Wahlkreis der Affen

Virtuelle Politik-Plattform der CDU wird von Dol2day-Mitgliedern gestürmt

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Mit einem Demokratie-Spiel im Internet wollte die CDU neue Wählerkreise erschließen und zog sich den Zorn der Anhänger der älteren Politik-Community Demokratie Online Today (dol2day) zu (Offene Plattform oder Plagiat?). Jetzt legen die diese mit massiven Störmanövern den virtuellen Wahlkreis der Christdemokraten lahm.

Mit der Demokratie kamen die Affen. Am Donnerstag - Punkt 12 Uhr - haben die Gremien im virtuellen Wahlkreis das Kommando übernommen. Ab sofort wollte nicht mehr die CDU-eigene Redaktion bestimmen, was auf den Seiten des virtuellen Wahlkreises erscheint, sondern es den Usern überlassen, mit welchem Programm die Parteien in den Wahlkampf ziehen, welche Werbeslogans benutzt werden und welche Pressemitteilungen die virtuellen Parteien herausgeben. Am gleichen Abend noch wurde von diesen Rechten massiv Gebrauch gemacht. Alle virtuellen Parteien bis auf das FDP-Äquivalent FDP300 stellten einen gemeinsamen Kanzler-Kandidaten auf: den Pogo-Affen.

"Ein Kanzler für WK300: Ein Kanzler, der zu WK300 passt, der diese Plattform perfekt nach Außen repräsentieren wird, der die nötige Würde und Erfahrung in politischen Belangen mitbringt. Wir haben die Ehre hier sein ersten Statement zu veröffentlichen. Es lautet: "UH UH UH!"."

Möglich war diese koordinierte Aktion nur, weil ein Großteil der ersten Wahlkreis300-User aus Dol2day-Mitgliedern rekrutiert. Dort hat sich nämlich eine Initiative gegen die CDU-Seite gebildet, der schon 67 Mitglieder angehören. Die sind motiviert und sie kennen sich hervorragend mit Politik-Communities aus. So verwundert es kaum, dass die Highscore des Wahlkreises von Dol2day-Mitgliedern angeführt wird.

Stephen Schöndorf führt als sol1 die Rangliste an - er hat einen klaren Standpunkt: "Eine Plattform, die politische Abläufe simulieren will, kann nur mit der tätigen Unterstützung der Community funktionieren - und die kann eine Redaktion nur erhalten, wenn sichergestellt ist, dass sie keine parteipolitischen Hintergedanken verfolgt."

Und genau diese Unabhängigkeit sehen er und seine Mitstreiter nicht. Also sorgen sie dafür, dass die Plattform auf alle Fälle nicht als Werbung für die CDU verstanden werden kann. Anfangs äußerte sich der Wiederstand noch harmlos - die Teilnehmer kennzeichneten ihre Beiträge mit einer Solidaritätsbekundungen für Dol2Day. Zusätzlich wurde in zahlreichen Forenbeiträgen die CDU angegriffen. Mit der Einführung der neuen demokratischeren Spielregeln bekamen die Wahlkreis-Gegner neue Waffen in die Hand. Je mehr Forenbeiträge, Reden und Pressemitteilungen ein Mitglied schreibt, desto größer ist sein politischer Einfluss. Und der politische Einfluss reicht weit.

Die PDS300 wurde auf diese Weise in "Partei der Sexhungrigen" umbenannt, überall findet man Banner mit einem rot durchgestrichenen Wahlkreis300-Logo. In den Foren überwiegen Beiträge wie "Stoiber soll Kaiser werden" und "das große Geheimnis: Parteiluder".

Egal wie es das CDU-Team dreht und wendet - gegen die gut organisierte Dol2Day-Community hat ein demokratischer Wahlkreis 300 kaum eine Chance. Wenn die Störer in der Mehrheit sind, können sie entscheiden, wie es mit dem Wahlkreis weitergeht. Die Redaktion hatte sich bemüht, die anfängliche Empörung zu schlichten. Die Parteienlogos wurden verändert, weil sich die realen Parteien nicht mit der CDU-Idee anfreunden konnten. Auf der Startseite wurden Links zur Konkurrenzplattform gesetzt. Die Wahlkreis300-Macher sagten auch zu, an einem Chat auf Dol2day teilzunehmen. Doch nichts davon kann die hartnäckigen Störer befrieden, sie wollen die CDU zur Aufgabe bewegen. Alternativ könne die CDU die Plattform in überparteiliche Hände geben, sagt Schöndorf.

Besonders die Ähnlichkeit zwischen den beiden Polit-Communities stört die Wahlkreis-Gegner. Bis zum öffentlichen Betatest hatte niemand etwas von dem CDU-Projekt erfahren. Jetzt empfinden es viele so, als ob die CDU eine funktionierende Idee einfach abgekupfert habe, um sich selbst zu profilieren. Auch Dol2day-Mitinitiator Andreas Hauser ist nicht ganz glücklich über die parteiische Konkurrenz. Vor allem darüber, dass die CDU es nicht für nötig befand, dol2day zu informieren. Von den massiven Aktionen seiner Community zeigt sich Hauser überrascht. "Man sollte eine gewissen Fairness einhalten."

Stefan Scholz von der CDU hingegen ist nicht übermäßig beunruhigt. Der Wahlkreis sei erst eine Woche alt, das Projekt ist noch im Beta-Stadium. Die Spielregeln würden noch angepasst. So ist geplant, das oberste Beratergremium mehr von der Zustimmung der Partei abhängig zu machen. Den Pogo-Anhängern würde das Spiel sicher langweilig werden. Die Zahl der User, die konstruktiv mitarbeiten wolle, nehme zu. So ist es zwischenzeitlich gelungen, einige Parteiseiten frei von Affen zu bekommen. Allerdings jeweils nur kurze Zeit: der Affe tauchte schon bald wieder auf.

Unter den politisch Interessierten kamen die Aktionen der Dol2day-Community nicht unbedingt gut an: "Respekt, DOL scheint ja auf höchstem Niveau angesiedelt zu sein. [...] Ihr könnt ja den Affen oder den Zombi oder sonst was wählen - Respekt vor so viel Dreistigkeit!"

Die Gegner denken jedenfalls nicht so schell ans Aufgeben. So verspricht Schöndorf: "Der Pogo-Affe wird solange propagiert werden, wie sich die CDU darüber ärgert. Kann natürlich sein, dass uns noch etwas Besseres einfällt." Zeit für neue Ideen bleibt genug. Der Wahlkreis300 wird erst nach den Bundestagswahlen im September seine Pforten schließen.