arbeitstechnik.