Warnung vor den gläsernen Erwerbslosen

Die im Rahmen von Hartz IV auszufüllenden Antragsformulare verstoßen gegen den Datenschutz

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Eine Gruppe von Menschen mit alten Möbeln, einer geerbten Wohnzimmeruhr und dem Familienschmuck begehrt Einlass. Demnächst könnten sich solche Szenen vor den Toren der Arbeitsagenturen, wie die Arbeitsämter jetzt heißen, abspielen. Denn mit dem Inkrafttreten des Gesetzespaketes Hartz IV, das im Kern die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld- und Sozialhilfe vorsieht, müssen die potenziellen Bezieher ihre alten Erbstücke ausgraben. Betroffen sind bis zu 5.Millionen Bezieher der bisher getrennt verwalteten Töpfe für Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Ab 1.Januar sollen sie Bezieher des Arbeitslosengeldes II sein. Doch zuvor müssen sie umfangreiche Antragsformulare ausfüllen, die ab 19. Juli von den Ämtern verschickt werden. Darin wird unter anderem nach Edelmetallen, Antiquitäten und Gemälden im Besitz der Antragssteller gefragt.

Falsche Angeben können nicht nur zur Verweigerung der Unterstützung, sondern sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, wie die Antragssteller in einem Beiblatt belehrt werden. "Im Extremfall behalten wir uns auch Hausbesuche vor", erklärte der Vizepräsident der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt.

Deswegen haben die Betroffenen natürlich ein Interesse, die Anträge korrekt auszufüllen. So raten Erwerbsloseninitiativen, sich genügend Zeit mit der Bearbeitung zu lassen, notfalls die Hinzuziehung eines Gutachters auf Kosten der Ämter zu beantragen. Denn wer weiß schon, welcher Wert die ererbte Kommode oder Omas Halskette hat? Schätzungen aber können schnell zu falschen Angaben mit den entsprechenden Konsequenzen führen. "Notfalls müssen wir eben bei den Ämtern vorsprechen, und die fraglichen Gegenstände mitbringen", meinte ein Erwerbslosenaktivist schmunzelnd. Der dann zu erwartende Stau bei den Behörden haben aber nicht die Betroffenen, sondern der Gesetzgeber zu verantworten: "Vielleicht wird dann die Diskussion über Sinn und Unsinn von Hartz IV noch mal eröffnet", setzt er hinzu.

Denn diese Reform stößt nicht nur bei den Betroffenen, den Sozialverbänden und großen Teilen der Gewerkschaftsbasis auf Widerstand. Auch die Kommunen warnen vor einer neuen Ausgabenlawine, die mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes auf sie zukommen könnte. Die PDS hat schon eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Auch Peter Schaar, der Datenschutzbeauftragte des Bundes, hat Bedenken angemeldet. Der oberste Datenschützer moniert, dass er bei der Erarbeitung des Gesetzes nicht einmal konsultiert wurde, obwohl ein umfangreicher Datentransfer zwischen Behörden und Versicherungen vorgesehen ist. So sollen die in den Fragebögen gemachten Angaben mit den Finanzämtern, Versicherungen und Krankenkassen abgeglichen werden.

Was die zuständigen Behörden als Maßnahme gegen drohenden Sozialmissbrauch ausgeben, bezeichnen Sozialverbände und Erwerbslosengruppen als Ausforschung von Hilfsbedürftigen am Rande der Legalität. So listete der Verein Tacheles mit Sitz im paritätischen Wohlfahrtsverband in einem Schreiben an den Datenschutzbeauftragen zahlreiche Verstöße gegen die Datenschutzbestimmungen auf. Punkt für Punkt werden die Anträge aus der Sicht der Datenschützer kritisiert. So heißt es beim Zusatzblatt für die Einkommenserklärung beispielsweise:

Hier wird auf der ersten Seite nach den Einkünften der Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft gefragt und auf der Rückseite ist die Verdienstbescheinigung für den Arbeitgeber platziert. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber die finanziellen Verhältnisse der anderen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen erfahren, die ihn weiß Gott nichts angehen. Die Koppelung dieser beiden Formulare ist äußerst unglücklich und verstößt gravierend gegen den Datenschutz.