Warum Multimedia nicht funktioniert

Die Macht der Heldenreise

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In iBooks 1.5 erlaubt Apple Javascript und stellt mit dem Yellow Submarine eBook auch gleich ein mächtiges Beispiel kostenlos zur Verfügung. Andere Verlage experimentieren mit erweiterten digitalen Ausgaben ihrer Bücher, bisher ohne Erfolg. Denn bei aller Technikverliebtheit: Für das klassische Erzählen ist die Rückkehr des Multimediamiefs keine Konkurrenz.

Eines der erfolgreichsten Konzepte der Geschichte ist die Heldenreise, ob im Buch oder Film. Man findet sie in der Bibel und sie erstreckt sich über Alice im Wunderland und Star Wars bis zu Harry Potter. Das Buch des Religionswissenschaftlers und Strukturalisten Mircea Eliade "Schamanismus und archaische Ekstasetechniken" beschreibt ebenfalls diese Heldenreise, die ziemlich genau bezeichnet werden kann: Ein "Ereignis" reißt den Helden aus der gewohnten Umgebung, er oder sie steigt in die Unterwelt hinab, wo ein "neuer Körper" entsteht. Diesen Weg begleiten Aufgaben, Prüfungen, Gefahren. Am Ende kehrt der Held verändert in seine gewohnte Umgebung zurück, wo er sich mehr oder weniger in die Gesellschaft integriert.

Screenshot "Yellow Submarine" eBook

Letztlich beschreibt die Heldenreise das Mann- oder Frau-Werden - den Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Ich behaupte jetzt: Dieses Erwachen und Erkennen liegt jeder Mythologie zu Grunde.

Ein besonders gelungenes Beispiel für eine Heldenreise, die auch zeigt, dass sie nicht linear erzählt werden muss, ist der Film "Donnie Darko", in dem das Einbrechen der Unterwelt gleich am Anfang steht: Eine Flugzeugturbine stürzt in den Garten. Ein Hase erscheint. Es geht um nichts weniger als den Weltuntergang. Der aber aus der coolen Sicht eines Heranwachsenden geradezu unaufgeregt droht.

Obwohl der Film Zeiten und Universen mischt, bleibt er trotzdem linear. Um in eine Geschichte abzutauchen, brauchen die Menschen Linearität, alle anderen Experimente konnten nur in vereinzelten Fällen ein Massenpublikum erreichen. Die Linearität ist die des Geschichtenerzählers.

Besonders deutlich wird das im Buch "Die grüne Wolke" von A. S. Neill. Er erzählt dort den Kindern der Summerhill-Schule eine Geschichte, in der sie alle Helden sind. Die Grundkonstellation: Eine grüne Wolke zog über die Erde und verwandelte alle Menschen in Stein. Neill und die Schüler überleben, da sie zu diesem Zeitpunkt im Luftschiff unterwegs waren und somit über der grünen Wolke schwebten.

Der Lehrer unterbricht die Geschichte nach jedem Kapitel und redet mit den Protagonisten, den Schülern, über das Geschehene. Die Diskussionen laufen zum Teil aus dem Ruder und das Vorbild der antiautoritären Erziehung zieht einen Schlussstrich: Er erzählt die Geschichte, basta.

Screenshot "Yellow Submarine" eBook

Genau deshalb ist das Buch Yellow Submarine im App Store trotz allen Aufwandes unglaublich öde. Auf der technischen Seite beeindruckt es zunächst, wenn ein angereichertes ePub mit Möglichkeiten aufwartet, die man so noch nicht kannte. Videos sind nicht nur enthalten, sondern fügen sich organisch in das Layout ein. Über Fingerdruck ändern sich Farben und werden kleine Animationen abgespielt - ein wenig erinnert das an die Pop-up-Bücher, bei denen man an einem Papierstreifen zieht oder an einem Papprädchen dreht. Für wenige Minuten macht das Spaß, aber es berührt nicht. Es fehlt der Sog der Geschichte, ihre Zwangsläufigkeit, die auch ein gutes Spiel braucht. Wenn man alles irgendwie irgendwo tun kann, dann verliert die Geschichte den Leser.

Ich weiß nicht, wie alt Richard Stephenson ist und ob er den Multimedia-Hype der 90er mitgemacht hat. In einem Artikel auf Futurebook feiert er das iBook Yellow Submarine und sieht es als Vorhut für das, was kommen mag. Ganz toll: Man kann über das iBook auch direkt das Beatles-Album erwerben, bei Kinderbüchern könnten Kleinmenschen also auch gleich das passende Spielzeug kaufen.

Einen weiteren Versuch, eBooks in die nichtlineare Dimension zu führen, unternahm der Schriftsteller Jürgen Neffe, der sein Buch über Darwin als "Libroid" mit Bildern, Links und weiteren zusätzlichen Informationen anreicherte. Das clever entwickelte Projekt (Neffe benutzt in der Queransicht die von Arno Schmidt bekannten drei Spalten, im Hochformat lässt sich der Text ohne Ablenkung lesen - allerdings verzichtet der Autor auf Seiten und präsentiert reinen Scrolltext) erhielt viel Aufmerksamkeit und hervorragende Presseunterstützung. Die Technik sollte auch anderen Veröffentlichungswilligen zur Verfügung stehen. Aber das "Libroid" steht allein auf weiter Flur, Darwin ist nach über einem Jahr der einzige Titel geblieben.

Screenshot "Buch über Darwin" eBook

Etwas größer setzt Kiepenheuer & Witsch an - in der iPad-App Rangas Welt verspricht der Verlag ein "völlig neuartiges eBook, das Maßstäbe setzen wird". Muss es auch, denn damit die Entwicklungskosten sich rechnen, dürfen auch andere Verlage "ran" und sich am epedio-Prototypen orientieren.

Multimedia ist schon früher gescheitert. Zum Beispiel veröffentlichte Laurie Anderson 1995 die Multimedia-CD "Puppet Motel", die liebevoll gestaltet war und mit der ich einige Stunden genervt - bedingt durch unglaublich lange Ladezeiten und einem überforderten Rechner - verbracht hatte. Der CD-ROM trauere ich nicht hinterher.

Mit iTunes LP hat Apple schon einen Flopp gelandet. iTunes LP sollte Alben attraktiver machen, indem Songs in eine Art Buch eingebunden werden. Lyrics, Bilder, Videos sind möglich. Das war schön gedacht. Aber Hand aufs Herz: Wer von den Käufern schaut sich diese angereicherten Albenversionen tatsächlich mehr als ein Mal an? Letztlich zählt die Musik. Und sie erzählt uns eine Geschichte.

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